Der 34-jährige Anwärter blickte auf den menschlichen Schädel, den er in Händen hielt. Der Totenkopf war hohl wie eine Schale und gefüllt mit blutrotem Wein.“ Dan Brown blickt in seinem neuen Thriller, der unter dem Titel „Das verlorene Symbol“ am 14. Oktober auf Deutsch erscheint, in die innersten Zirkel des Freimaurerbundes. „Sämtliche Rituale, die geschildert werden, sind authentisch“, beteuert der US-Autor.
„An so einem Ritual habe ich noch nicht teilgenommen“, widerspricht Bernhard Wießmann, und Matthias Kreienkamp lacht über die Vorstellung, er würde Wein aus dem Schädel eines Toten trinken. Die beiden sind altgediente Brüder, Mitglieder des Vorstandes der Würzburger Loge. Den Totenkopf akzeptieren sie allenfalls als Symbol für die Endlichkeit des Lebens. Dazu weiß auch Dan Browns Held Robert Langdon etwas zu sagen. Der Symbol-Forscher, der in „Sakrileg“ („The Da Vinci Code“) die Nachkommen Jesu ausfindig machte, erklärt in den tiefsten Katakomben des Washingtoner Capitols ein freimaurerisches Arrangement: „,Der Schädel oder caput mortuum steht für die letzte Transformation des Menschen durch Verwesung. Die Sanduhr repräsentiert die Macht der Zeit, Dinge zu verändern‘, Langdon wies auf die noch nicht angebrannte Kerze. ,Und die Kerze symbolisiert das Erwachen des Menschen aus seiner Unwissenheit – also Verwandlung durch Erleuchtung.‘“
Die Freimaurer in der Würzburger Wirklichkeit widersprechen nicht grundsätzlich und betrachten das Bild eines ähnlichen Arrangements (siehe Foto). „Ich finde das hilfreich“, sagt Matthias Kreienkamp. Hilfreich? „Es gibt ein Memento Mori, die Auseinandersetzung mit der Zeitlichkeit des Individuums“, erklärt Bernhard Wießmann. Dabei gehe es nicht um „Abartigkeiten“, sondern um die Persönlichkeitsentwicklung. „Das gelungene Leben beinhaltet einen würdigen Tod“, resümiert der 70-Jährige.
Arrangements mit Kerze, Sanduhr und Totenkopf gebe es „in allen Freimaurer-Logen“, behauptet Dan Browns Held. Totenköpfe auch in Würzburg? „Es gibt viele Arrangements in den Logen. Sehr viele“, sagt Kreienkamp ein wenig ausweichend. Was damit zusammenhängen mag, dass Freimaurer zu Außenstehenden nicht über ihre Rituale sprechen. Die werden auch in Würzburg zelebriert. An die 25 von 50 bis 60 Mitgliedern aller Altersgruppen der Loge „Zu den zwei Säulen an der festen Burg“ treffen sich immer montags. Dabei führen sie in ritueller Kleidung regelmäßig bestimmte Handlungen aus, sprechen festgelegte Worte. Die Riten sollen garantieren, dass nicht nur der Intellekt, sondern auch die Emotionen angesprochen werden. Das Ganze findet im sogenannten Tempel – einem Raum im Logenhaus – statt. „Tempel bedeutet, dass der Raum zu besonderen Anlässen aus dem Alltag herausgehoben wird“, erklärt Wießmann. Heilig oder geweiht ist der Raum nicht. Und auch nicht geheim. „Wir feiern da schon mal besondere Geburtstage – mit Außenstehenden“, ergänzt Kreienkamp (50).
Sind Freimaurer ein Verein alter Männer, die gern ein bisschen Mummenschanz betreiben, wie Dan Brown eine junge Studentin mutmaßen lässt? Oder sind sie eine Art von geheimer Weltregierung, die die öffentliche Politik für die unwissenden Massen inszeniert? Was wollen die Brüder? „Freimaurertum ist etwas, das jedem Menschen, sofern er das will, hilft, seine irdische Laufbahn redlich und manchmal sogar glücklich zu führen“, so der „Wegweiser zur Freimaurerei“, der an Beitritts-Interessenten verteilt wird. Der Freimaurer bemüht sich „um die sittliche Verwirklichung seines irdischen Daseins, übt sich in Lebenskunst und erwartet keine jenseitigen Heilsversprechungen von der Freimaurerei. Er baut symbolisch am Tempel der Humanität – für eine menschlichere Welt“, erklärt eine Freimaurer-Gazette mit dem bezeichnenden Titel „Humanität“. Es gebe keine Heilsversprechen, keinen vorgezeichneten Weg, keine starre Ideologie. Jeder müsse sich selbst auf die Suche machen, an sich und seinem Verhältnis zur Welt arbeiten. Dabei helfen die Brüder, sagen Kreienkamp und Wießmann. Gespräche über Religion oder Parteipolitik sind verpönt. Mitgliederwerbung oder Missionierung gibt es nicht. Nicht jeder wird aufgenommen.
„Wir sind keine Geheimgesellschaft“, präzisiert Kreienkamp. Dann würde wohl auch kaum eine Fahne mit den Freimaurersymbolen – Zirkel und Winkelmaß auf blauem Grund – weithin sichtbar vor dem Logenhaus in der Valentin-Becker-Straße 3 wehen. „Wir sind aber eine verschwiegene Gesellschaft. Jede Gruppe, das gilt nicht nur für Freimaurer, hat gewisse Dinge, über die die Mitglieder nicht mit Außenstehenden reden“, so der 50-Jährige. Nicht, weil mitten in Würzburg hinter verschlossenen Türen schreckliche Dinge getrieben werden, gebe es Geheimnisse. Es gehe vielmehr darum, Vertrauen aufzubauen. Verschwiegenheit sei ein ethischer Wert, den es zu üben gelte. Es gibt also auch in Würzburg Dinge, die nicht nach außen getragen werden. Dass Freimaurer geheimes Wissen über den Ort besitzen, an dem der Schlüssel zu nahezu gottgleicher Macht liegt, treibt zwar die die Handlung von „Das verlorene Symbol“ voran, sei aber reine Fiktion, so Wießmann und Kreienkamp unisono. Ebenso wie die Sache mit der heimlichen Weltherrschaft.
Ein Blick in den Tempel, in dem die Rituale stattfinden, zählt nicht zu den Geheimnissen. Der Saal wirkt klassisch, nüchtern. Freimaurer-Symbole zieren als Reliefs die in abgestuftem Blau gehaltenen Wände. Nirgendwo Totenköpfe. Das muss nichts heißen. Dan Brown würde ein System von geheimen Gängen und verborgenen Kammern unter der Valentin-Becker-Straße konstruieren, in dem alle möglichen gespenstischen Sachen versteckt wären. Doch die Konstrukte eines Romanautors stimmen nicht zwangsweise mit der Wirklichkeit überein. Das macht ihren Reiz aus. Auch den des neuen Brown-Krimis.