Längst ist er nicht mehr Chefdirigent in Berlin, doch seine Gastkonzerte in der Philharmonie gleichen immer wieder einem Hochamt. Wenn Claudio Abbado jedes Jahr vor die Berliner Philharmoniker auf das Podium tritt, liegt ihm das Publikum zu Füßen – der Applaus will dann nicht mehr enden. Die Berliner „Ära Abbado“, die vor mehr als zehn Jahren zu Ende ging, hat sich in das Gedächtnis der Konzertbesucher eingebrannt.
Noch Anfang Mai war Abbado wieder in der Stadt – an diesem Mittwoch (26. Juni) wird er 80, und nichts deutet darauf hin, dass sich das Liebesverhältnis der Berliner zum Maestro abkühlen könnte. Immer wieder ist bei Abbado die Rede von „Aura“ oder „Magie“ – Begriffe, die seine Art der Zuwendung zur Musik umschreiben sollen. Seitdem er als Siebenjähriger Claude Debussys „Fetes“ gehört habe, suche er immer wieder nach dieser Magie. „Manchmal finde ich sie, dann bin ich glücklich, manchmal nicht. Aber ich werde nie aufhören, mich danach zu sehnen“, sagte er jüngst in einem „Zeit“-Interview.
Sehr präzise Vorstellungen
Dabei ist Abbado, wie Musiker berichten, die mit ihm arbeiten, bei den Proben nicht nur auratisch und zurückhaltend. Seine Vorstellungen von Klang seien schon sehr präzise, seine Anweisungen ziemlich bestimmend, heißt es aus den Orchestern. Im Konzert sucht Abbado dann aber diesen Moment, bei dem das Kunststück gelingt, die Zügel im Orchester locker zu lassen und dabei gleichzeitig die Zuhörer zu fesseln.
In Berlin hatte Abbado mit seinem Antritt 1989 versucht, einen neuen Stil durchzusetzen. Mit ambitionierten Themenzyklen und Anspielungen auf Literatur und Film im Programm musste er zunächst Widerstände bei Musikern und Publikum überwinden. Abbado blieb sich dabei treu. Sehr früh in seiner Karriere hatte er sich der zeitgenössischen Musik verschrieben, ein Engagement, das er auch politisch verstand. Er führte einige der wichtigsten Werke des italienischen Avantgardisten Luigi Nono erstmals auf, organisierte mit dem Pianisten Maurizio Pollini in der norditalienischen Region Reggio Emilia Konzerte für Arbeiter und Studenten. Schon in Wien, wo er vor seiner Berliner Zeit Generalmusikdirektor an der Staatsoper war, musste sich Abbado den Vorwurf anhören, er habe einen Hang zum „Schwierigen und Raren“. Auch in Berlin zweifelten dann Kritiker, ob das Vorzeige-Orchester damit nicht seinen spezifischen Klang verliert. Doch gerade Aufführungen wie Alban Bergs „Wozzeck“ oder Mussorgskis „Boris Godunov“ blieben als viel gerühmte Klangwunder in der Erinnerung.
Als Spross einer Musikerfamilie erschien der Berufsweg Abbados vorbestimmt. Er lernte zunächst Klavier, später studierte er in Wien bei dem Dirigenten Hans Swarowsky. Nachdem er 1958 in New York den Mitropoulos-Wettbewerb gewonnen hatte, wurde Leonard Bernstein auf ihn aufmerksam. Zwei Jahre später folgte sein Debüt an der Mailänder Scala, wo er zwischen 1968 und 1986 Musikchef war. Doch dann trennte er sich vom Opernhaus im Streit und wurde von Riccardo Muti ersetzt.
Nach dem Abschied aus Berlin versuchte Scala-Intendant Stephane Lissner, Abbado wieder an das legendäre Haus zu locken. Doch der vom Krebsleiden gezeichnete Dirigent zog sich zunächst zurück und widmete sich dann seinen von ihm gegründeten Orchestern, darunter dem Mahler Chamber Orchestra. In jüngster Zeit ist Abbado immer wieder mit dem Mozart Orchester aufgetreten. Schließlich kehrte er nach 20 Jahren doch an die Scala zurück. Im Oktober 2012 trat er dort mit seinem Kollegen Daniel Barenboim auf, dem aktuellen Musikchef der Scala.