
Das fantastische Leben des Manoel de Oliveira wird mit jedem Tag ein Stückchen außergewöhnlicher. Der älteste aktive Filmregisseur der Welt, der heute, Donnerstag (11. Dezember), seinen 106. Geburtstag feiert, denkt immer noch nicht an den Ruhestand. In einem seiner sehr seltenen Interviews antwortete der Portugiese erst Ende November auf die Frage des US-Magazins „Variety“, ob er denn Pläne für neue Filme habe, kurz, knapp und klar: „Natürlich.“
De Oliveira ist heute vor allem für Liebhaber des Autorenkinos aktueller denn je. Die Größen der Filmwelt liegen ihm zu Füßen. „Er ist eine Naturgewalt“, sagte jüngst US-Star John Malkovich. Noch bevor er in seiner Wohnung in Porto wieder einmal Kerzen auspusten muss, wurde der groß gewachsene und schlanke Mann für seine „außergewöhnliche Karriere“ mit dem höchsten französischen Orden ausgezeichnet, dem Grand Officier de la Légion d'Honneur. Der letzte von mehr als 50 Streifen des schon zur Stummfilmzeit aktiven Kino-Methusalems kommt in Portugal pünktlich zum Geburtstag in die Kinos. „O Velho do Restelo“ („Der Alte aus Restelo“) wurde im September in Venedig uraufgeführt und danach unter anderem auf Filmfestivals in New York, Wien und Sao Paulo gezeigt. „Der Film kam überall sehr gut an“, erzählte Cristina Almeida von der Produktionsfirma „O Som e a Fúria“.
Im Kurzfilm lässt de Oliveira portugiesische Literatur-Ikonen verschiedener Jahrhunderte wie Luís de Camoes, Teixeira de Pascoaes und Camilo Castelo Branco auferstehen und bei einem Treffen mit der Roman-Figur Don Quijote über Gott und die Welt sinnieren. „Eine Reflexion über die Menschheit“, wie der Regisseur sagt. De Oliveira wurde 1908 in Porto in einer reichen Familie geboren – nur 13 Jahre, nachdem die Brüder Lumiere in Frankreich die Kinotechnik erfunden hatten. Inzwischen geht er am Stock, sprüht aber weiter nur so vor Arbeitswut, Lebensfreude und Kampfeswille. Er legt sich mit den Mächtigen an, kritisiert auch die Sparpolitik der Regierung in Lissabon und legte in jüngsten Werken den Finger in die Wunde der Krise in seiner rapide verarmenden Heimat.
„Seine Energie ist unglaublich, morgens vor Drehbeginn ist er jeden Tag schwimmen gegangen“, staunte die italienische Filmdiva Claudia Cardinale, die in „Gebo und der Schatten“ (2012) neben Michael Lonsdale und Jeanne Moreau eine der Hauptrollen spielte. Die Karriere des einstigen Sportlers, Autorennfahrers und Portweinwinzers begann 1930 mit einem Stummfilm über den Fluss Douro. Seit 1990 dreht er einen Film pro Jahr. „Meine Energie bekomme ich von den Sternen“, versicherte er einmal. Er drehte mit Stars wie Catherine Deneuve, Malkovich oder Marcello Mastroianni. Bei seinen Filmen führt er nicht nur Regie, sondern ist fast immer auch beim Drehbuchschreiben, beim Schnitt und als Produzent aktiv.
Für sein Lebenswerk erhielt der Filmpoet 2004 in Venedig den „Goldenen Löwen“ und 2007 den Ehrenpreis der Europäischen Filmakademie. Insgesamt sind es über 50 Auszeichnungen, 2009 bekam er auch die Berlinale-Kamera. Viele Kenner stellen de Oliveira auf eine Stufe mit Film-Granden wie Luis Bunuel, Jean-Luc Godard oder Federico Fellini. Wim Wenders, der de Oliveira in seinem Film „Lisbon Story“ (1994) auftreten ließ, bezeichnete den Portugiesen einmal als „größtes Vorbild“.