
Ein seltsames Phänomen: Kaum hört man die ersten Takte der Titelmelodie des Märchenfilms "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel", lässt einen etwas nicht mehr los. Sind es die süßen Es-Dur-Klänge? Sind es die Erinnerungen an die wunderhübsche junge Libuše Šafránková, die da so forsch und frech mit Pfeil und Bogen durch den Winterwald reitet? Oder ist es die Sehnsucht nach der verlorenen Märchenprinzenzeit? Wahrscheinlich alles zusammen und einiges mehr.
Wenn sich dann noch auf der Bühne des Meininger Theaters der dunkelrote Samtvorhang öffnet, ein verschneiter Winterwald mit einer rustikalen Waldhütte erscheint (später ein Mini-Neuschwanstein-Schloss im Hintergrund!) und die Kinder "Ah!" und "Oh!" rufen, dann haben die Theaterzauberer fast schon gewonnen. Sie erwecken die schönste aller Aschenbrödel-/Aschenputtel-/Cinderella-Geschichten aus der Feder von Božena Nemcová hier zum Leben: Regisseurin Gabriela Gillert, Ausstatter Helge Ullmann und ihr Team.

Ja, die Winterwunderlandfantasien der Kinder und der Erwachsenen sind bereits hervorgekitzelt. Man merkt es an der gespannten Aufmerksamkeit der jungen Zuschauer, wenn oben in Aschenbrödels Zimmer ein schwaches warmes Licht glimmt und die Kinder aufspringen, um dem gebeutelten Prinzen auf der Suche nach der Auserwählten zu helfen.
Man möchte Guten die knuddeln, die Bösen schütteln und die Dummen in den Allerwertesten zwicken
Aber trotzdem wäre alles nur entzückendes Beiwerk, wenn es nicht diese seelenschmeichelnde Musik von Karel Svoboda gäbe – eingespielt von der Meininger Hofkapelle unter Peter Leipold. Und Schauspielerinnen und Schauspieler, die so in ihre Charaktere schlüpfen, dass man die Guten knuddeln, die Bösen schütteln und die Dummen in den Allerwertesten zwicken wollte, wie etwa den gutherzigen König (Matthias Herold), der wie ein tattriger Bär durch Schnee und Thronsaal tappst und leider nicht die Strumpfhosen von Rolf Hoppe trägt.

Carla Witte glaubt man ihr Aschenbrödel vom ersten Augenblick an, dieses trotz aller Schikanen fröhliche, mutige und pfiffige Mädchen. Christine Zart (alternierend mit Friederike Pasch) ist eine resolute Stiefmutter mit Doppeldutt, deren mikroportverstärktes Zentralorgan sogar Krähen vor Schreck von den Bäumen fallen ließe. Marie-Sophie Weidinger ist eine herrlich verzogene, eingebildete Göre. Yannick Fischer als Prinz – ach, wäre man noch mal so jung und unangepasst! Nicht zu vergessen das Pferd Nikolaus – fast lebensecht mit Emil Schwarz und Ibrahim Bajo unterm Fell.
Und wer ist denn dieser spindeldürre alte Knecht mit dem weißen Rauschebart, der auch dem Hauslehrer des Prinzen so ähnlich sieht? Kein anderer als Kammerschauspieler Hans-Joachim Rodewald, der Ruheständler, den man schon lange vermisst hat. Also, unter diesen Umständen ist alles gut, sofern es die Inzidenzwerte außerhalb des Winterwunderlands zulassen.
Nächste Vorstellungen: 5. Dezember, 14 und 17 Uhr, 6., 13. und 14. Dezember, jeweils 9 und 11.30 Uhr. Programmheft mit Musik-CD. Kartentelefon (03693) 451 222. www.staatstheater-meiningen.de