Das Haus sieht nicht so aus, als würde die „Dreckschleuder“ des deutschen Theaters darin wohnen – und auch nicht so, als könnte Klatschreporter Baby Schimmerlos sich dort wohlfühlen: ein gepflegtes, kleines weißes Häuschen im mehr als bürgerlichen, gepflegten Westen von München. Ein winziges buntes Kinderrad lehnt an der Wand. Franz Xaver Kroetz öffnet die Tür, der einst hoch umstrittene Theaterautor und Hauptdarsteller in Helmut Dietls Kultserie „Kir Royal“.
Vor knapp einem Jahr ist Kroetz Opa geworden, an diesem Donnerstag (25. Februar) wird er 70. „Es gibt viele Autoren, die nicht 70 geworden sind“, sagt er. „Dieser Beruf verschleißt. Der schwankt zwischen neurotisch-hysterisch und am Boden liegend. Er hat schon eine manisch-depressive Komponente. Aber ohne geht es nicht.“ Mehr als 60 politische Stücke hat er geschrieben, die in rund 30 Sprachen übersetzt und in mehr als 40 Ländern der Welt aufgeführt wurden. Sein Aufstieg begann mit „Heimarbeit“ und „Hartnäckig“; mit der Zeit wurde er zum wichtigsten Repräsentanten eines neuen, politischen Volkstheaters. „Ich war ein fanatischer Stücke-Schreiber.“ Das ist er inzwischen schon seit zehn Jahren nicht mehr.
Das jüngste Stück war ein Flop
„Meine Bühnenpräsenz, mein Erfolg als Dramatiker auf deutschen Bühnen, hatte so nachgelassen, dass ich mir das Theaterstücke-Schreiben nicht mehr leisten konnte“, sagt er. Sein jüngstes Stück, „Du hast gewackelt. Requiem für ein liebes Kind“, das Kroetz für eines seiner besten hält und das 2012 mit fast zehnjähriger Verspätung im Münchner Cuvilliés-Theater uraufgeführt wurde, floppte beim Publikum. „Da hätte der Schauspieler Kroetz den Dramatiker Kroetz alimentieren müssen“, sagt er über seine zuletzt nicht sehr lukrative Kunst. „Das klingt vielleicht sehr profan, aber ich glaube, Shakespeare hat nicht eine Zeile geschrieben, ohne ans Geld zu denken.“
Der Schauspieler Kroetz und der Dramatiker Kroetz sind zwei unterschiedliche Figuren, die in der öffentlichen Meinung nie ganz zu vereinbaren waren. Auf der einen Seite der hochpolitische Autor als Anwalt des kleinen Mannes, der zeitweise mit dem Kommunismus liebäugelte, auf der anderen Seite der schillernde Baby Schimmerlos im verpönten Fernsehen, Inbegriff der High Society.
Er glaubt heute, der Schauspieler Kroetz habe dem Dramatiker Kroetz nicht unbedingt gut getan. „Da wurde ich für viele abtrünnig und korrupt, weil ich in so einer Scheiß-Serie, wie sie sagten, spiele.“ Ein Affront sei das gewesen „für die Ernsthaften“. Kroetz: „Marcel Reich-Ranicki hat damals geschrieben, ich sei ein ernsthafter Anwärter auf den Büchner-Preis gewesen – aber zu jung. Ich glaube nicht, dass es ums Alter ging. Ich glaube, man hat gesagt, man kann doch nicht dem Baby Schimmerlos den Büchner-Preis geben.“
„Weil dieser Job wirklich unanständig gut bezahlt ist“, gibt Kroetz sich alle paar Jahre in dem einen oder anderen Fernsehfilm die Ehre, auch wenn er Fernsehfilme eigentlich nicht ausstehen kann. Er hat ein „Tatort“-Drehbuch für den Bayerischen Rundfunk geschrieben, auch wenn er Krimis nicht mag. Doch seiner eigentlichen Kunst hat er nicht komplett den Rücken gekehrt. Seit Jahren hofft er darauf, doch noch ein Stück mit dem Titel „Alter Mann, was nun“ fertigzustellen. Doch das sei kompliziert, weil es „großes, episches Theater“ werden soll. Den überwältigend großen Stellenwert habe das Schreiben für ihn heute aber nicht mehr. Die ganz große Faszination sei dahin.
Kroetz' neuer Gedichtband trägt den Titel „Verwesung schwelgt im Honeymoon“. Um die Schreibblockade geht es darin, den quälenden Stillstand des Autors, den Verlust kreativer Triebfedern wie Vitalität und Erotik. „Es ist ein großes Klagelied“, sagt Kroetz. Denn der Wahnsinn, der ihn als Theaterschriftsteller, als Dramatiker, jahrelang antrieb, „dieser weltumfassende Irrsinn, dieser hymnische Schwachsinn“, der sei inzwischen verstummt.