zurück
Iphofen
An Boris Beckers Schuh von 1985 klebt noch Erde aus Wimbledon
Das Knauf-Museum Iphofen zeigt Schuhe, die Geschichten erzählen. Geschichten von Sieg und Niederlage und vom immer wieder neuen Versuch, Schönheit und Nutzen zu verbinden.
Das ist er, der Schuh mit dem Boris Becker 1985 im Finale auf dem Rasen auf dem Centre Court in Wimbledon stand – und gewann.
Foto: Anand Anders | Das ist er, der Schuh mit dem Boris Becker 1985 im Finale auf dem Rasen auf dem Centre Court in Wimbledon stand – und gewann.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 08.02.2024 19:24 Uhr

Schuhe. Jeder braucht sie, und fast jeder hat eine Meinung dazu. Es gibt sie für unterschiedlichste Zwecke, in den unterschiedlichsten Farben und Formen. Mal sind sie Mittel zum Zweck, mal Ausdruck des persönlichen Geschmacks oder einer Lebenseinstellung. Mal sind sie buchstäblich Begleiter über Stock und Stein, mal sind sie mehr oder weniger kurzlebiges Modeaccessoire und Statussymbol.

Und manchmal erzählen sie sogar Geschichten. Abenteuergeschichten, Lebensgeschichten, Liebesgeschichten. Das Knauf-Museum in Iphofen zeigt bis 8. November in seiner Sonderausstellung  "Schuh-Stories" etwa 80 Schuhe mit Geschichte, von der Römer-Sandale aus dem zweiten Jahrhundert bis zum rotbesohlten 6000 Euro teuren Loafer von Louboutin, den sich eine Sammlerin tapfer zusammensparte. Vom mittelalterlichen Schnabelschuh, dessen möglichst lange Spitze vom Reichtum des Besitzers zeugte, bis zum eher unscheinbaren braunen Slipper, den Außenminister Hans-Dietrich Genscher trug, als er am 30. September 1989 vom Balkon der bundesdeutschen Botschaft in Prag seinen berühmten Satz sprach: "Wir sind heute zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise . . . " Der Rest ging bekanntlich im Jubel unter.

Wer einen Stilwechsel erwägt, wie hier Redakteur Mathias Wiedemann, der kann sich Anregungen im Knauf-Museum holen.
Foto: Anand Anders | Wer einen Stilwechsel erwägt, wie hier Redakteur Mathias Wiedemann, der kann sich Anregungen im Knauf-Museum holen.

Wer der eigenen (Lebens-)Geschichte zumindest eine Schuh-Episode hinzufügen möchte, der kann sich gleich im ersten Raum aus einem Regal mit möglichst ungewöhnlichen Schuhen bedienen, diese auf einem Laufsteg ausprobieren und sich dabei filmen lassen. Vielleicht inspiriert ja die silberne Monster-Plateausohle oder das rosafarbene Extrem-Stiletto zum einen oder anderen Stilwechsel.

Rassistische Anfeindungen nach der historischen Geste

Interessanterweise sind es auch und gerade Sportschuhe, die besonders viel Geschichte erzählen. Nicht nur Sportgeschichte. Fast gespenstisch gut in die Gegenwart passt die Geschichte des rote Puma-Laufschuhs mit den Minispikes, mit dem der Sprinter Tommie Smith 1968 in Mexico City Olympiagold über die 200 Meter holte. Bei der Siegerehrung senkten Smith und sein drittplatzierter Landsmann John Carlos, ebenfalls Afroamerikaner, den Kopf und reckten eine schwarz behandschuhte Faust in den Himmel. Dieser Protest gegen die Diskriminierung der afroamerikanischen Bevölkerung brachte beiden Athleten jahrzehntelange rassistische Anfeindungen ein.

Legendäre Geste: Nach seinem Olympiasieg 1968 demonstrierte Tommie Smith bei der Ehrung gegen die Diskriminierung der Afroamerikaner in den USA. Das Foto hat er für Puma-Mitarbeiter Helmut Fischer signiert.
Foto: Anand Anders | Legendäre Geste: Nach seinem Olympiasieg 1968 demonstrierte Tommie Smith bei der Ehrung gegen die Diskriminierung der Afroamerikaner in den USA. Das Foto hat er für Puma-Mitarbeiter Helmut Fischer signiert.

Bei Puma in Herzogenaurach hat Helmut Fischer 42 Jahre lang unzählige prominente Sportler betreut – von der Entwicklung der idealen Modelle für ihre Füße und ihre Sportart bis hin zur Ausstattung ihrer Vereine oder Verbände. Jetzt ist der 70-Jährige Archivar beim Sportartikelhersteller, oder "Senior Advisor", wie es auf seiner Visitenkarte heißt. Über die Jahrzehnte hat Fischer eine gigantische Sammlung mit 7500 Schuhen aufgebaut – vor allem Einzelexemplare, denn meist bekam und bekommt er von einem Paar Sieger- oder Rekordschuhe nur einen geschenkt.

Puma-Archivar Helmut Fischer vor einer Vitrine mit den Schuhen von Michael Schuhmacher, Pelé, Tommie Smith und Usain Bolt (von links).
Foto: Anand Anders | Puma-Archivar Helmut Fischer vor einer Vitrine mit den Schuhen von Michael Schuhmacher, Pelé, Tommie Smith und Usain Bolt (von links).

Für die "Schuh-Stories" im Iphöfer Knauf-Museum hat Fischer, quasi auf dem Weg zu weiteren Ausstellungen in London und Bordeaux, neben Tommie Smiths historischem Treter noch einige mehr herausgerückt. Den Schuh etwa, in dem Boris Becker 1985 als "siebzehnjährigster Leimener aller Zeiten" (Süddeutsche Zeitung) Wimbledon gewann. Bemerkenswert sind dabei nicht nur die Erdkrümel des Centre Courts, die noch in der Sohle hängen. Bemerkenswert ist auch der rote Streifen: Becker habe damals den ersten nicht vollkommen weißen Schuh in der Wimbledon-Geschichte getragen, erzählt Fischer.

Gold-Sohle: Spikes für Rekordläufer Usain Bolt.
Foto: Anand Anders | Gold-Sohle: Spikes für Rekordläufer Usain Bolt.

Eine Vitrine weiter der - bis auf weiteres - schnellste Schuh der Welt: Das Exemplar, mit dem Usain Bolt 2009 den Weltrekord von 9,58 Sekunden über 100 Meter aufstellte. Schuhgröße 44 übrigens. Tommie Smith, Boris Becker, Usain Bolt, Michael Schumacher oder die Fußballer Pelé und Marco Reus – Helmut Fischer ist ihnen allen nahe gekommen, die meisten hat er bei der Arbeit kennengelernt. Beim Tüfteln an der idealen Flexibilität einer Sohle oder der richtigen Dicke des Obermaterials.

Usain Bolt ist extrem locker, Michael Schumacher war sehr zuvorkommend

Usain Bolt habe er dabei als offenen, extrem lockeren Typen kennengelernt, Michael Schumacher als außerordentlich höflich und zuvorkommend: "Von dem könnten sich einige Promis eine Scheibe abschneiden". Und ihn Marco Reus traf der Schuh-Macher immer einen Optimisten: Reus wolle immer das Zitat "Hakuna Matata" ("kein Problem") aus dem "König der Löwen" auf seinen Schuhen stehen haben. Die Schuhe von berühmten Profifußballern sind übrigens nicht ganz so selten wie die von Sprint-Legenden: Acht sogenannte Farbwege hat jeder Bundesligaverein pro Saison für Trikots und Schuhe, die Spieler bekommen jeweils zehn neue Paare gestellt, 80 Paare also. 

Nur bedingt praxistauglich: Museumsleiter Markus Mergenthaler vor einem Paar perlmuttverzierter Badeschuhe aus dem Nahen Osten.
Foto: Anand Anders | Nur bedingt praxistauglich: Museumsleiter Markus Mergenthaler vor einem Paar perlmuttverzierter Badeschuhe aus dem Nahen Osten.

Es scheint, als zeige sich in keinem anderen Kleidungsstück das immer neue Wechselspiel von Form und Funktion so deutlich wie beim Schuh. Der eiserne Prangerschuh aus dem 17./18. Jahrhundert etwa ist nur Funktion: Eine gewollt unbequeme, mit Sicherheit schwere Konstruktion mit Schelle, die Verurteilte anziehen mussten, um einen Strafgang durch die Stadt zu absolvieren.

Für historisch Interessierte und für "Sneaker-Freaker"

Fast nur Form beziehungsweise Statussymbol hingegen dürften die perlmuttverzierten Badeschuhe aus dem Nahen Osten sein: Die extrem hohen Absätze schützten zwar sicherlich vor schmutzigem Wasser oder heißen Böden, allerdings ist schwer vorstellbar, dass die Trägerin damit allzu große Strecken zurücklegte, ohne sich Knöchel oder gar Genick zu brechen.

Kastanienschuh, Frankreich, um 1840: Kastanienschuhe dienten in der Anbauregion Ardèche zur Trennung von Esskastanien von ihrer dünnen, brauen Innenhaut. Ein Schuh wiegt etwa zwei Kilo. 
Foto: Anand Anders | Kastanienschuh, Frankreich, um 1840: Kastanienschuhe dienten in der Anbauregion Ardèche zur Trennung von Esskastanien von ihrer dünnen, brauen Innenhaut. Ein Schuh wiegt etwa zwei Kilo. 
Wer mit diesen Prangerschuhen durch die Stadt gehen musste, wurde mit Sicherheit bemerkt.
Foto: Anand Anders | Wer mit diesen Prangerschuhen durch die Stadt gehen musste, wurde mit Sicherheit bemerkt.

Den farbenfrohen chinesischen Lotus-Schuh von Anfang des 20. Jahrhunderts hingegen konnte die Trägerin nur anziehen, wenn ihr bereits als Kind im Sinne des Schönheitsideals "je kleiner, desto schöner" die Fußknochen gebrochen und eingebunden worden waren. Bei den mandschurischen Sockelschuhen aus dem 17. Jahrhundert schließlich ist von Funktion gar nichts mehr übrig geblieben: Die Damen, die sie trugen, brauchten zwei Diener, um sich damit auf den Beinen zu halten.

Museumsleiter Markus Mergenthaler ist zufrieden mit dem Neustart seines Hauses nach dem Lockdown. Auffällig viele jüngere Besucher locken die "Schuh-Stories" an, sagt er. Historisch und kulturhistorische Interessierte, aber auch Leute mit regelrechtem Schuh-Tick, hat er beobachtet. Dabei hat er von Sportschuh-Experte Helmut Fischer ein neues Wort gelernt: Bezieht sich der Schuh-Tick auf Sneaker, nennt man die derart Befallenen "Sneaker-Freaker".

Knauf-Museum Iphofen: "Schuh-Stories", bis 8. November. Geöffnet Di.-Sa. 10-17 Uhr, So. 11-17 Uhr. Der Katalog kostet 20 Euro. Infos: Tel. 09323/31- 528 und online www.knauf-museum.de

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Iphofen
Mathias Wiedemann
Badeschuhe
Boris Becker
Fußballspieler
Hans-Dietrich Genscher
Helmut Fischer
Kleidungsstücke
Knauf Museum Iphofen
Knauf-Museum Iphofen
Marco Reus
Michael Schumacher
Pelé
Profi-Fußballer
Schuhe
Senioren
Sportschuhe
Trikots
Usain Bolt
Wimbledon
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen