Manche Dinge holen einen ein. Es können unfreundliche Worte sein, die nicht vergessen, Versprechen, die gebrochen wurden. Oder Handlungen, die den Stolz verletzten. Auch Richard I., König von England aus dem Haus Plantagenet, musste die Suppe auslöffeln, die er sich eingebrockt hatte – unter anderem mit einem höchst unfreiwilligen Urlaub in Ochsenfurt.
Die Malaise begann im Heiligen Land, in Akkon, am Ende des Dritten Kreuzzugs (1189 - 1192): Richard ließ im Lager das Banner des Babenberger-Herzogs Leopold V. von Österreich herunterreißen und zertrampeln. Eine Beleidigung. Sie blieb nicht ohne Folgen für den Engländer, der unter den Rittern als Rabauke galt, aber auch als mutig und großzügig. Schon zu Lebzeiten erhielt er den Beinamen Löwenherz.
Es geht um Macht
Auch der Staufer Heinrich VI., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und mit Leopold verwandt, sowie Philipp II. August, König von Frankreich, waren Richard Löwenherz nicht freundschaftlich gesonnen. Dem einen gefiel dessen Einmischung in die Streitigkeiten um seine Machtansprüche in Königreich Sizilien nicht; der andere versuchte die Macht der Engländer auf dem französischen Festland – Teile des Angevinischen Reiches – zu schwächen.
Heiratspolitik sollte den Konflikt beruhigen. Doch Richard löste das Verlöbnis mit Philipps Schwester und heiratete eine andere Frau. Die Zeichen standen auf Sturm.
Der Deutsche und der Franzose hatten bereits 1191 verabredet, dass sie den Englänger nach seiner Rückkehr aus dem Heiligen Land gefangen nehmen lassen, schrieb der fränkische Historiker Siegfried Wenisch 1989 im Mainfränkischen Jahrbuch für Geschichte und Kunst. Dieser Plan wurde ein Jahr später, im Dezember 1192, umgesetzt – in Österreich.
Ein König als armer Pilger
Zwei Monate vorher hatte sich Richard Löwenherz auf den Weg nach Hause gemacht. Dass er dabei das Gebiet des zum Feind gewordenen Babenbergers durchquerte, war nicht beabsichtigt. Eigentlich hatte der König eine andere Route im Sinn.
Richard ahnte wohl, dass dies nicht gut ausgehen konnte. Er kleidete sich als armer Pilger. Genutzt hat es nichts. Wohl in Standesdünkel und Eitelkeit übersah er ein wichtiges Detail. Er vergaß, seinen königlichen Ring abzunehmen, berichtet der Chronist Otto von St. Blasien. Deshalb zog er die Blicke auf sich und wurde erkannt.
Herzog Leopold nahm König Richard kurz vor Weihnachten, am 20. oder 21. Dezember 1192 in Ertpurch – heute heißt der Ort Erdberg und ist ein Stadtteil von Wien – gefangen und brachte ihn weiter westlich in seine Burg Dürnstein in der Wachau.
Unterschiedliche Sichtweisen auf die Geschichte
Englische und deutsche Quellen schildern die Ereignisse unterschiedlich. So habe sich Richard tapfer verteidigt und nur Leopold sein Schwert übergeben und sich damit unter dessen Schutz stellen wollen, so die Hofschreiber Richards.
Nicht so heroisch lauten die deutschen Schilderungen. Dort heißt es, Leopold soll Richard wegen seiner Verkleidung höhnisch verlacht haben. Wenn es sich so zugetragen hat, dann war das wohl die Rache für die zertretene Fahne.
Über die Lösegeldverhandlungen selbst schweigen sich die deutschen Chronisten aus, heißt es im Katalog der Ausstellung „Richard Löwenherz. König – Ritter – Gefangener“, die im Historischen Museum der Pfalz in Speyer noch bis zum 15. April zu sehen ist. Es könnte ein Zeichen dafür sein, schreibt Knut Görich, „dass man im deutschen Reichsteil das Lavieren des Staufers, der zudem ungeachtet aller allgemeiner Schutzzusagen einen Kreuzfahrer gefangen hielt, als unwürdig und als Beschädigung der eigenen Ehre verstand“.
Es war ein Sakrileg, einen Kreuzzugsteilnehmer derart zu behandeln. Papst Coelestin III. drohte deshalb allen Beteiligten, allen voran Kaiser Heinrich, mit der Exkommunikation.
Auf der Burg Dürnstein blieb Richard Löwenherz nur wenige Tage – und nicht vier Jahre, wie es die Legende um Sänger Blondel erzählt, der dort seinen Herren durch ein Lied wiedergefunden haben will.
Mehrere Tonnen Lösegeld
Die schnöde Wirklichkeit sah anders aus. Leopold hatte von Kaiser Heinrich VI. den Befehl, Richard an ihn auszuliefern. Es ging um viel Geld, das beide aus dem Engländer herauspressen wollten.
Leopold und sein Gefangener reisten zum Hoftag nach Regensburg. Am 6. Januar 1193 trafen sie dort ein. Wenig später wechselte der Schauplatz nach Franken.
Vor 825 Jahren, am 14. Februar 1193, wurde in Würzburg der Auslieferungsvertrag geschlossen. Die Summe war exorbitant hoch: 100 000 Mark reinen Silbers sollten die Engländer für ihren König zahlen – in bar und nach Kölner Gewicht. Das entsprach über 23 Tonnen. Zudem wurden Richard Dienstverpflichtungen auferlegt. So sollte er am nächsten Sizilienfeldzug des Stauferkaisers teilnehmen.
Englische Gesandte in Ochsenfurt
Richard Löwenherz saß während dieser Verhandlungen in Ochsenfurt fest. Im März 1193 besuchten ihn dort englische Gesandte. In Richards Königreich wusste man seit seinem Aufbruch aus dem Heiligen Land 1192 einige Wochen nicht, wo er abgeblieben war. Erst ein Brief Kaiser Heinrich VI. informierte die Engländer über die Gefangennahme.
Von Ochsenfurt aus ging die unfreiwillige Odyssee im März 1193 nach Speyer zum Hoftag. Dort wurde weiter über das „Sündenregister“ Richards verhandelt – ein Schachzug des Kaisers, der damit die Gefangennahme legitimieren wollte.
Die hohe Summe blieb. Aber am Sizilienfeldzug sollte Richard nun nicht mehr teilnehmen, dafür 50 Schiffe und 200 Ritter bereitstellen. König Richard akzeptierte schließlich die Forderungen, die zu gleichen Teilen an Kaiser Heinrich und Herzog Leopold gehen sollten.
Adel und Kirche müssen zahlen
Richard Löwenherz bat seine adeligen Untertanen um Unterstützung. Auch die Kirche musste ihren Obulus entrichten. So sollen wertvolle Kelche eingeschmolzen worden sein. Das ging nicht von heute auf morgen.
Die nächste Station des englische Königs war im April 1193 die Burg Trifels, kurz darauf ging es weiter nach Hagenau. Es ist jedoch nicht dieser Ort, sondern das hoch über der Stadt Annweiler auf einem Felsen thronende imposante Gemäuer, das heute die Löwenherz-Fans anzieht.
Das heutige Erscheinungsbild der Burg Trifels stammt in Teilen allerdings aus der Zeit der Nationalsozialisten und nicht aus der der Salier und Staufer. Der Palas wurde ab 1938 von Architekt Rudolf Esterer „rekonstruiert“ und ist größer als der mittelalterliche.
Die Verhandlungen um Richard Löwenherz gingen erst in Worms zu Ende. Dort wurde die Dienstverpflichtung über 50 Schiffe und 500 Ritter für Sizilien in bare Münze „umgewandelt“ – 50 000 Mark Silber, das etwa 12 Tonnen entsprach.
Richard Löwenherz kommt frei
Erst am 4. Februar 1194 – nach über einem Jahr – endete seine Gefangenschaft auf dem Hoftag in Mainz. Eigentlich sollte er schon am 17. Januar 1194 seine Freiheit wiedererhalten. Der französische König Philipp und Prinz Johann Ohneland, der Bruder von Richard Löwenherz, wollten dies jedoch verhindern.
Beide hatten sich bereits bezüglich der englischen Festlandteile in Frankreich geeinigt. Der französische König bezeichnete in einem Brief an Johann dessen Bruder sogar als Teufel, so sehr fürchtete er dessen Freilassung und wohl auch Rache. Auch Johann wusste, dass ihm Ungemach drohte.
Beide boten Kaiser Heinrich eine hohe Summe, wenn er Richard deshalb weiter gefangen hielte. Die Summe von bis zu 150 000 Mark für ein weiteres Jahr hinter Burgmauern war so hoch, wie das Lösegeld für den englischen König. Doch auf dem Hoftag zu Mainz warfen die Bürgen der Lösegeldverhandlungen dem Kaiser Geldgier vor, wenn er sich darauf einlasse. Richard Löwenherz kam frei.
Seine Mutter Eleonore von Aquitanien holte ihn in Mainz ab. Zurück in England, wurde er zum zweiten Mal gekrönt. Damit von der erlittenen Schmach nichts an dem König hängen blieb, soll alles besonders feierlich gewesen sein, heißt es.
Tod durch einen Armbrustbolzen
Und Richard Löwenherz wäre nicht der gewesen, als der er in die Geschichte eingegangen ist. Sein Konflikt mit dem französischen König ging in die nächste Runde.
Richard eroberte Teile des Angevinischen Reiches zurück. In der Normandie gelang ihm ein entscheidender Sieg über Philipp. Doch das Schicksal schlug unerwartet zu. Am 25. März 1199 wurde er bei der Belagerung der Burg Châlus von einem Armbrustbolzen getroffen. Er starb am 6. April 1199 im Alter von 41 Jahren.
Sein Widersacher, der Österreicher Leopold war zu dieser Zeit bereits seit über vier Jahren tot. Lange konnte er sich nicht an seinem Anteil des Lösegelds erfreuen. Als wüsste er um sein nahes Ende, hatte er alles in kurzer Zeit ausgeben. Er baute unter anderem die Wiener Neustadt. Auf seinem Sterbebett wollte er reumütig den Rest nach England zurückgeben. Es waren lediglich 4000 Mark übrig.
König – Ritter – Gefangener
Die Ausstellung „Richard Löwenherz. König – Ritter – Gefangener“ ist im Historischen Museum der Pfalz in Speyer noch bis zum 15. April zu sehen: dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr. Jeden Sonntag beginnt um 11 Uhr eine öffentliche Führung (ohne Anmeldung). Info im Internet: www.museum.speyer.de
Um Robin Hood dreht sich bis 3. Juni die Familien-Ausstellung des Jungen Museums Speyer. Der sagenhafte Bogenschütze und Rebell soll in England während der Abwesenheit von König Richard Löwenherz gelebt haben. Sherwood Forest oder der Marktplatz und das Castle von Nottingham können in begehbaren Aktionsräumen erkundet werden. Dazu gibt es Hörspiele und Mitmachstationen – und eine Begegnung von Robin Hood mit Richard Löwenherz. (cj)