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BERLIN/WIEN
Als Anti-Karajan wurde Harnoncourt zum Revolutionär wider Willen
Nicolaus Harnoncourt
Foto: dpa | Nicolaus Harnoncourt
dpa
 |  aktualisiert: 04.12.2014 16:57 Uhr

Er ist ein Revolutionär wider Willen: Nikolaus Harnoncourt hat wie wohl kein anderer das traditionelle Verständnis der klassischen Musik hinterfragt. Lange wurden seine Interpretationen im Geist ihrer Entstehungszeit als Marotte abgetan. „Darmsaitenritter“, „Klangfetischist“ wurde er in der Szene geschmäht.

Doch wenn heute Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ federleicht klingen und Bachs „Weihnachtsoratorium“ auch ohne Weihrauchschwere die Zuhörer bewegt, ist das auch Harnoncourts Verdienst. Der in Berlin geborene und in Graz aufgewachsene Musiker wird am Samstag, 6. Dezember, 85 Jahre alt.

Seine Erkenntnisse sind aus den Konzertsälen nicht mehr wegzudenken. Dabei weist er ausgerechnet jene Begriffe zurück, die mit ihm in Verbindung gebracht werden. „Historische Aufführungspraxis“, „Originalklang“ – so etwas gebe es nicht. „Wir wissen ja nicht, wie die Musik zur Zeit von Monteverdi oder Bach klang“, sagt der Musiker. Helfen könne nur das Studium der Partituren.

Schon als junger Cellist bei den Wiener Symphonikern unter Herbert von Karajan interessierte er sich für Alte Musik. Aus der Beschäftigung mit den Quellen zog Harnoncourt eine radikale Konsequenz: Mit einem eigenen Ensemble wollte er sich auf die Suche nach dem durch Tradition und Gewohnheit verschütteten Klang begeben.

Anfang der 50er Jahre gründete er mit seiner Frau Alice Hoffelner das Ensemble Concentus Musicus, das sich zunächst der barocken Musik widmete. Dabei hinterfragte er das Bild des allwissenden Maestros und setzte auf den Dialog mit dem Ensemble – ein Anti-Karajan. Seine Frau Alice wurde Konzertmeisterin des Ensembles. Sie kümmerte sich um die Organisation und beschaffte Harnoncourt die geliebten Holzfällerhemden in Zehnerpacks.

In mühsamer Kleinarbeit stellte Harnoncourt das traditionelle Musizieren infrage, dieses „selbstverliebte Baden im üppigen Schönklang“, wie Dirigent Thomas Hengelbrock in der Geburtstags-Festschrift des Berliner Konzerthauses schreibt.

Ob bei Kantaten von Bach oder Opern von Monteverdi – plötzlich wurde die so fern geglaubte Musik gegenwärtig. Der Mozart-Zyklus an der Zürcher Oper wurde ebenso gefeiert wie Beethovens „Fidelio“ in Hamburg. Harnoncourt öffnete auch Opern-Zuhörern eine neue Sicht auf das Repertoire. Sogar die Traditions-Hochburg Salzburg lag ihm irgendwann zu Füßen. Sein Buch „Musik als Klangrede“ wurde eine unerlässliche Lektüre für Profi-Musiker.

Harnoncourt dirigierte Spitzenorchester wie das Concertgebouw-Orkest Amsterdam, das Chamber Orchestra of Europe, die Wiener und die Berliner Philharmoniker. Er wurde zum Weltstar. Dabei hatte er sich erst mit 17 für die Musik entschieden. Davor hatte er Marionetten-Schnitzer werden wollen.

 
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