Ein neues Album von AC/DC. Ist das ein Grund zum Jubeln für die Fans des geradlinigen Bluesrocks? Oder ist es nur eine Notiz für die Rock-Boulevard-Presse, denn seit langem präsentiert sich die Band wieder mal mit langjährigen, früheren Mitgliedern. Da ist in erster Linie Gitarrist Angus Young, klar, der mittlerweile 65-Jährige war immer dabei, wenngleich es sogar mal eine Zeit gab, da er der einzige „echte“ AC/DC-Mann in der Band war.
Für seinen Bruder, den 2017 gestorbenen Malcolm Young, bedient Neffe Stevie (63) die Rhythmusgitarre, am Schlagzeug sitzt wieder Phil Rudd, den Bass zupft Cliff Williams. Und, was fast niemand mehr für möglich hielt: Am Mikrofon lässt Brian Johnson die Stimmbänder schmirgeln, also ob nie was gewesen wäre. Dabei stand der 73-Jährige offensichtlich kurz davor, völlig taub zu werden, was eine längere Pause und die Medizintechnik wohl glücklicherweise zu verhindern wussten.
Die Fans sind mit dem, was es bereits gibt, vollauf zufrieden
So, das war es mit den Personalien, jetzt zur Musik. „Power up“ heißt das neue Werk, und es leidet wie alle Vorgänger-Alben seit 1983 darunter, dass eigentlich niemand darauf gewartet hatte. AC/DC trifft, wie so viele andere Rock-Künstler auch, der Fluch der guten Tat. Sprich: Die Fans sind mit dem, was es bereits gibt, vollauf zufrieden.
Da ist zum einen das grandiose Werk der Bon-Scott-Zeit (1974 bis 1980), das für die traditionelle AC/DC-Gemeinde ohnehin unantastbar und nicht zu toppen ist. Von „High Voltage“ über „Powerage“ bis hin zum Mega-Hit „Highway to Hell“: Sänger Bon Scott und die Gitarristen Angus und Malcolm Young haben es auf den ersten sechs Alben geschafft, Songs für die Ewigkeit aufzunehmen. Songs, die bösartig und schlitzohrig, traurig und witzig, zugleich aber eingängig und einzigartig klingen. Als Beispiele seien nur „TNT“ oder „The Jack“ genannt, beide bereits auf dem vor 45 Jahren erschienenen Debut-Album! In den frühen Jahren gab AC/DC dem Bluesrock unendlich viel Gitarre und eine unvergleichliche Stimme. Dazu die richtige Portion Schweiß, und nicht zuletzt gingen Augenzwinkern und Zunge rausstrecken eine bis dato unbekannte Kombination ein.
Nach der Ära Bon Scott kam die Zeit der großen Stadion-Hymnen
Nach dem Tod von Bon Scott begann die Ära des „neuen“ Sängers Brian Johnson. Es war die Zeit des Stadionrocks, in der AC/DC zu den ungekrönten Königen zählte und zu einem internationalen Mega-Seller aufstieg. Das Album „Back in Black“ aus dem Jahr 1980 ist mit über 50 Millionen verkauften Exemplaren nicht nur eine der erfolgreichsten Scheiben überhaupt, die darauf enthaltenen Songs wie „Hells Bells“ oder „Shook Me All Night Long“ wurden große, weltweit bekannte Rock-Hymnen.
Was macht eine Band, die einen eigenen Sound, eine ganze Stilrichtung geprägt hat? Fängt sie an, zu experimentieren und riskiert dabei, dass die Fans das Neue ablehnen? Oder lässt sie das Experiment weg und variiert das Bewährte immer und immer wieder? Angus Young hat sich für letzteres entschieden. Und mit Ausnahme von „Razors Edge“ mit dem Knaller „Thunderstruck“ im Jahr 1990, konnte kein einziges AC/DC-Album seit 1983 an den Wiederkennungswert der frühen Werke anknüpfen. Was sich übrigens in der Song-Auswahl der Live-Shows eindeutig niederschlägt.
Auch das neue Werk „Power up“ reiht sich in die Reihe der Scheiben wie „Black Ice“, „Rock or Bust“ oder „Ballbreaker“ein. Geradliniger Bluesrock mit Gitarren-Riffs, wie sie sich nur Angus Young ausdenken kann, darüber ein Brian Johnson, der Alter und Gesundheitsprobleme offenbar ignoriert. Gut hörbare Songs, allemal, aber natürlich alles im gewohnten Sound. Das war nicht anders zu erwarten. Die meisten Fans werden lieber „TNT“ auflegen.
AC/DC: "Power up", Columbia (Sony Music), ab 13. November