Haltet Wache und betet vor dem Vorhang‘“, sagte der Priester und hielt sich am Saum des Vorhangs fest, weil er nicht sicher auf den Beinen stand.“ Die Priester im alten Ägypten sind eine dem Wein verfallene, korrupte Bande. Die Religion benutzen sie vor allem, um im Volk Furcht zu verbreiten. Sogar das Getreide vergiften sie – um die eigene Machtposition zu stärken und immer mehr Reichtümer anzuhäufen. Gott und Gottesdienst sind Mittel zum Zweck, um ein Luxusleben führen zu können. So schildert der Schriftsteller Mika Waltari die Zustände in dem Land am Nil zur Zeit von Echnaton und Nofretete. „Sinuhe, der Ägypter“ ist ein Roman, ist letztlich Fiktion, mag die sich auch auf Fakten stützen.
Tatsache ist: Priester hatten in Ägypten großen Einfluss – und das über Jahrtausende hinweg. Der Romancier und Fachbuchautor Philipp Vandenberg mutmaßt, Echnaton habe den Aton-Kult auch deswegen eingeführt, um die Macht der Amun-Priester zu brechen.
Eineinhalb Jahrtausende später mussten sich die Ptolemäer, makedonisch-griechische Herrscher über das Reich am Nil, „mit den Priestern arrangieren und sich ihre Gunst sogar erkaufen“, erklärt der Würzburger Ägyptologe Martin Stadler. „Die Priesterschaft war auch eine starke weltliche Macht.“ Zentren dieser Macht waren die Tempel, deren Bedeutung und Funktion das Martin von Wagner Museum der Würzburger Universität im Südflügel der Residenz eine Ausstellung widmet (siehe Kasten).
Die Struktur der Tempel sei über die Jahrtausende hinweg vergleichsweise stabil geblieben, so Stadler, Privatdozent am Lehrstuhl für Ägyptologie der Universität. Die Welt der Götter aber war, seit den Zeiten von Pyramidenbauer Cheops – er herrschte wohl zwischen 2620 und 2580 vor Christus – bis zur Ptolemäerzeit, die 332 mit der Eroberung Ägyptens durch Alexander den Großen begann, im Fluss.
Das Pantheon der Ägypter war regional besetzt. Amun startete seine Karriere als Gott in Theben zur Zeit des sogenannten Mittleren Reiches (2040 bis 1658). Zum Reichsgott stieg er erst im Neuen Reich (1552 bis 1306) auf. Als Amun-Re vereinte er die Eigenschaften verschiedener Götter, war Sonnen-, Wind- und Fruchtbarkeitsgott zugleich. Mit seiner – geglaubten – Machtfülle stieg die – reale – Machtfülle seiner Priester.
Doch Amun hatte Konkurrenz, regionale Götter blieben wichtig. Der jeweilige Hauptgott war dabei „immer auch Schöpfergott“, erklärt Martin Stadler. „Die Gläubigen empfanden das nicht unbedingt als Widerspruch.“ Teils wurde die gleiche Schöpfungsgeschichte verschiedenen Göttern zugeschrieben. Andererseits wurde in Theben eine andere Schöpfungsgeschichte erzählt als in Memphis. In der Zeit der Ptolemäer wanderten Griechen ein und brachten ihre Götter mit. Es gab Mischgötter wie den hellenistisch-ägyptischen Serapis. Auch der König (Pharao) mischte mit im verwirrenden Spiel der Göttervielfalt. Kraft Amtes war er irdischer Repräsentant der Himmlischen. Kleopatra, die letzte ägyptische Königin von Ägypten, nahm sich 30 vor Christus selbst das Leben. Nach ihr ließen sich die römischen Kaiser als Pharaonen im Götterkult darstellen.
Der Mann von der Straße war vom Reigen der Mächtigen und Götter weitgehend ausgeschlossen. Zutritt zum Inneren des Tempels, wo das Götterbild stand, hatte er nicht. „Er hatte Zugang zu einer Art Kapelle“, erklärt Ägyptologe Stadler. Die war dem Allerheiligsten nahe – doch eine Wand trennte den gewöhnlichen Menschen vom Gott. Die Priester, die Privilegierten, wollten unter sich bleiben. Wollten die Aura des Geheimnisvollen pflegen, die das Innere des Tempels umgibt. Was wiederum ihre Macht stärkte.
Der Tempel war nicht nur Kultstätte. „Da arbeiteten Handwerker, da waren Schreiberschulen“, so Stadler, „es waren Stein gewordene Bibliotheken“ – für die wenigen, die lesen konnten. Zum Tempel gehörten Ländereien, „Allein Karnak erhielt von Ramses III. 238 000 Hektar zur Bewirtschaftung.“ Ein gut gehender Tempel war nicht nur Zentrum der Spiritualität, sondern auch Hort des Reichtums.
Dass Priester dem Lockruf des Geldes folgten und ihre Macht missbrauchten, um sich zu bereichern, ist unvermeidlich. Priester sind auch nur Menschen und derartiges soll auch in anderen Religionen vorkommen. Sogar im Christentum. Mika Waltari lag mit seinem Roman womöglich nahe bei der Wirklichkeit – und nicht nur der in Ägypten zur Zeit des Echnaton und der Nofretete.
Ägypten-Ausstellung in Würzburg
Über 100 Ausstellungsstücke zeigt das Würzburger Martin von Wagner Museum (Residenz, Südflügel) in „Kultorte – Mythen, Wissenschaft und Alltag in den Tempeln Ägyptens“. Der Würzburger Ägyptologe Martin Stadler, der die Schau mit Designern der Uni Tübingen konzipierte, möchte erreichen, dass der Museumsbesucher „eintaucht in eine faszinierend andere Welt“. Drum ist die Ausstellung inszeniert. Die Atmosphäre ist stimmig. Der Besucher schreitet durch fünf Vorkammern und vollzieht so – auch spirituell – den Weg der Priester des alten Ägypten nach. Zwei fünf Meter hohe Säulen mit ägyptischen Schriftzeichen markieren den inneren Bereich und lenken den Blick über die „Kult-Achse“ auf eine Götterfigur in Falkengestalt. Ein rares Stück, und ein Highlight der Ausstellung. In Vitrinen rund um die „Kult-Achse“ sind Statuetten zu sehen, ein Kanopenkasten (darin wurden die Eingeweide mumifizierter Toter aufbewahrt), eine Mumienbrustauflage, Gefäße und vieles mehr. Öffnungszeiten bis 11. Februar: Dienstag bis Samstag 13.30–17, Sonntag 10–13.30 Uhr.