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Adorf und seine Mafiosi
85. Geburtstag: Wie er lernte, derart gekonnt Mafiosi zu spielen? Im Interview zu seinem 85. Geburtstag verrät Mario Adorf nicht nur das, sondern auch, warum er beinahe Maler oder Bildhauer geworden wäre.
Mario Adorf 'Schauen sie mal böse'       -  Charmanter Blick: Mario Adorf bei einer seiner Lesungen, bei denen er auch viel aus seinem Lebens als Schauspieler erzählt.
Foto: dpa | Charmanter Blick: Mario Adorf bei einer seiner Lesungen, bei denen er auch viel aus seinem Lebens als Schauspieler erzählt.
dpa
 |  aktualisiert: 11.12.2019 14:49 Uhr

Mario Adorf könnte als Mittsechziger durchgehen: Jeans, Pulli locker über das blau-weiß gestreifte Hemd geschlungen, schlohweiße Haare, wacher Blick unter buschigen Augenbrauen. Seinen ersten Film hat er vor über 60 Jahren gedreht, im Herbst geht er mit seinem neuen Buch auf Tournee. Darin schildert er, illustriert mit eigenen Zeichnungen, lustige und besinnliche Begebenheiten aus seinem langen Schauspielerleben. Am 8. September wird Mario Adorf 85 Jahre alt.

Frage: Was ist wichtiger, um erfolgreich zu sein – Talent oder Fleiß?

Mario Adorf: Glück. Ich würde sagen, es ist sehr viel Glück dabei. Talent ist sicher Voraussetzung. Und bei mir war es sicher eine sehr frühe kindliche und eine bleibende Spielfreude, mein italienisches Erbteil. Die Freude am Spiel soll man sich bewahren. Fleiß ist da nötig, wo etwas gelernt werden will. Es kann nicht alles aus der schieren Freude kommen, das merkt man sehr schnell, wenn man ans Theater kommt.

Waren Sie ein fleißiger Student?

Adorf: Die Schauspielschule habe ich manchmal geschwänzt, denn ich hatte ja schon viel Wissen vom Studium vorher. In Theorie hatte ich da einen Vorteil. Stattdessen bin ich ins Theater gegangen, in die Kammerspiele. Da lernt man Bewundern, auch Demut und Bescheidenheit. Ich schäme mich nicht zu sagen, dass ich fünf Minuten vor Beginn der Probe ins Theater ging, nur um einem bewunderten Schauspieler die Tür aufzuhalten.

Gefallen Sie sich als Schauspieler heute besser als zu Ihren Anfangszeiten?

Adorf: Wenn ich alte Sachen sehe, finde ich manches nicht so ganz toll, anderes wiederum erstaunlich, wo ich sage: Ach, dass du das damals so gespielt hast. Es gibt natürlich im Lauf der Jahre Erfahrung, Sicherheit und Gelassenheit. Aber grundsätzlich würde ich wahrscheinlich alles wieder genauso machen. Ich werde oft gefragt, ob ich weise bin – ich weiß überhaupt nicht, was das ist. Ich kann bei mir keine große Veränderung entdecken. Ich habe vermieden, mich zu wiederholen, Rollen genau so zu spielen, wie ich sie schon mal gespielt habe, mich auf meine Wirkung zu verlassen.

Was ist Ihre Lieblingsrolle?

Adorf: Da fallen mir einige ein, auch kleine, die man gar nicht mehr kennt. Ich habe aber doch letzten Endes immer gerne die komischen, schrägen Rollen gespielt. Alles, was ich gespielt habe, musste ich mal gesehen haben. Das gilt auch für den berühmten Generaldirektor Heinrich Haffenloher (in „Kir Royal“ von Helmut Dietl).

Als Schurke überzeugen und begeistern Sie die Menschen. Wie machen Sie das?

Adorf: Es kommt alles aus der Beobachtung. Ich habe auch echte Mafiosi kennengelernt. Das sind sehr beunruhigende Leute.

Wie haben Sie die kennengelernt?

ADORF: Bei einem Besuch beim italienischen Teil meiner Familie in Kalabrien. Meine Stiefschwestern hatten eine Obstplantage. Die konnten ihre Mandarinen und Apfelsinen nicht auf den Markt bringen, sondern nur an die Mafia verkaufen, für einen erheblich geringeren Preis. Das war zwar ein festes, garantiertes Geschäft, aber ein Verlustgeschäft. Da kam so ein Mafioso zu Besuch und forderte ein Hochzeitsgeschenk für seine Tochter ein. Er war ein hochgefährlicher Mann, der ganz schlimme Sachen gemacht hat und später im Gefängnis saß. Meine Schwestern waren beunruhigt, als er meinen alten Jaguar bewunderte, den ich damals fuhr.

Von dem haben Sie gelernt, wie die sind?

aDORF: Ja, wie die sprechen. Mit einer großen Sicherheit, mit einer gefährlichen, blumigen Art sich auszudrücken. Aufgefallen ist er mir durch die Stimme und die Art zu sprechen. Und das hat mir sehr geholfen im Spiel dieser Typen. Es sind natürlich auch die Blicke, die Haltung, diese Undurchsichtigkeit – sehr verhalten und letztlich gefährlich.

Der Titel Ihres Buchs ist „Schauen sie mal böse“. Dazu hat Sie 1957 der Regisseur Robert Siodmak aufgefordert und es Ihnen auch vorgemacht. Kann man das böse Schauen lernen?

aDORF: Ich konnte es ja gar nicht, aber bei der Darstellung des Bruno Lüdke („Nachts, wenn der Teufel kam“) hat mir mein Studium schon sehr geholfen. Ich hatte eine zeitlang Kriminologie belegt. Da habe ich von den großen Mordfällen gehört und erfahren, wie Sexualmörder funktionieren.

In Ihrem Buch sind Zeichnungen von Ihnen. Zeichnen Sie gerne?

Adorf: Ich bin nicht ausgebildet. In der Schule hatte ich im Zeichnen eine Eins. Nach dem Krieg habe ich Geld damit verdient, indem ich für Leute Zeichnungen anfertigte, in denen ich zur Erinnerung ihre zerstörten Häuser nach alten Fotovorlagen wieder auferstehen ließ. Später habe ich mit dem Gedanken gespielt, Maler zu werden, habe auch Kunstgeschichte studiert, aber 1950 hatten wir keine Pinsel, keine Farben, keine Leinwand, es gab nichts. Es hat für den Maler nicht gereicht. Auch Bildhauer wäre eine Möglichkeit gewesen.

War die Schauspielerei also der richtige Weg?

Adorf: Es war zu jener Zeit der einfachste, direkteste Weg zum Erfolg. Es steckt viel Arbeit drin. Aber weil die Lust am Spielen da war, wurde es nicht als Arbeit empfunden. Ich habe einen Beruf, der glücklicherweise Spaß macht.

Was raten Sie Menschen, die mit 65 in Rente gehen? Die könnten ja Ihre Kinder sein!

Adorf: Ich habe Freunde, die in vollem Saft aufhören mussten – und dann in ein Loch fielen. Wenn man einen körperlich anstrengenden Beruf hatte, ist es etwas anderes. Ich empfinde großes Glück, weitermachen zu können, ohne Pause, ohne Krise. Das war nicht allen Kollegen vergönnt. Man kann nur Danke sagen.

Mario Adorf

Mario Adorf ist das nichteheliche Kind einer aus der Eifel stammenden deutschen Röntgenassistentin und eines verheirateten italienischen Chirurgen. Er wächst bei seiner Mutter in Mayen in der Eifel auf, wo er aufs Real-Gymnasium geht. Ab 1950 studiert er an der Universität Mainz Philosophie, Psychologie, Kriminologie, Literatur, Musikgeschichte und Theaterwissenschaften. Er betätigt sich in einer Studentenboxstaffel sowie an der Studentenbühne. 1953 geht er zur Fortsetzung seines Studiums nach Zürich und arbeitete dort als Statist und Regieassistent am Schauspielhaus. Kurz darauf bricht er sein Studium ab. Es folgt eine Schauspielausbildung an der Otto-Falckenberg-Schule in München. 1954 tritt Mario Adorf mehrmals an den Münchner Kammerspielen auf. Nach einigen kleineren Filmrollen wird er durch seine Darstellung eines psychopathischen Frauenmörders in „Nachts, wenn der Teufel kam“ bekannt.

Danach ist er viele Jahre auf Schurkenrollen festgelegt. In „Winnetou 1. Teil“ spielt er die Rolle des Gangsters Santer, der Winnetous Schwester Nscho-tschi (Marie Versini) erschießt. In der Kriminalkomödie „Die Herren mit der weißen Weste“ verkörpert er den Ganoven Bruno „Dandy“ Stiegler. Erfolge feiert Adorf auch im internationalen Kino. Sein Repertoire drückt sich meist in Charakteren aus, die zwischen raubeinigen Knechten oder Ganoven und edlen Mafiosi oder ehrenwerten Signori liegen. Auffällig ist Adorfs Vorliebe für die italienische Kultur. Auch komödiantisches Talent beweist er mehrfach, darunter in Filmen wie „Kir Royal“ (genial als Direktor Haffenloher) oder „Rossini“. Auch für den Jungen Deutschen Film ist er tätig. So interpretierte er in „Die Verlorenen Ehre der Katharina Blum“ den zwielichtigen Kommissar Beizmenne, in der „Blechtrommel“ den Vater Matzerath. Ab Mitte der achtziger Jahre wandelt sich sein Film-Image, Adorf wird zur Idealbesetzung von Patriarchen, insbesondere von mächtigen Unternehmern wie in dem Fernsehvierteiler „Der große Bellheim“.

Er tritt in zahlreichen Fernsehfilmen, vorzugsweise in denen von Regisseur Dieter Wedel, auf und betätigt sich als Theaterschauspieler. In mehr als 50 Jahren hat Adorf in über 120 Filmen mitgespielt. In den letzten Jahren tritt er mehrfach auch als Buchautor (und Sänger) in Erscheinung. Außerdem ist er als Synchronsprecher tätig, leiht beispielsweise dem Drachen in „Dragonheart“ seine Stimme. Seine erste Ehefrau ist die Schauspielerin Lis Verhoeven. Aus dieser Beziehung stammt Tochter Stella Adorf, ebenfalls Schauspielerin. Adorf ist seit 1985 in zweiter Ehe verheiratet. Seine besondere Verbundenheit zu Mayen, der Heimat seiner Kindheit, drückt Adorf wiederholt durch örtliche Engagements, zum Beispiel als Schirmherr der dortigen Burgfestspiele, aus. Die Stadt Mayen verleiht ihm 2001 die Ehrenbürgerschaft. Und seit dem 30. August 2004 ist Adorf Ehrenmitglied von Alemannia Aachen. Text: DPA, WP

 
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