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PARIS
Abschied von Aznavour
Nachruf Seine legendäre Stimme wird unvergessen bleiben. Vor allem aufgrund des unverwechselbaren Timbres. Jetzt ist der Chansonnier Charles Aznavour in der Nacht auf Montag im Alter von 94 Jahren gestorben.
Birgit Holzer
 |  aktualisiert: 03.12.2019 10:48 Uhr

Er sang bis zuletzt und stand selbst mit 94 Jahren noch auf der Bühne. Gerade war Charles Aznavour von einer Japan-Tournee zurückgekommen, nachdem er im Sommer aufgrund eines Armbruchs Konzerte absagen musste. Als er vor gut einem Jahr seinen Stern auf dem Walk of Fame in Hollywood erhielt, erschien er persönlich zur Einweihung der Plakette. Nun aber, in der Nacht auf Montag, ist der Sänger, Liedtexter, Komponist und Schauspieler im südfranzösischen Alpilles gestorben.

Er galt als einer der größten Vertreter des französischen Chansons, als „französischer Frank Sinatra“ und Legende schon zu Lebzeiten mit einer beeindruckenden Bilanz: Mehr als 180 Millionen Platten verkaufte er. In etwa 60 Filmen spielte er mit. Rund 1300 Lieder verfasste er in verschiedenen Sprachen, darunter „La Boheme“, „She“ und „Du lässt dich geh'n.“

Der lebensfrohe Melancholiker Aznavour vertrat ein weltoffenes, vielfältiges Frankreich weit über dessen Landesgrenzen hinaus. „Ich habe mich für alle Musikrichtungen interessiert und bin stolz, dass ich dabei auf eine Weise der Erste in Frankreich war“, sagte er von sich selbst. „Deshalb hatte ich Erfolg in den maghrebinischen Ländern, bei den Juden, den Russen.“

Als in Paris geborener Sohn von Armeniern verlieh er der Diaspora der ehemaligen Sowjetrepublik eine Stimme, wurde 1993 deren „Sonderbotschafter für humanitäre Aktionen“, 1995 Unesco-Sonderbotschafter und 2009 Botschafter in der Schweiz, wo er nach steuerlichen Problemen mit Frankreich lebte. Lautstark trat er für die offizielle Anerkennung des Massenmords an den Armeniern als Genozid ein, vor dem seine eigenen Eltern geflohen waren.

Der Vater – eigentlich ein Sänger – eröffnete zunächst ein kleines Restaurant, dann ein Café in der französischen Hauptstadt, während die Mutter als Schauspielerin Kontakt zu zahlreichen Künstlern pflegte.

Auch den jungen Charles zog es früh auf die Bühne, der sich in einer Schauspielschule einschrieb und bald erste kleine Rollen übernahm. Durch seine singende Schwester Aida lernte er zudem die Welt des Kabaretts und des Chansons kennen. Zunehmenden Erfolg hatte er auch beim Schreiben von Liedern und ab 1941 bei Auftritten mit seinem Bühnenpartner Pierre Roche.

Die Begegnung mit Edith Piaf im Jahr 1946 sollte Aznavours Karriere eröffnen und der Auftakt einer Verbindung beider Künstler bis zu Piafs Tod sein, einer „Art Liebes-Freundschaft, ohne je ihr Bett geteilt zu haben“, wie er es später formulierte. Mit Pierre Roche folgte er Piaf auf eine Tour in die USA und Kanada, wo sie die Säle füllten, bevor er nach seiner Rückkehr 1950 auch Paris eroberte, zuerst mit dem Schreiben von Liedern für Stars wie Juliette Gréco und Maurice Chevalier.

Nach anfänglichem Spott über sein „undankbares Aussehen“, seine kleine Statur und seine raue Stimme stellte sich mit seinem Hit „Je m'voyais déja“ auch der Erfolg als Sänger ein. Aznavour reihte Auftritte in Frankreich und im Ausland aneinander, und ließ sich, zunächst ohne Englisch zu sprechen, auch in New York und am Broadway feiern. Größen wie Frank Sinatra, Ray Charles oder Liza Minnelli griffen die englischsprachigen Versionen seiner Chansons auf. Besonders oft sang er, der dreimal verheiratet und sechsfacher Vater war, über die Liebe, die Familie. Mit seinen eingängigen und doch berührenden Liedern eroberte Aznavour verschiedenste Alters- und soziale Klassen. Daneben stand er vor der Kamera etwa in „Schießen Sie auf den Pianisten“ von François Truffaut oder in Volker Schlöndorffs Oscar-prämierten Film „Die Blechtrommel“. Erst 2008 gab er sein Karriereende als Schauspieler bekannt, während er mehrere Abschiedstourneen als Sänger gab – definitiv waren sie nie.

Sein Lebens- und Erfolgsrezept beschrieb der unermüdliche Aznavour selbst in seiner Autobiographie „Mit leiser Stimme“: Wer zu schnell voraneile, ende im „Paradies der Illusionen“: „Es gibt kein Geheimnis, das Schwerste bleibt immer noch zu erfüllen: durchhalten.“ Das hat er bis zum Schluss.

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