Er hat Romy Schneider geküsst, Nacktszenen mit Brigitte Bardot gedreht und für Regisseur Nanni Moretti den Papst gespielt. In mehr als 200 Filmen hat Michel Piccoli immer wieder überrascht. Zu seinem 90. Geburtstag (27. Dezember) legt der Charakterdarsteller eine bewegende Autobiografie vor. Er sei noch am Leben, dennoch sei alles vorbei, schreibt er. Er sei in jener Situation, in der man über ihn bereits in der Vergangenheit erzähle.
„J'ai véçu dans mes reves“ (etwa: Ich habe in meinen Träumen gelebt) hat die Ikone des französischen Kinos gemeinsam mit Gilles Jacob veröffentlicht, dem Ex-Präsidenten des Filmfestivals von Cannes. Die beiden kennen sich seit 40 Jahren. Als Piccoli 1980 für „Der Sprung ins Leere“ in Cannes die Goldene Palme als bester Darsteller gewann, war der heute 85-jährige Jacob künstlerischer Leiter, bevor er 2001 bis 2014 die Spitze des Festivals übernahm. In dem Drama von Marco Bellocchio spielt Piccoli einen Untersuchungsrichter, der sich seiner Schwester entledigen will. Jacob gegenüber plaudert Piccoli aus dem Nähkästchen – Geständnisse, die er in der Öffentlichkeit bislang vermied.
Mit Romy Schneider drehte er sechs Filme, darunter „Die Dinge des Lebens“ und „Das Mädchen und der Kommissar“. Sie seien manchmal schwach geworden und hätten sich zu nicht immer „ehrlichen Gesten“ hinreißen lassen, doch das habe nicht die Freundschaft zerstört, die beide miteinander verbunden habe. Selten wurde der Film- und Theaterdarsteller so intim. Piccoli ist der Sohn einer Musikerfamilie italienischer Herkunft. Sein Vater war Violinist, seine Mutter Pianistin. Eltern ohne Leidenschaft, wie er schreibt. Er kam nach dem Tod des von seiner Mutter über alles geliebten Bruders zur Welt. Seine ganze Kindheit über habe er mit einem Phantom gelebt. „Das Theater war in erster Linie der Wunsch gewesen zu fliehen“, offenbart er.
Von Hitchcock bis Godard
Schauspielstudium, Auftritte auf verschiedenen Bühnen und ab 1960 Filme mit Stars wie Brigitte Bardot, Romy Schneider und Regisseuren wie Alfred Hitchcock, Luis Bunuel und Jean-Luc Godard. Leidenschaftlicher und romantischer Liebhaber (er war mehrmals verheiratet, darunter mit Juliette Gréco), eiskalter Mörder, verzweifelter Künstler – Piccoli hat so ziemlich alles gespielt, auch den Papst.
„Habemus Papam“ von Nanni Moretti wurde 2011 in Cannes gezeigt.
Piccoli gehört zu den Schauspielern, die mit Mimik und wenigen Gesten überzeugen – allein die Art, wie er seine buschigen Augenbrauen zusammenzieht! Agnes Varda: „Er versteht es, seine Kunst zu verbergen, weil er die Gabe hat, sie sparsam einzusetzen.“ Für die 87-jährige Regisseurin spielte er in „Hundert und eine Nacht“, eine Hommage auf 100 Jahre Filmkunst. Darin gibt Piccoli Monsieur Cinéma, einen alten Mann, der die ganze Filmgeschichte Revue passieren will. Doch leider lässt sein Gedächtnis nach. Foto: dpa