Es gibt Kunstwerke, die haben eine besondere, eine wundersam anmutende Geschichte – ein Schicksal. Dieses Wort impliziert, dass eine höhere Macht anscheinend Einfluss nimmt. Ein nicht vorauszusehendes Ereignis verändert die ursprüngliche Bedeutung und Rezeption. Die „Große Kugelkaryatide N. Y. “ des 1924 in Würzburg geborenen und in Landshut lebenden Künstlers Fritz Koenig ist ein anschauliches Beispiel dafür.
Sie galt bis zum 11. September 2001 als Symbol für Freiheit, den Weltfrieden, das Leben. Doch dann wurde „The Sphere“, so wird das Werk in den USA genannt, nach dem Einsturz der Zwillingsstürme des World Trade Centers in New York zum Erinnerungsmonument für Leid und Tod.
Sie steht für einen Wendepunkt in der jüngsten Weltgeschichte: für einen der fürchterlichsten Terroranschläge. Fritz Koenig bezeichnet sie als „Trägerin einer doppelten Erinnerung an die Zeit vor dem Attentat – und an das Attentat selbst“. Zugleich wandelte sich die Skulptur zu einem Mahnmal für die beinahe 3000 Menschen, die der Terroranschlag das Leben kostete. Für die Amerikaner stellt sie eine Ikone der Hoffnung für ihr in den Grundfesten erschüttertes Land dar.
Letztlich konnte die „Kugel“ dies alles nur werden, weil sie selbst die Katastrophe vor genau 15 Jahren „überlebte“.
Die imposante Großbronze drehte sich fast drei Jahrzehnte im Zentrum der Brunnenanlage auf der Plaza des World Trade Centers langsam um ihre eigene Achse und präsentierte dabei ihre unterschiedlichen Ansichten. Sie bildete mit ihrer Rundung ein geerdetes Gegengewicht zu den in den Himmel aufstrebenden eckigen Türmen. Als sie unter den einstürzenden Twin Towers begraben wurde, bekam sie zwar ein paar tiefe Dellen, Risse und Kratzer ab. Das sind jedoch erstaunlich wenige Beschädigungen angesichts des Ausmaßes des Desasters. Als „versehrt, aber nicht zerstört“ beschrieb es ihr Schöpfer, als sein Werk unter den Trümmern unverhofft wieder auftauchte „mit eingeschlagenem Stirnschädel“, so Fritz Koenig. Er hatte geglaubt, es sei für immer verloren. Als die Skulptur wenige Tage nach dem Anschlag wie Phoenix aus der Asche wieder auftauchte, fand man zerfetzte Telefonbücher, Holzstücke, Reste von Flugzeugsitzen . . .
Ein halbes Jahr später bekam „The Sphere“ einen neuen Aufstellungsort – im Battery Park an der Südspitze Manhattans. Ein ewiges Licht leuchtet am Boden. Das demolierte Kunstwerk war bis 2014 zur Einweihung der nationalen Gedenkstätte „National September 11 Memorial and Museum“, auch „9/11 Memorial“ genannt, ein Anlaufpunkt für die Angehörigen der Opfer. Vor allem aber ist die „Kugel“ bis heute die authentischste Erinnerung. Jeden Tag kommen unzählige Menschen vorbei, Angehörige der Opfer, Passanten, Touristen.
Bald wird „The Sphere“ einen erneuten Ortswechsel erleben. Wie die Port Authority of New York and New Jersey mitteilte, kehrt sie 2018 wieder auf das Gelände des World Trade Centers zurück und bekommt im Liberty Park innerhalb des Memorial-Komplexes ihren wohl endgültigen Platz.
Der Architekt der Twin Towers, Minoru Yamasaki, beauftragte Fritz Koenig 1967, eine Skulptur für die Plaza am Fuße der Türme zu schaffen. 1972 hat der Künstler die Kugelkaryatide auf seinem Anwesen in Ganslberg, einem kleinen Dorf in der Nähe Landshuts, vollendet. Er baute eigens dafür eine Werkhalle. Dort entstand das Gipsmodell und erlebte die Bronzeskulptur ihre erste Aufstellung. Am Ende war „sein größtes Kind“ über sieben Meter hoch und bestand aus 67 Einzelteilen mit insgesamt rund 25 Tonnen Gewicht.
Im Skulpturenmuseum im Hofberg in Landshut stehen Modelle, hängen Zeichnungen, Skizzen und Entwürfe an der Wand. Einige vermitteln den unheimlich anmutenden Eindruck von Vorahnung, als ob das künftige Schicksal der „Großen Kugelkaryatide“ bereits vor ihrer Vollendung feststand beziehungsweise der Künstler „wusste“, dass eines Tages Leid und Tod mit seinem Werk für immer verbunden sein werden. So zeigt ein Bild aus dem Jahr 1967 verschiedene Ansichten der Kugelkaryatide. In ihrer Reihung erinnern sie an Schädel, an schwebende Totenköpfe in einer silbergrauen diffusen Umgebung.
Miteinbezogen in diese heute visionär wirkenden Werke gehört auch der Papierschnitt „Beben-XI“ von 1994. Auf einer Fläche aus rotem faltigem Packpapier hat der Künstler zwei eingestürzte Gittertürme gestellt. Bei einer Führung durch sein Museum bestätigte Fritz Koenig einst die Vorahnung, die er bereits damals hatte: „Ich habe die geknickten Türme in eine geknitterte Umgebung gestellt, als ich noch nicht gewusst habe, dass ich mit meiner Kugel unter die Trümmer gerate.“ Dieser Satz drückt die tiefe Verbundenheit des Künstlers mit seinem Werk aus. Die „Kugel“ gehört zu seinen bewegendsten und wichtigsten Werken, heißt es aus Landshut. Ebenso, dass sie mit zwei größeren Themenkomplexen innerhalb seines Werkes verwandt sei.
Ein Hinweis ist bereits der Name des Kunstwerks. Sie gehört zum Themenkomplex der „Karyatiden“, weibliche klassische Tragefiguren in der Architektur. Bei Fritz Koenig stehen sie nicht nur dafür, sondern für menschliche Befindlichkeiten – für das Tragen von seelischen Lasten.
Speziell die Kugelkaryatide würde an Heinrich Heines Gedicht „Die Heimkehr“ beziehungsweise an den unglückseligen Atlas erinnern, der das Himmelsgewölbe stützt – an die Zeile „Eine Welt, die ganz Welt der Schmerzen muss ich tragen“, schrieb der erst kürzlich gestorbene Kunsthistoriker Peter Anselm Riedl im Werkkatalog Koenigs mit dem Titel „Meine Arche Noah“.
Eine weitere, zunächst weniger offensichtliche Verbindung besteht auch zum Themenkomplex der „Augenvotive“ innerhalb des Werkes Fritz Koenigs. Der Künstler habe, als er sich mit seiner „Kugel“ auseinandergesetzt hat, an einer Augenerkrankung gelitten. Dort, wo die Schale aufbricht, quellen organische Formen aus der blessierten Kugel. Eine davon erinnert trotz der Blessuren noch heute an ein abstrahiertes Auge. Schon beim Entwurf setzte sich der Künstler also mit unterschiedlichen Aspekten von Bedrohung auseinander.
Dann kam der 11. September 2001 und veränderte die Rezeption. Der Regisseur Percy Adlon, mit dem der Künstler seit vielen Jahren freundschaftlich verbunden ist, hat über „Koenigs Kugel“ eine Dokumentation gedreht. „Koenig's Sphere“ wird am Sonntag im Skulpturenmuseum im Hofberg in Landshut gezeigt – zum 15. Jahrestag des Terroranschlags.
Percy Adlon begleitete Fritz Koenig 2001 nach New York ins Trümmerfeld von Ground Zero. Der Künstler hatte ihn wenige Tage nach „9/11“ angerufen. „Sie schaut raus!“, habe er gesagt, „sie ist nicht zerstört. Ich habe es im Fernsehen gesehen. Es ist ein Wunder“, schildert der Filmemacher die erste Reaktion Fritz Koenigs. Später, im Film, reflektierte der sichtlich bewegte Künstler: „Ich glaube, dass Arbeiten etwas bergen können, was zu ihren Lebzeiten nicht erfahrbar ist.“
Fritz Koenig
Der 1924 in Würzburg geborene Künstler ist ein Ururenkel von Friedrich Koenig, Erfinder der Schnellpresse. Seit 1930 lebt Fritz Koenig in Landshut. Er studierte er an der Akademie der Bildenden Künste in München. Ab 1961 widmete er sich einer weiteren großen Leidenschaft: dem Aufbau eines Vollblutarabergestüts.
Der Künstler hat mehrere Mahnmale gegen Gewalt geschaffen: so 1983 für das ehemalige Konzentrationslager Mauthausen; 1995 für die Opfer des Terroranschlages der Olympiade in München. Zudem beteiligte er sich am Wettbewerb für das Holocaust-Mahnmal in Berlin.
Auch in Würzburg befindet sich ein Werk Fritz Koenigs. Zwischen 1962 und 1967 schuf er die Hauptportaltüren für den Kiliansdom.
Informationen zu Künstler und Werk im Internet: www.skupturenmuseum-im-hofberg.de