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BOCHUM
60. Geburtstag: 4630 Grönemeyer
60. Geburtstag: Musikalisch gilt er seit über 30 Jahren als der Deutschen liebster Lebensbegleiter. Die Biografie des Herbert Arthur Wiglev Clamor Grönemeyer steckt voller Überraschungen.
Herbert Grönemeyer wird 60       -  „So lange ich läuferisch in der Lage bin, vier Schritte zu gehen, und noch halbwegs die Töne treffe, mache ich weiter“: Herbert Grönemeyer.
Foto: Britta Pedersen, dpa | „So lange ich läuferisch in der Lage bin, vier Schritte zu gehen, und noch halbwegs die Töne treffe, mache ich weiter“: Herbert Grönemeyer.
Von unserem Mitarbeiter Steffen Rüth
 |  aktualisiert: 08.02.2024 11:28 Uhr

Da war er im Februar also zum ersten Mal seit 2006 wieder im Bochumer Ruhrstadion, das heute rewirpowerStadion heißt und dessen Mitglied – natürlich mit der Nummer 4630 – er ist, und dann muss Herbert Grönemeyer gleich eine glatte Niederlage seines VfL mitansehen. Bochum 0, Bayern München 3, rein fußballerisch gab es erwartungsgemäß nichts zu holen in diesem Pokalspiel, aber emotional war das für ihn natürlich der Hammer. Er stand auf der Nordtribüne und schaute hinüber zur Ostkurve, wo Tausende von Fans ein Lied anstimmten, sein Lied, „Bochum“. Doch das taten sie nicht extra für ihn. Das tun sie immer, schon seit vielen Jahren. Außer dem Vereinslied läuft bei jedem Heimspiel des Zweitligisten VfL Bochum Herberts Hymne – und alle singen mit: „Bochum ich komm‘ aus dir/ Bochum ich häng‘ an dir/ Glück auf.“

Dabei ist dieser Herbert Arthur Wiglev Clamor Grönemeyer, der auch kurz vor seinem 60. Geburtstag am 12. April noch eher ein Herbert als ein Herr Grönemeyer ist und auch sein will, streng genommen gar kein Bochumer. In Clausthal-Zellerfeld lebten die Eltern, Herbert kam als jüngster von drei Brüdern in Göttingen zur Welt, doch noch bevor er laufen lernte, zogen die Grönemeyers nach Bochum.

Etwas tapsig und drollig

„Ich bin ein Kind des Ruhrgebiets“, sagt er heute, „immer gewesen, immer geblieben.“ Insbesondere liebe er die hundertprozentige Zuverlässigkeit der Menschen an der Ruhr. Und auch, wenn er längst nicht mehr in Bochum, sondern in London und seit Jahren vor allem in Berlin lebt, ist er noch häufig – und regelmäßig an Weihnachten – dort, um seine Mutter zu besuchen. „Ich habe der Stadt wahnsinnig viel zu verdanken“, weiß Grönemeyer.

1984 erschien es, das Album, das den immer etwas tapsig wirkenden und drollig dreinschauenden Mann, erfolgreich, wohlhabend und berühmt machte. „4630 Bochum“ avancierte erstaunlich schnell zum Klassiker, verkaufte sich mehr als zweieinhalb Millionen Mal, den heiter-melancholischen Hit „Männer“ kennt fast jedes Kind, und mit dem Quasi-Titelsong „Bochum“ setzte er sich früh, Grönemeyer war 28 damals, sein eigenes Denkmal. Weshalb dieses Lied aber so übermenschlich groß wurde, das weiß er auch nicht. „Ich hatte damals bloß nach Themen gesucht, über die ich singen konnte“, erklärte Grönemeyer dem „stern“, „und in Bochum kannte ich mich eben aus.“ Viele hätten ihn gar gewarnt und gemeint: „Das kauft doch schon in Bottrop keiner mehr.“ Sowieso setzte seinerzeit kaum noch jemand auf Herbert Grönemeyer, den Musiker mit der etwas zu knödeligen Stimme und den etwas zu schwer entzifferbaren Texten.

Seine ersten Alben waren gefloppt, die Plattenfirma setzte ihn an die frische Luft, und ohne große Erwartungen nahm ihn die EMI unter Vertrag. Hauptberuflich galt Grönemeyer, der schon als Teenager die musikalische Leitung am Schauspielhaus Bochum innehatte, als Schauspieler, er drehte mit Wolfgang Petersen „Das Boot“, spielte Theater unter Peter Zadek, tanzte – jawoll! – unter Pina Bausch. Seit „Männer“ und „Bochum“ ist Herbert Grönemeyer nicht mehr der VfL, sondern der FC Bayern der deutschsprachigen Pop- und Rockmusik. Er ist bis heute der deutsche Volkssänger schlechthin, schaut den Menschen aufs Maul, aber redet ihnen nicht nach dem Mund, bleibt stets wendig, aber biedert sich nicht an. Fragt man die Menschen im Land, ob sie lieber mit Westernhagen, mit Maffay oder mit Grönemeyer drei Bierchen trinken gingen, die Antwort dürfte eindeutig ausfallen.

Grönemeyer ist seit über 30 Jahren der Deutschen liebster Lebensbegleiter. In seinen Liedern, aber auch in ihm selbst als Person, spiegeln sich sehr viele Menschen, denn: Was Grönemeyer durchlebt, durchleben fast alle früher oder später, in dieser Hinsicht ist er nicht speziell. Seine Einzigartigkeit liegt darin, diese Erlebnisse, Erfahrungen und Beobachtungen in Musik und Texte zu verkleiden, die den Menschen viel bedeuten. Grönemeyers Lieder sind weder perfekt noch jedermanns Tasse Tee, aber eins sind sie nie gewesen: egal und belanglos. Im Gegensatz zu vielen Kollegen schafft er es zudem bis heute, bei aller immerwährenden Grönemeyerhaftigkeit auf jeder Platte ein bisschen an seinen kreativen Schräubchen zu drehen. „Ich probiere immer wieder was Neues zu kochen aus und hoffe, dass es nicht anbrennt“, sagt er. „Ich will im Alter nicht das Gefühl haben, ich hätte mich ausgeruht.“

Seine Karriere lief rund um die Wiedervereinigung, die er als größtes politisches Ereignis zu seinen Lebzeiten betrachtet, weiter formidabel, er veröffentlichte gute, selten überragende Werke, blieb aber immer ganz vorne und erreichte mit sämtlichen Alben seit „4630 Bochum“ Platz eins der deutschen Charts. Grönemeyer war seit 1978 mit der Schauspielerin Anna Henkel zusammen, wurde Vater zweier Kinder, Felix ist heute 29, Marie 27 (der Junge hat eine Internetfirma in Berlin, das Mädchen studiert nach einem Industriedesignstudium nun Kunst und Ökonomie in Hamburg und Wien), die Familie zog 1998 nach London, es hätte gern so weitergehen können. Es kam aber alles anders. Anna starb im November 1998 an Brustkrebs, sie hatte seit acht Jahren an der Krankheit gelitten, die Öffentlichkeit und selbst enge Weggefährten wussten davon nichts. Tage zuvor war sein Bruder Wilhelm der Leukämie zum Opfer gefallen.

Plötzlich war Herbert Grönemeyer nicht mehr die kritische Frohnatur, sondern ein trauernder, traumatisierter, alleinerziehender Vater von zwei nicht einmal Halbwüchsigen. „Die Kinder sollten die Lebensfreude bewahren, das war mein Hauptaugenmerk“, sagte er. Er habe sich der Frage stellen müssen, wie man es schafft, „sich nach so einem Trauma wieder dem Leben zuzuwenden“.

Er hat es geschafft, aber es hat gedauert. Erst 2002 kam er zurück und brachte mit seinem Album „Mensch“ ein ganzes Land zum Weinen. In fast allen Liedern ging es um Anna, den Tod und das Ringen ums Leben. In „Mensch“ singt er: „Und der Mensch heißt Mensch/weil er vergisst, weil er verdrängt/ Und weil er lacht/weil er lebt/du fehlst.“ Und im so todtraurigen wie tröstlichen „Der Weg“ besingt Herbert Grönemeyer seine Frau mit so ziemlich den innigsten Worten, die man je in einem Stück Popmusik gehört hat. „Du hast jeden Raum mit Sonne geflutet/Hast jeden Verdruss ins Gegenteil verkehrt/Nordisch nobel/Deine sanftmütige Güte/Dein unbändiger Stolz/Das Leben ist nicht fair.

“ „Mensch“ verkaufte sich noch häufiger als „4630 Bochum“, es ist sein bis heute erfolgreichstes Album.

„Die Trauer bleibt ein Leben lang, aber sie bleibt nicht vorherrschend“, so Grönemeyer. Nach Jahren bekam er langsam wieder Boden unter den Füßen. Er lernte und erfuhr, dass so etwas wie Glück wieder möglich ist, und singt auch davon. Seit Jahren klingt jedes neue Album dem Leben trotzig-beherzt die Stirn bietender und optimistischer als das vorherige, und nach einer gescheiterten Beziehung zu einer Schweizerin ist Herbert Grönemeyer seit dreieinhalb Jahren wieder glücklich liiert, Josha heißt die Dame. „Der Wunsch ist, gemeinsam alt zu werden, und das sieht gut aus“, so Grönemeyer unlängst im österreichischen Radiosender „Ö3“. „Ich bin in einem sehr verliebten Zustand.“

Album mit den Berliner Philharmonikern

Er habe sie zehn Sekunden gesehen und Bescheid gewusst. „Morgen“ vom Ende 2014 erschienenen Album „Dauernd jetzt“ handelt von Josha. „Wirst Du morgen noch mit mir tanzen/Bleibst Du in Deiner Liebe fest/Wirst Du Dich für mich verwenden/Bestehen wir zusammen jeden Test.“ Zu seinem aktuellen Gemütszustand sagt er: „Meine Art zu leben ist es, den Moment zu genießen und das Glück einfach mal dauern zu lassen. Zwischendurch schaffe ich sogar zu denken: Du bist ganz in Ordnung.“

Klar, dass dieser Mann noch einiges vorhat. Ein Album mit den Berlinern Philharmonikern ist in Planung, er möchte an einem Musical schreiben, das nächste reguläre Album sei auch schon halb fertig und solle in zwei Jahren rauskommen. Das Songschreiben werde mit den Jahren nicht leichter, er selbst immer unsicher, ob ein neuer Song auch ein guter Song ist. Trotzdem ist Aufhören kein Thema. „Popmusik ist nach wie vor ein Jugendgeschäft“, so Grönemeyer zur Schweizer Zeitung „Blick“.

Ich habe bis heute wahnsinnig viel Spaß am Musikmachen, und so lange ich läuferisch in der Lage bin, vier Schritte zu gehen, und noch halbwegs die Töne zu treffen, mache ich weiter. Ich denke, ich habe noch zehn gute Jahre.“

Seinem runden Geburtstag will Herbert Grönemeyer keineswegs aus dem Weg gehen. Der Mann flüchtet nicht, er stellt sich. „Ich feiere ja generell gerne meinen Geburtstag.“

 
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