Das Literaturfestival MainLit startete am Dienstag auf Gut Wöllried mit einem Besuch aus der Millionenstadt Köln: Die Autorin und Moderatorin Anne Gesthuysen ("ARD-Morgenmagazin") tourt mit ihrem vierten Roman "Wir sind schließlich wer", der wieder in der ländlichen niederrheinischen Heimat der 52-Jährigen spielt. Aus ihrer Lesung lassen sich fünf Gründe herauskristallisieren, die für das Leben auf dem Land sprechen.
1. Starke Kontrolle, aber gute Integrationsmöglichkeiten
Auf dem Land sei zwar die soziale Kontrolle recht stark, doch die Integrationsmöglichkeit ebenso gut. Diesem Grund folgten etliche weitere pro Landleben, ohne jede Schwärmerei. Denn eigentlich setzt sich Gesthuysens Werk aus Familienromanen zusammen, und dieses Thema stellt ihr die Frage: "Warum schafft man es nie, der Familie gegenüber rational zu sein?"
Übrigens kommt man vom Land innerlich eh kaum los, auch wenn man als geborene Geldenerin wie Anne Gesthuysen längst in Köln wohnt. Man wird nämlich, so Gesthuysen, "in eine Rolle reingeboren, die man nur unter extremen Therapieschmerzen wieder loswird".
2. Das ländliche Leben bietet reichlich Stoff für Gestuysens Romane
Ihrer eigenen Verwandtschaft und angeheirateten Sippe steht die Autorin interessiert gegenüber. Die liefern ihr schließlich den Stoff. Zum Beispiel die Schwiegermutter. Die habe verfügt, ihre Totenmesse solle eine – damals noch – junge Theologin aus ihrem, der Schwiegermutter, früheren Kreis halten. Beim Begängnis sei die inzwischen gestandene Seelsorgerin so gut ins Erzählen gekommen, dass Gestuysen sie habe warnen müssen: "Sie wissen schon, dass ich aus solchen Geschichten Romane schreibe?!" Derartige Begegnungen summieren sich zu einem zweiten Grund fürs Leben in ruralen Strukturen.
3. Leben auf dem Dorf ist Training fürs ganze Leben
Anne Gestuysens Gestus erinnert an den schnellen, aber erdigen Sound großer WDR-Moderatorinnen; der Niederrhein ist schließlich Einzugsgebiet des Senders – und diese Auswirkung der Landverbundenheit spricht abermals für ein Lebenstraining in dörflichen Bereichen. Eine bemerkenswerte Gegenprobe zu ihrem eigenen Artikulationstalent lieferte die Rezitatorin Gesthuysen: Ihr nicht abgelesen gesprochenes Wort ist lauter, rascher und deutlicher als ihr Vorlesen.
4. Am Niederrhein gibt es nur niederen Adel
"Wir sind schließlich wer", mit diesem Satz hebt die Mutter der Zentralfigur ihr blaues Blut gern hervor. Schon wieder geht ein Punkt an die Provinz: Hier, zumindest am Niederrhein, gibt es nur niederen Adel. Dennoch bleibt die Blase unter sich, etwa bei gemeinsamen Ausflügen des heiratsfähigen Nachwuchses unter dem Decknamen "Adel auf dem Radel".
5. Im Kosmos Dorf kann man die ganze Welt erzählen
Für solche entlarvenden Drolligkeiten ist denn auch gleich der fünfte Punkt fällig. Die Autorin fasste es in einer Zwischenmoderation ihres eigenen Auftritts zusammen: "In dem kleinen Kosmos Dorf kann man die ganze Welt erzählen." Das ist ihr gelungen. Freunde ihrer Bücher sollten wissen: Tante Ottilie mischt wieder kräftig mit.
Bei der Eröffnung der Literaturtage erzählte Mitgründer Wolfgang Heyder, die Veranstalter hätten zwei Programme füllen können, so "sensationell" sei die Resonanz der Verlage auf dieses dritte Lesefest seiner Art. Und auch das Publikum ziehe mit: "Wir werden häufig ausverkauft sein", hieß es auf dem Gutshof vor Rottendorf. Die gebotene Saalauslastung von 75 Prozent ist für Heyders Kompagnon Jochen Bähr kein Problem: "Passt!", rief er auch den Hauptsponsoren Main-Post und VR-Bank entgegen, die durch ihren Geschäftsführer beziehungsweise Vorstandsvorsitzenden vertreten waren.