Mit historischer Druckgrafik ist es ein bisschen wie mit den Statuen der Antike: Wir kennen sie nur in edlem, farblosem Marmor, dabei waren sie einst leuchtend bunt. Ab der Renaissance wurden zwar munter fehlende Arme, Beine, Köpfe ersetzt, doch es wäre als Sakrileg gesehen worden, die Figuren anzumalen. Das gab es erst viel, viel später und auch dann nur mit Repliken und zu didaktischen Zwecken.
Niemand käme heute auf die Idee einen Dürer-Stich zu kolorieren
Mit der Grafik seit dem 15. Jahrhundert ist es ähnlich: Niemand käme heute auf die Idee, etwa einen Holzschnitt von Dürer zu kolorieren. Dabei hat Albrecht Dürer selbst koloriert und viele andere seine Werke nach ihm – wenn vielleicht auch nicht immer im Sinne des Schöpfers.
„Prachtvoll illuminirt“ ist die neue Sonderausstellung im Schweinfurter Museum Georg Schäfer betitelt, und sie unternimmt nichts weniger als die weltweit erste Gesamtschau einer vergessenen Nische der Kunstgeschichte, so Museumsleiter und Kurator Wolf Eiermann. Es geht um das Handkolorit in der Druckgrafik zwischen 1493 und 1870, also um die Kunst, Zeichnungen und Drucke in Einzelblättern wie in Büchern mit Farbe zu „illuminieren“, zu erleuchten.
Der Begriff stammt aus einer Zeit, als man noch glaubte, Farbe leuchte aus sich selbst heraus und nicht erst mit Hilfe des Lichts, die Schreibweise mit fehlendem E orientiert sich an der Traktatliteratur, also an den Lehrbüchern über das Kolorieren, die ab dem 15. Jahrhundert erschienen.
Fast alle überlebende Werke sind in Privatbesitz
Der Titel „Prachtvoll illuminirt“ wiederum ist ein Zitat aus einer Annonce der „Allgemeinen Literaturzeitung“ aus dem Jahr 1818, und er verspricht nicht zu viel: Was heute oft als „Ausmalen“ und deshalb untergeordnete künstlerische Tätigkeit (wenn überhaupt) abgetan wird, war einst eine hochgeschätzte Fertigkeit, die ihren Preis hatte. Zum einen, weil die Welt nun einmal in Farbe ist, ihre Wiedergabe auf Papier nur natürlich, wenn auch nicht selbstverständlich, zum anderen, weil Farbe immer auch Verkaufsargument, Statussymbol und Wertanlage war.
Das Museum Georg Schäfer zeigt 200 Arbeiten aus 400 Jahren, von der Buchmalerei bis zu den letzten Beispielen kolorierter Fotografien, bevor ab etwa 1870 die Farblithografie die Koloristen arbeitslos machte. Da Museen in den seltensten Fällen Handkoloriertes sammelten, befinden sich überlebende Werke heute meist in privater Hand. Für die Schweinfurter Ausstellung stellten die Stuttgarter Privatsammlung Frank, das Schweinfurter Museum Otto Schäfer, die Staatsbibliothek Bamberg und die Kunstsammlungen der Veste Coburg Leihgaben.
So gelingt tatsächlich ein Überblick von gewaltiger und verblüffender Vielfalt. Es gibt unendlich viel zu wissen über Techniken und Schulen, über Kolorierungsmanufakturen, über bekannte und unbekannte Meister.
Es sind kaum Namen von Koloristen überliefert
Vielfach sind die Namen von Koloristen nicht überliefert, auch wenn ihre Zutat einer Zeichnung mitunter eine komplett neue Anmutung gibt. Wolf Eiermann: „Wer sind die? 400 Jahre Geschichte und wir wissen kaum was.“ Ab dem 16. Jahrhundert verkauften Verleger ihre Bücher unkoloriert und in Einzelblättern. Andere arbeiteten mit gestaffelten Systemen. Die berühmte Schedel'sche Weltchronik von 1493 gab es in drei Preiskategorien: unkoloriert, mit Schablonenkolorit und mit Fürstenkolorit, also handgemalt mit edlen Farbstoffen wie Gold.
Erste Zentren waren Nürnberg und Augsburg, später kamen Paris, London, St. Petersburg, Amsterdam und Antwerpen hinzu. Wer es sich leisten konnte, trug die Blätter zum Koloristen – gleich nach dem Kauf oder irgendwann später, was Datierungen nicht erleichtert. Wobei Farbe drei – einander möglicherweise ausschließende – Funktionen hatte: Naturtreue (soweit bekannt war, welche Farbe das abgebildete Objekt hatte), „Augenergötzung“ (im Gegensatz zu Naturtreue) und Visualisierung, also die Hervorhebung bestimmter Bildelemente – auch sie unabhängig von den natürlichen Farben.
Frauen und Männer teilten sich die Sujets
Da ist die Merian-Stadtansicht „Schweinfurt von Süden“ um 1700, koloriert von der Verlegerin, Kupferstecherin und Koloristin Anna Beeck, einer der wenigen namentlich bekannten Frauen im Geschäft. Dabei gab es deren viele – sie teilten sich mit den Männern die Motivbereiche: Frauen bearbeiteten Fauna und Flora, Männer Figuren und Landschaften. Der Stadtplan ist also auch in dieser Hinsicht eine Rarität.
Entschieden sonderbar wirkt Dürers Holzschnitt „Verlobung Mariens“ um 1504, knapp 100 Jahre später in manieristischen Farben koloriert, zwei Stationen der Kunstgeschichte in einem Bild, wenn man so will. Noch später, nämlich erst 1620, wurde der Kupferstich „Der heilige Hieronymus im Gehäus“ koloriert, doch hier wirken die Farben, die Dürers Oberflächentexturen respektieren, deutlich weniger aufdringlich.
Ein Kupferstich,der frisch wirkt wie ein Gemälde
Was Farbe kann, was sie auslöst, wie sie wirkt, das zeigt eines der Prunkstücke der Ausstellung: Der Kupferstich „Christus begegnet dem Hauptmann von Kapernaum“ von Nicolaes de Bruyn, koloriert und auf 1678 datiert von Hans Thomas Fischer, wirkt so frisch und nuancenreich wie ein Gemälde.
Pflanzen, Tiere, Landschaft, Veduten, Architektur, Mode, Folklore, Karikatur, ornithologisch korrekte Vögel von William Hayes, Jagdszenen von William Hodges, effektvolle Guckkastenblätter unbekannter Meister, Rheinansichten von Anton Radl, empfindsame Stammbuchblätter aus dem Biedermeier oder die journalistisch akkurat anmutende Ansicht der Völkerschlacht zu Leipzig 1813, live in einer Mansarde gezeichnet von Christian Gottfried Heinrich Geißler – die Vielfalt erscheint unerschöpflich. Ein großer Auftraggeber für Kolorierungen war übrigens das Militär. Und da durften die Künstler sich keine Fantasie erlauben: Uniformen und Wappen mussten in exakt originalen Farben wiedergegeben werden.
Museum Georg Schäfer: „Prachtvoll illuminirt – Das Handkolorit in der Druckgrafik 1493-1870“. Bis 15. August. Öffnungszeiten: Di-So 10-17 Uhr, Do bis 21 Uhr. Der prachtvolle Katalog kostet 39,90 Euro. Eröffnung: Samstag, 12. Mai, 15 Uhr. Gastredner sind Prof. Eckhard Leuschner von der Universität Würzburg und Georg Drescher, Leiter des Museums Otto Schäfer.