Wie im Traum gleitet das blonde Mädchen die menschenleere Skipiste in einer weiß getünchten Gebirgslandschaft hinab. „Es war klar, nur einer von uns konnte überleben. Und am Ende war ich es und nicht er“, sagt eine Stimme aus dem Off. Damit ist das Thema in „3096 Tage“ gesetzt, sollte man meinen. Ein Zweikampf zwischen Natascha Kampusch und ihrem Entführer, der sie achteinhalb Jahre gefangen hielt. Der Beginn des Films weist jedoch in die Irre. Für das Mädchen (Amelia Pidgeon) und später die junge Frau (Antonia Campbell-Hughes) im Kellerverlies geht es weniger um einen Zweikampf als ums reine Überleben, um die Rettung der eigenen Persönlichkeit und um das Ertragen des unfassbaren Leids.
In Anwesenheit von Natascha Kampusch und ihren Eltern hatte das Entführungsdrama „3096 Tage“ in Wien am Montagabend Weltpremiere. Viele Besucher verließen in gedrückter Stimmung, manche auch mit Tränen in den Augen den Kinosaal im 10. Wiener Bezirk. Eine Feier danach gab es nicht, auch verzichteten die Organisatoren angesichts des traurigen Themas auf jeglichen Glamour. Kampusch selbst ließ sich zu Beginn des fast zweistündigen Dramas im schwarz-roten Kleid vor den Plakaten fotografieren, sagte aber kein Wort. Ihre Eltern verließen nach der Vorstellung ohne Interviews und sichtlich bewegt den Kinosaal.
Der arbeitslose Nachrichtentechniker Wolfgang Priklopil entführte die damals zehnjährige Natascha am 2. März 1998 auf ihrem Weg zur Schule. Achteinhalb Jahre hielt er das Mädchen in einem kleinen Kellerverlies unter seinem Haus in der Nähe von Wien gefangen und misshandelte es schwer, körperlich und seelisch. Am 23. August 2006 konnte die inzwischen 18-jährige Frau fliehen. Der Entführer warf sich vor die S-Bahn. Ein Teil des Drehbuchs stammt noch von dem vor zwei Jahren gestorbenen Produzenten Bernd Eichinger. Die Umsetzung übernahmen die Regisseurin Sherry Hormann („Wüstenblume“) und ihr Ehemann, der Kameramann Michael Ballhaus (lesen Sie dazu das Interview oben). Sie drehten mit weitgehend unbekannten Schauspielern. Die Regisseurin schont die Zuschauer nicht. Kein Aspekt des Martyriums wird ausgelassen: Der Entführer quält Natascha Kampusch mit Einsamkeit und Drohungen. Er lässt sie jahrelang hungern, verprügelt sie brutal, vergewaltigt sie. Bei ihrer Flucht wiegt die 18-Jährige noch 38 Kilo, so viel wie bei der Entführung als Zehnjährige. Auf ihre verzweifelten Bitten um Kontakt zu ihrer Mutter antwortet Priklopil: „Ich bin deine Familie. Ich bin alles für dich, weil ich dich erschaffen habe.“ Um die Isolation zu überstehen, wechselt Kampusch zwischen Anpassung und Auflehnung gegen ihren Entführer. In ihren schlimmsten Momenten habe sie versucht, das Geschehen wie aus der Ferne zu betrachten, als ob sie ihren eigenen Körper verlassen habe, berichtet sie später. Nicht nur die Kamera, auch die Tonspur fängt die klaustrophobische Atmosphäre ein. Der Ventilator, die Tür des Verlieses, ein Uhrticken – jeder Ton dröhnt zuweilen unerträglich in den Ohren der Gefangenen.
Auf Tränenfluten und dramatische Musikuntermalung verzichtet der Streifen – nicht aber auf Nackt- und Vergewaltigungsszenen, die teils voyeuristisch erscheinen. In der Autobiografie wollte sich Kampusch diesen Rest an Privatheit bewahren. Der Film, der am morgigen Donnerstag, 28. Februar, auch in Kinos der Region anläuft, ist da weniger zurückhaltend. Wegen seiner realistischen Abbildung ist vieles nur schwer zu ertragen.