Der Mond ist aufgegangen.“ Sein Abendlied hat Matthias Claudius (1740-1815) unsterblich gemacht. In der Vertonung von Johann Abraham Peter Schulz ist es das bekannteste deutsche Volkslied, sagt Claudius-Experte Michael Pommerening aus Hamburg-Wandsbek. Der Hamburger Stadtteil, in dem der Dichter die längste Zeit seines Lebens verbrachte und dessen Wappen noch heute an ihn erinnert, begeht 2015 ein Matthias-Claudius-Jahr. Anlässe sind der 200. Todestag am 21. Januar und sein 275. Geburtstag am 15. August. Es sind zahlreiche Veranstaltungen geplant, auch in Reinfeld, der holsteinischen Geburtsstadt des Dichters.
Nach dem Autor des Abendlieds sind unzählige Straßen, Schulen und Einrichtungen benannt. Für die meisten Menschen sei er dennoch ein „ganz fremder Mann“, sagt der Theologe und frühere Hauptpastor am Hamburger Michel, Helge Adolphsen. Dabei sind auch andere Claudius-Werke durchaus präsent. Nobelpreisträger Günter Grass kritisierte 2003 heftig die US-Invasion im Irak und benutzte dafür das Gedicht „'s ist Krieg!“. Die Deutsche Bahn gab ihren Fahrgästen mit auf den Weg: „Sage nicht alles, was du weißt, aber wisse immer, was du sagst!“ Dabei könnten Bahnreisende auch an das Lied denken: „Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was verzählen.“ Zahllose Krimigeschichten haben den Titel des Gedichts „Der Tod und das Mädchen“ aufgegriffen.
Doch Matthias Claudius habe mehr als nur Kalendersprüche zu bieten, sagt die Germanistin und Vorsitzende der Claudius-Gesellschaft, Erle Bessert. Er war Journalist, Dichter, Schriftsteller, Übersetzer und Redakteur. Und er liebte seine Unabhängigkeit und Freiheit über alles, sagt Adolphsen. Dem scheint zu widersprechen, dass er zeit seines Lebens auf Gönner angewiesen war. Der wohl wichtigste war der Kaufmann Heinrich Carl von Schimmelmann, der durch den Handel mit Rohstoffen und Sklaven reich geworden war. Er besaß in Wandsbek ein Schloss und trug entscheidend zur Karriere von Claudius bei. Nach dem Verbot einer Vorgängerzeitung initiierte er 1770 den „Wandsbecker Bothen“, dessen Verleger Claudius als Redakteur einstellt.
Die Zeitung erscheint nur gut vier Jahre lang in kleiner Auflage, macht Claudius aber deutschlandweit bekannt. Der Name der Blattes wird sogar zu seinem Synonym. Der Bote lässt sich den Mund nicht verbieten: Er prangert die Verschwendung im Schloss an, beschreibt die Not der Bauern und kritisiert den Sklavenhandel, allerdings nicht polemisch, sondern in fiktiven Briefen und Gedichten („Der Schwarze in der Zuckerfabrik“). „Matthias Claudius war ein sehr sozialkritischer und mutiger Dichter“, sagt Pommerening.
Über seine Arbeit beim „Wandsbecker Bothen“ stand Claudius in Kontakt mit den großen Autoren und Denkern seiner Zeit, darunter Klopstock, Herder und Lessing. Auch Goethe schreibt für die Zeitung, doch über eine Rezension seines „Werther“ kommt es 1774 zum Streit: Matthias Claudius kritisiert den Selbstmord der Hauptfigur und mokiert sich in einem Vierzeiler über Werthers Motiv dafür. Goethe reagiert mit dem Vorwurf der Einfältigkeit. „Zwischen dem Mann des Mondes und dem Mann der Sonne herrscht grenzenlose Verstimmung“, bemerkt Pommerening in seinem Buch „Matthias Claudius. Asmus, Andres, Görgel und Wandsbecker Bote“. Der im christlichen Glauben „einfältige“ Wandsbecker Bote und der Weimarer Freigeist hätten keine gemeinsame Basis mehr gehabt.
Im Abendlied – angeblich 1776 in Darmstadt geschrieben, wo er nach dem Ende der Zeitung ein unglückliches Jahr verbrachte, wahrscheinlich aber erst 1778 in Wandsbek – geht Claudius auf die Welt ein, die nicht mit den Augen zu sehen ist. „Seht ihr den Mond dort stehen? Er ist nur halb zu sehen, und ist doch rund und schön!“ Nach Ansicht von Adolphsen wendet er sich damit gegen die „Tatsachen-Menschen“, die nichts von der anderen Welt schauen können. Das Gedicht sei ein Bekenntnis.
Die Freiheit sieht Claudius als Gottesgeschenk, doch die Französische Revolution lehnt er ab. „Er war ein Mann der Innerlichkeit“ sagt Adolphsen. „Er hat nicht begriffen, was Freiheit im politischen Sinne bedeutet.“ Wie für Luther ist für ihn das Fürstentum gottgegeben. Aber Claudius stellt auch die Frage: Sind denn die Fürsten alle gut? „Er war ein sympathischer Reaktionär“, sagt Pommerening über den Dichter.
Eingeleitet wird das Claudius-Jahr am 25. Januar mit einem Gottesdienst in der Wandsbeker Christuskirche, neben der der Dichter und seine Frau Rebekka begraben liegen. Dann soll dort ein neues Denkmal enthüllt werden. Der Worpsweder Bildhauer Waldemar Otto (85) zeigt Claudius in einer sechs Meter breiten, fast drei Meter hohen Bronzeskulptur, wie er unter das Sternenfirmament tritt und der Mond aufgeht. Die sieben Strophen des Abendlieds sind am Sockel zu lesen.
Das Abendlied von Matthias Claudius
Der Mond ist aufgegangen Die goldnen Sternlein prangen Am Himmel hell und klar Der Wald steht schwarz und schweiget Und aus den Wiesen steiget Der weiße Nebel wunderbar. Wie ist die Welt so stille Und in der Dämmrung Hülle So traulich und so hold! Als eine stille Kammer Wo ihr des Tages Jammer Verschlafen und vergessen sollt. Seht ihr den Mond dort stehen? Er ist nur halb zu sehen Und ist doch rund und schön! So sind wohl manche Sachen Die wir getrost belachen Weil unsre Augen sie nicht sehn. Wir stolze Menschenkinder Sind eitel arme Sünder Und wissen gar nicht viel Wir spinnen Luftgespinste Und suchen viele Künste Und kommen weiter von dem Ziel. Gott, laß uns d e i n Heil schauen Auf nichts Vergänglichs trauen Nicht Eitelkeit uns freun! Laß uns einfältig werden Und vor dir hier auf Erden Wie Kinder fromm und fröhlich sein! Wollst endlich sonder Grämen Aus dieser Welt uns nehmen Durch einen sanften Tod! Und wenn du uns genommen Laß uns in Himmel kommen Du unser Herr und unser Gott! So legt euch denn, ihr Brüder In Gottes Namen nieder Kalt ist der Abendhauch Verschon uns, Gott! mit Strafen Und laß uns ruhig schlafen! Und unsern kranken Nachbar auch!