Ohne ihn würde die Königin der Nacht aus der „Zauberflöte” womöglich zu spät zum Racheschwur ansetzen und die Flöte des Vogelfängers Papageno bliebe stumm: Uwe Sandner spannt als Souffleur in der Essener Oper ein Rettungsnetz, falls Sänger im Rausch der Musik plötzlich ins Trudeln geraten.
Aus dem unscheinbaren kleinen Kasten zwischen Bühne und Orchestergraben spricht er fehlende Textpassagen vor, gibt Einsätze und Anfangstöne und singt bei schlimmeren Hängern notfalls auch kräftig mit. „Souffleur” kommt vom französischen Wort für „flüstern”, doch Sandners Aufgaben gehen über ein leises Mitsprechen des Textes weit hinaus.
Wenn unter ihm das Orchester tobt, muss er oben schon mal lauter werden. Und am Text hapert es auch gar nicht so häufig: „Man dirigiert mehr, als dass man Text souffliert, den können die Sängerinnen und Sänger meist.”
Wer zu früh lossingt, kriegt ein Stopp-Signal
Einsätze sind schon eher das Problem. „Manche Sänger stehen sehr unter Strom. Die neigen dazu, zu früh zu kommen”, erzählt der 63-Jährige. Dann gibt Sandner mit ausgestreckter Hand ein deutliches Stopp-Signal. Andere würden am liebsten erst mit dem ersten Orchesterton lossingen - wären damit aber zu spät. Dann dirigiert der Profi-Musiker und atmet bewusst früher und hörbar ein - das Signal für den Solisten: Jetzt geht es los.
Die dicke Opernpartitur liegt vor ihm in dem engen Souffleurkasten, auf zwei Bildschirmen sieht er jede Handbewegung des Dirigenten im Graben. Aber Sandner kennt nach der monatelangen Probearbeit jeden Ton des jeweiligen Werks. „Wenn ein Sänger seinen Anfangston vergessen hat, singe ich ihm den Ton oder die ganze Phrase vor”, erzählt er. „Man merkt schon, wenn einer nicht weiterweiß - dann werden die Augen plötzlich groß und rund.”
Retter und Co-Dirigent im Kasten
Sandner ist dann der Retter aus dem Souffleurkasten und zugleich ein Co-Dirigent, der die nahtlose Verbindung zwischen Orchesterton und Gesang sichert. Der eigentliche Dirigent ist nämlich im Orchestergraben für die Sänger gelegentlich nicht gut sichtbar und zudem mit der Leitung des Orchesters beschäftigt.
Außerdem hilft Sandner mit seiner Erfahrung als sichtbarer Begleiter direkt an der Bühne, möglicherweise flatternde Nerven der Solisten zu beruhigen. Dafür sind ihm die Künstlerinnen und Künstler dankbar, wie man spätestens nach dem letzten Ton merkt: kaum eine Aufführung, nach der Solisten sich nicht ausdrücklich bedanken.
Häufig aus dem eigenen Haus
„Wahnsinnig wichtig im Musiktheater” seien die Souffleurinnen und Souffleure, sagt der Geschäftsführer der Deutschen Musik- und Orchestervereinigung Unisono, Gerald Mertens. Angesichts der sehr hohen Anforderungen an musikalische Ausbildung und Erfahrung kämen die mehreren hundert Souffleure an öffentlichen Opern und Theatern in Deutschland oft aus dem eigenen oder anderen großen Häusern. Bei der Oper seien es häufig Sänger, ältere Solisten oder auch Chorsänger, die das Repertoire perfekt beherrschten.
Sandner ist sogar studierter Dirigent, ehemaliger Kapellmeister und war langjähriger Generalmusikdirektor in Kaiserslautern. Sein Engagement mit einer festen Stelle als „Maestro Suggeritore”, wie der offizielle Titel lautet, empfindet er keineswegs als Abstieg. „Ich habe den besten Platz im Haus - ganz nah an den Sängern und mit einem tollen Orchester direkt unter mir.”
Klatschen, wenn Darsteller sich ohrfeigen
Die Nebenaufgaben des „Maestro suggeritore” schrecken ihn dabei keineswegs: Wenn der Dirigent außer Haus ist, dirigiert Sandner szenische Proben. Und im Kasten übernimmt er die „special effects”: Kräftiges Klatschen, wenn sich oben Darsteller ohrfeigen oder ein Knopfdruck genau im richtigen Moment, wenn eine Schuss-Aufnahme eingespielt wird.
Wenn in „La Bohème” der Vermieter anklopft, um sein Geld einzutreiben, klopft tatsächlich Sandner auf seinen Souffleurkasten. Und manchmal wird der Souffleur selbst zum Musiker: „Das Papageno-Motiv aus der Zauberflöte spiele ich live aus dem Kasten.”