Kein Zufall, dass sich rund 200 Literatur-, Kultur- und Geisteswissenschaftler aus Europa, Kanada und den USA in der kommenden Woche in Würzburg treffen: Die alle zwei Jahre stattfindende Konferenz der „European Association for the Study of Literature, Culture and Environment“ (EASLCE) steht an. Und dass der Tagungsort von 26. bis 29. September die Universität Würzburg ist, liegt erstens an der wenige Meter vom Hubland-Campus entfernten Landesgartenschau. Und zweitens an Professorin Catrin Gersdorf. Die Amerikanistin ist seit vielen Jahren Mitglied im Netzwerk der Wissenschaftler, die Zusammenhänge von Literatur, Kultur und Umwelt untersuchen. Und sie beschäftigt sich seit langem mit „Ecocriticism“. Welche Vorstellungen und Konzepte des Verhältnisses zwischen Natur und Gesellschaft finden sich in Literatur und Kunst? Welchen Bezug haben solche Werke zur gesellschaftlichen Wirklichkeit und wie fruchtbar sind sie für ökologische, gesellschaftliche Debatten?
Kurzum, die achte EASLCE-Tagung war zu organisieren. Und Catrin Gersdorf lud ihre Kollegen – weil hier in diesem Jahr ökokritische Fragen in unmittelbarer Nähe zur Landesgartenschau diskutiert werden können – nach Würzburg ein. „The Garden – Ecological Paradigms of Space, History and Community“ ist das Thema der Konferenz. Die übergreifende Frage lautet: Inwieweit bietet der Garten – ein historisch, politisch und gesellschaftlich aufgeladener sowie kulturell so vielfältiger Raum – neue Ansätze für das Denken und Leben in der Welt mit ihren ökologischen Herausforderungen?
FRAGE: Frau Professor Gersdorf, wie kommt eine Amerikanistin zum Thema Garten? Und zu ökologischen Fragen?
Prof. Catrin Gersdorf: Darf ich das mit einer Gegenfrage beantworten? Warum finden Sie das so ungewöhnlich?
Naja. Die Vorstellung ist: In der Amerikanistik beschäftigt man sich mit Sprache und Literatur der USA, mit amerikanischer Geschichte, Politik. Und manchmal vielleicht noch mit dem Land.
Gersdorf: Da haben wir schon drei Aspekte, die das Garten-Thema berühren: Es ist ein politisches Thema, es ist ein literarisch-künstlerisches Thema und eines, das die Geografie, den Raum des nordamerikanischen Kontinents betrifft. Ich selbst beschäftige mich seit fast 20 Jahren mit Zusammenhängen von Literatur, Kultur, Ökologie, Umweltfragen. Da stößt man dann immer wieder auch auf den Garten, der als mythologischer Ort ebenso faszinierend ist wie als realer Raum. Angefangen hat es mit der Arbeit an meinem Buch „The Poetics and Politics of the Desert“, in dem es auch ein Kapitel darüber gibt, in welchem imaginativen Verhältnis Garten und Wüste zueinander stehen. Übrigens bin ich nicht die Einzige. Es gibt in der Amerikanistik inzwischen eine ganze Reihe von Kolleginnen und Kollegen, die an ähnlichen Fragen interessiert sind und sich Ecocritics nennen.
Ökokritiker?
Gersdorf: Ja, auf Deutsch übersetzt führt das meistens zu einem Naserümpfen. Spinnerte Leute, die sich irgendwelche realitätsfernen Dinge ausdenken. Ecocriticism ist zunächst eine durch die Brille der Ökologie gesehene Form der Kultur- und Gesellschaftskritik. Die Ursprünge finden sich tatsächlich in den USA in den frühen 90er Jahren. Literaturwissenschaftler, die sich primär mit der Literatur des amerikanischen Westens befasst haben, merkten, dass die Konfrontation des Menschen mit einer überwältigenden Natur ein wiederkehrendes Thema war. Das wollten sie sich genauer ansehen. Den frühen Ecocritics ging es darum, ein Genre salonfähig zu machen und in den amerikanischen Literaturkanon einzuführen, das sich „Nature Writing“ nennt.
Schreiben über Natur?
Gersdorf: Der Begriff wird inzwischen auch in der deutschen Fachliteratur benutzt, übersetzen könnte man ihn etwas holperig als „nichtfiktionale Naturerzählungen“. Also Erzählungen, oft autobiografisch, über das Verhältnis zwischen Mensch und Natur. Dazu kam beim Ecocriticism dann das politische Anliegen, ökologisches Bewusstsein zu fördern und Umweltfragen zu thematisieren. Mittlerweile sind die Ecocritics Teil einer ständig wachsenden, international vernetzten Forschergruppe, das sich unter dem Mantelbegriff der Environmental Humanities zusammenfindet. Die Environmental Humanities befassen sich aus geistes-, kultur- und sozialwissenschaftlicher Perspektive mit den ökologischen Herausforderungen unserer Zeit. Denn Ursachen und Folgen von Umweltkrisen liegen auch in der Art und Weise, wie wir uns das Verhältnis zwischen Natur, Kultur und Gesellschaft vorstellen, welche Bilder und Konzepte unseren Umgang mit der Natur prägen. Die Environmental Humanities versuchen, dazu plausible Theorien anzubieten.
Also Ihr Thema Wüste? Trockenheit . . .
Gersdorf: Wasserknappheit, Uranbergbau, Bodenverseuchung auf Gebieten von Indianerreservaten, Waffentestgebiete, Grundwasserprobleme durch die Endlagerung von nuklearem Müll, aber auch durch industrielle Landwirtschaft. Das ist ein Merkmal der amerikanischen Wüstenlandschaft. Das andere die scheinbar unberührten Landflächen, die als Nationalparks erhalten und geschützt werden sollen. Denken Sie nur an das berühmte Death Valley. Dieser Kontrast bietet viel literarischen Stoff. Und er ist auch für Fotografen und Filmemacher reizvoll.
Das weite Land, aber nicht der Garten.
Gersdorf: Im Mythos Amerika steckt die europäische Idee, dass im Westen, in der sogenannten Neuen Welt, so etwas wie der Garten Eden zu finden sei. Fruchtbares Land, das an üppige Gärten erinnert. Dieses Bild hat die Vorstellung von der „Neuen Welt“ nachhaltig geprägt. Und dann stießen im Laufe des 19. Jahrhunderts die ersten Siedler in die halbwüsten- und wüstenartigen Gebiete des nordamerikanischen Kontinents vor und plötzlich stimmte das Bild nicht mehr. Was macht eine Kultur, die sich stark über den Garten identifiziert, wenn sie auf Landschaften stößt, die so gar nicht wie ein Garten aussehen? Da kommen Erzählungen, Geschichten, Mythen, Vorstellungen hinzu, die genau das Gegenteil dessen beinhalten, was der Garten bedeutet: nämlich Verfall, Verwüstung, Wildnis.
Der französische Barockgarten, der italienische Renaissancegarten, der englische Landschaftsgarten. . . – an Amerika denkt man beim Thema Garten eher nicht.
Gersdorf: Das stimmt. Was tatsächlich in Amerika viel stärker präsent ist, das ist der Park: der National- und Landschaftspark, aber auch der städtische Park. Also konstruierte Natur, die als Ort der Erholung und Regeneration dient. Das stellt sich zumindest aus europäischer Sicht so dar. Beim genaueren Hinschauen stellt man fest, dass in den Südstaaten der Garten auch historisch eine ganz wichtige Rolle spielt. Und in jüngster Zeit lässt sich beobachten, dass das Urban Gardening nicht nur „hip“ ist, sondern ganz wichtige soziale und politische Funktionen erfüllt. Das ist genau das, was uns auf der Konferenz auch interessiert: Wie werden im 21. Jahrhundert öffentliche Räume, städtische Räume tatsächlich auch gärtnerisch geprägt? Wie wird heute die Natur bei der Stadtplanung stärker integriert? Und welchen Beitrag können Kunst und Literatur zur öffentlichen Diskussion über solche und ähnliche Fragen leisten?
Dann ist der Konferenzort – in direkter Nähe zur Landesgartenschau – ja richtig.
Gersdorf: Ja, das finde ich bei dieser Gartenschau sehr interessant: Sie spricht genau diese Themen an.
Stadtplanungsschau statt Blumenschau: Können Sie die teils heftige Kritik an der Landesgartenschau verstehen?
Gersdorf: Ehrlich gesagt nicht. Aber das ist eine Frage der Erwartungshaltung. Wenn sich Leute kritisch über die Landesgartenschau äußern, stecken dahinter ja auch bestimmte Vorstellungen, was Garten zu sein hat und was nicht. Wer bei Garten nur an schöne Blumenbeete und Rabatten auf kleiner Fläche denkt, ist enttäuscht. Den Gartenbegriff muss man weiter fassen. Er hat auch etwas mit Landschaftsgestaltung, mit Stadtgestaltung zu tun, mit privatem Gärtnern auf dem Balkon.
Stichwort „privat“. In der europäischen Literatur ist der Garten ja oft privat, abgegrenzt.
Gersdorf: Jeder Garten unterliegt Einschluss- und Ausschlussmechanismen. Welche Pflanzen werden hineingelassen? Was bezeichnen wir als Unkraut? Was muss raus? Welche Bevölkerungsschichten dürfen hinein? Da fängt der Garten an, politisch zu werden. Der Garten ist ein umzäunter Ort, aber jede Grenze ist irgendwo durchlässig. Wodurch werden diese Durchlässigkeiten erzeugt? Welche Gedanken stößt der Garten an? Welche Ideen und Philosophien stecken dahinter? Wie ändern sie sich historisch? Gerade über diese Einschluss- und Ausschlussmechanismen kann man ganz viel über den sozialen Zustand der Gesellschaft insgesamt lernen. Und die Ein- oder Ausgrenzung von Pflanzen und Tieren gibt Aufschluss darüber, wie wir uns Natur vorstellen und welchen Platz wir für uns als Menschen darin sehen.
Bleibt zum Schluss die Bitte an die Amerikanistin um drei Empfehlungen: Welche Bücher aus den USA, mit und ohne Gartenbezug, sollte man unbedingt gelesen haben?
Gersdorf: Buchtipps fallen mir nie ganz leicht, weil ich immer fürchte, dass wichtige Texte ungenannt bleiben. Und einige Bücher oder Autoren, die für mich als Amerikanistin ganz oben auf der Liste stehen, würden hier in Deutschland kaum einen Resonanzraum finden, weil sie sehr kulturspezifisch sind. Dazu gehören zum Beispiel die Dichterin Natasha Trethewey und der Romanautor Percival Everett. Aber eingedenk dessen: Annie Proulx' Roman „Barkskins“ und Rebecca Solnits Essay-Band „The Faraway Nearby“ möchte ich allen Mainpost-Lesern ans Herz legen. Beide Bücher sind auch ins Deutsche übersetzt.
EASCLE-Konferenz „The Garden“
Prof. Catrin Gersdorf ist seit 2012 Inhaberin des Lehrstuhls für Amerikanistik an der Universität Würzburg. Die Literaturwissenschaftlerin hat an der Uni Leipzig promoviert und kam von der FU Berlin und dem John F. Kennedy-Institut für Nordamerikastudien nach Würzburg. Sie ist Gründungsmitglied der „European Association for the Study of Literature, Culture and the Environment“ (EASLCE) und organisiert jetzt die achte Konferenz der Wissenschaftlervereinigung. Die Tagung „The Garden: Ecological Paradigms of Space, History, and Community“ findet,
gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG, von 26. bis 29. September, auf dem Hubland-Campus an der Uni Würzburg statt. Es geht unter anderem um Gärten in der deutschen Literatur- und Kulturgeschichte – und das Gärtnern in der Stadt. Die Vorträge sind für Interessierte offen. Infos und Programm: www.easlce.eu
www.anglistik.uni-wuerzburg.de