Sie ist klein, sehr trainiert und sehr, sehr hübsch. Erstmal deutet nichts darauf hin, dass diese junge Frau in einer Melodic-Death-Metal-Kapelle singen könnte. Nicht einmal die blauen Haare. Doch dann nimmt Alissa White-Gluz das Mikrophon in die Hand und ein Tornado fegt über 4500 Köpfe in der Geiselwinder Eventhalle. Die Kanadierin ist Frontfrau der schwedischen Band Arch Enemy – und growlt sich derart die Seele aus dem Leib, dass auch der letzte Fan alter Tage ihre legendäre deutsche Vorgängerin Angela Gossow vergisst. Das Quintett legt einen überragenden Auftritt hin.
Zwei Jahrzehnte geht Michael Amott nun schon den Weg mit dem „Erzfeind“, hat dabei immer wieder Überraschungen aus dem Hut gezaubert. 2001 war’s Gossow – ein Knüller, wie sich herausstellen sollte. Die blonde Deutsche machte gutturalen Gesang für Frauen salonfähig und half Arch Enemy aus dem Schatten der zahlreichen skandinavischen Death-Metal –Combos. Mit den Jahren kam immer mehr Melodie dazu. Und als sich Gossow ins Privatleben zurückziehen wollte, 2014 Alissa White Gluz als neue Sängerin. Sie beschert dem stahlharten Fünfer Glamour. Den Glamour, den’s braucht, um auch als nicht gerade selbstverständlich massentaugliche Band den Weg zum Festival-Headliner zu schaffen.
Konzertmarathon der Extraklasse
Und dann ist da noch Jeff Loomis. Der Gitarren-Gott von Nevermore ist quasi mit White-Gluz gekommen – und offenbar genau das letzte fehlende Puzzleteil zum ganz großen Erfolg. Mit Amott bildet er das kongeniale Duo an den Sechssaitern, ein bisschen selbstverliebt vielleicht, aber virtuos. Virtuosität und Brachialität, passt das? Bei Arch Enemy auf alle Fälle. Das ist nicht einfach stumpfer Death Metal, der sich sein „Melodic“ mit ein paar eingeschmuggelten pappsüßen Melodien verdient, nein, das sind starke Kompositionen, voller Harmonie, eingängig, aber nie die Wut und die Härte des Genres verratend.
Und dass Arch Enemy zu ihren fraglos noch härteren Wurzeln stehen, demonstrieren sie gleich zu Beginn. Auf’s nagelneue „The World is yours“ folgt prompt der Klassiker „Ravenous“. Und auf „War eternal“, demersten Hit aus der White-Gluz-Ära „My Apocalypse“. Die Mischung ist perfekt an diesem Abend. Klar, schließlich jagt nicht erst am Ende ein Gassenhauer den nächsten: „You will know my Name“, „Bloodstained Cross“, „As the Pages burn“ – die Stimmung kocht über, tausende Pommesgabeln recken sich in die Luft. Und mit „Avalanche“ und „Nemesis“ kommen, natürlich, die Megahits im vielleicht etwas zu schmal ausgefallenen Zugabenteil.
Doch da haben die Fans ja schon fast fünf Stunden Konzert hinter sich. Denn Arch Enemy haben gleich drei Supports im Schlepptau. Mit Wintersun sogar einen Act, der selbst durchaus die Hallen füllen kann. Die Finnen hangeln sich seit über einem Jahrzehnt höchst abwechslungsreich durch die Metal-Genres; da treffen harte Death-Metal-Riffs auf süßliche Power-Metal-Elemente, auf Fantasy-Themen und auf Pagan-Gesang – nicht immer ganz einfach, aber allemal spannend. Jari Mäepää übertreibt’s nur hier und da damit, seinem druckvollen Organ auch klassisch anmutende Klar-Gesang-Passagen abzuringen.
Das versuchen Tribulation, die nach Jinjer auf die Bühne kommen, erst gar nicht. Das Quartett liefert schwedischen Todes-Stahl ohne allzu große Schnörksel. Die gibt’s lediglich bei der Optik, die mit Skeletten und bleicher Schminke an Halloween erinnert – und wunderbar zu Johannes Andersson gegrölten Horror-Fantasien passt. Die grusligen Herrschaften bringen Tempo in einen Abend, der am Ende einer atemberaubenden Achterbahnfahrt gleicht.