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Positives Denken als Show: Biyon Kattilathu und das wahre Leben
Passt doch in die Zeit: Biyon Kattilathu vermittelt als Influencer, Bestseller-Autor und Bühnenstar Zuversicht - auch beim Auftritt in Augsburg. Aber das hat Risiken.
Wolfgang Schütz
 |  aktualisiert: 11.03.2024 13:34 Uhr

Schon sehr früh in dieser zweistündigen Druckbetankung mit positivem Denken ragt plötzlich eine Klippe gefährlich auf. Bis dahin hatte sich der Reigen der Ermunterungen und Ermutigungen im sehr gut gefüllten Kongress am Park wohlig entfaltet, begonnen gleich damit, dass auf jedem der rund 1200 besetzten Sitzplätze ein Zettel lag mit einer Willkommensbotschaft: „Wer das liest, ist schön“ – samt Herzchen. Gesandt von Biyon, der sich auf der Bühne ironisch als „Guru“ dieser „Glückssekte“ vorstellte, aber natürlich der Star ist – mit betont flacher Hierarchie aber, einer von allen hier, der meistens im Wir spricht und mit seinen Einsichten inspirieren will. 

Das Biyon-Buch: "Spaziergang zu dir selbst" – die Biyon-Show: "Lebe. Liebe. Lache."

Positives Denken: Das klingt für so viele lange schon so gut, dass es Karrieren wie die seine befördert. Biyon Kattilathu, 38 Jahre alt, in Hagen geborener Sohn indischer Einwanderer, der, während er als studierter Wirtschaftswissenschaftler bei VW in Wolfsburg arbeitete, in der Freizeit mit Motivationsvideos begann. Das hat ihn zum angesagten Influencer, zum Bestseller-Autor in Serie und zum Showstar werden lassen. Das aktuelle Buch heißt „Spaziergang zu dir selbst“ (Gräfe und Unzer) und bietet „Eine magische Reise zu mehr Achtsamkeit, Selbstliebe und Glück“; sein aktuelles Bühnenprogramm, mit dem er an diesem Montagabend auch hier in Augsburg auftritt, heißt, wie es auch von drei Leuchttafeln auf der Bühne strahlt: „Lebe. Liebe. Lache.“ 

Spürbar geliebt wird der spitzbübisch charmante Biyon von seinen Fans jedenfalls offenkundig, und zum Lachen bringt er diese mit klassischen kabarettistischen Elementen unentwegt, Anekdötchen über die kulturelle Eigenart der Eltern, Späßchen über seine eigenen Unzulänglichkeiten, Quatschspielchen mit dem Publikum. Aber wie steht es um das Leben? Was hat er gerade jetzt, da das positive Denken angesichts vieler Sorgen und Ängste nährender Entwicklungen besonders gefragt erscheint, dazu wirklich zu sagen? 

Biyon sagt: „Ich werde euch heute Abend nichts Neues erzählen.“ Er wolle durch breit gestreute Anregungen nur dazu beitragen, dass alle hier sich selbst wieder ein bisschen näher fühlten. Denn gerade, wenn es derzeit als unmöglich erscheine, diese Welt da draußen zu verändern, umso mehr müsse es darum gehen, sich selbst und den allzu oft negativen Blick auf das eigene Leben zu verändern. Es ist die branchenübliche Prosa über Selbstliebe und Dankbarkeit, Zuversicht und dem Erkennen von Glückspotenzial in der Tiefe des Augenblicks … – bloß eben mit angenehm wenig messianischem Gestus präsentiert, viel mehr mit kumpelhafter Zugänglichkeit. 

Ist das nicht peinlich platt in der Show von Motivationstrainer Biyon Kattilathu?

Das gerät nie zu hoch, sondern wird höchstens allzu flach, etwa, wenn Biyon dort vorne tatsächlich bei gedimmtem Saallicht eine brennende Kerze in Händen hält und in innigem Ton vordenkt, die gebe ja auch ihre Wärme, ihr Licht an andere ab und verbrauche sich dabei – aber erlebe doch gerade darin Sinn und Erfüllung. Oder wenn der beseelt berichtet, wie er einst auf seinen Reisen durch Indien in den Slums von Mumbai die Armen im Elend habe beten, singen und tanzen sehen – weil sie eben nicht wüssten, wie es weitergehe, aber darum aufgehen könnten in dem, was sie im Moment erlebten. Da könnte das unentwegt zwischen Witz und Weisheit wirbelnde Plaudern doch ein bisschen peinlich wirken – aber für all die Vertrauten der Methode Biyon, die auch das Urinschnüffeln seiner Hündin und das Halten an einer roten Ampel als Einladung zur Entschleunigung und Bewusstwerdung deutet, überragt das gesamt positive Erlebnis mit dem Showmaster ihres Herzens locker alle Details. 

Jede Frau (und das Publikum in der Halle besteht zu 95 Prozent aus ihnen), die in frappierender Offenheit bereit ist, hier stellvertretend ihre Probleme mit all den Gleichgesinnten zu umarmen, wird hier gemeinsam bejubelt und von Biyon ausgiebig umarmt. Doch genau da klaffen die Abgründe, entstehen die Klippen, die die Methode waghalsig erscheinen lassen. 

Nach einer halben Stunde bereits kommt dabei eine Frau auf die Bühne, die mit tränenerstickter Stimme berichtet, in welch schwerer Lebensphase sie sich befinde, bereits seit Längerem in einer Klinik, nur durch Unterstützung ihrer Therapeuten habe sie, wie sie es sich so sehr gewünscht habe, an diesem Abend hierher kommen dürfen. Das ist weit jenseits eines Wellness-Problems – und was macht Biyon damit? 

Das sind die Tipps von Biyon Kattilathu zum positiven Denken

Hält der Frau einen vorbereiteten Luftballon hin, in den sie all ihre Probleme projizieren solle und reicht ihr die Schere, damit sie die Schnur durchschneidet und ihn fliegen lässt. Einer anderen Frau, die später – Biyon hat inzwischen gesagt, „dass es nie zu spät ist, eine schöne Kindheit zu haben“, wenn man lerne, dankbar das Positive daran zu sehen, und hat gefragt, wer sich im Saal mitunter nicht gut genug fühle – davon erzählt, wie sie als Kind im Heim und bei Pflegeeltern gelebt habe, nie als gewollt, bejaht empfunden: Da liest der Motivationstrainer ihr vom Zettel vor, dass sie ein Wunder sei, einzigartig und schön … Es folgen Applaus und eine so wuchtige Umarmung, dass Biyon im Fortgang immer wieder witzelt, die Frau habe ihn umzubringen versucht – und Lachen erntet. 

Am Schluss knallt Konfetti in die Halle, der Showstar singt auch noch und mit einer Traumreise, die alle Stimmungsstationen des Abends noch mal rekapituliert und die sich die Fans auch durch einen Link auf ihrem „Wer das liest, ist schön“-Zettel für zu Hause herunterladen können, geht es hinaus in die Winternacht, in die Wirklichkeit. Was bleibt, sind Tipps, wie das Gute und Schöne mehr Platz im Leben erhalten kann. Und dass dieses Leben, für dessen Unbilden man manchmal besser seinen Akzeptanzmuskel trainiert, als etwas zu Gestaltendes und nicht als Schicksal anzusehen ist – darum: zur Gesundheitsvorsorge gehen! Und dass wir heute die Wahl haben zum Ziel zu sein, wer wir sein wollen: „eines Tages oder Tag eins?“ Alles Einstellungssache?

 
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