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Grundschulreform
Die Reform des Stundenplans – eine Offensive gegen Kunst und Musik?
Die Grundschulreform trifft auf viel Gegenwind. Musiker befürchten, dass durch die Pläne die Kreativität zu kurz kommt. Sie schlagen andere Lösungen vor.
Der neun Jahre alte Benjamin übt vor seinem Computer mit seiner Geige. Foto: Uli Deck/dpa       -  Musikerinnen und Musiker kritisieren die Pläne zur Grundschulreform des Kultusministeriums.
Foto: Uli Deck, dpa | Musikerinnen und Musiker kritisieren die Pläne zur Grundschulreform des Kultusministeriums.
Felicia Straßer
 |  aktualisiert: 25.03.2024 02:47 Uhr

Die geplante Grundschulreform des bayerischen Kultusministeriums hat einen großen Aufschrei ausgelöst. Namhafte Kunstschaffende wenden sich nun in einem offenen Brief an die Regierung. Ihre Kritik: Geht es nach dem Plan, werden Kunst, Werken und Musik künftig im Unterricht zu kurz kommen. Denn die Fächer seien wichtiger, als die Politiker vielleicht denken.

Schülerinnen und Schüler würden in vielerlei Hinsicht von der Musik profitieren, sagt Karin Rawe. "Sie kann die Konzentration stärken und das Lernen allgemein unterstützen." Rawe ist Generalsekretärin des Bayerischen Musikrats. Natürlich müsse man auch Lesen und Schreiben können, "aber einen Menschen macht doch noch mehr aus, als das." Auch Kultur sei wichtig. "Der Hauptgrund, sich mit Künsten auseinanderzusetzen: Es finden Prozesse statt, die einzigartig sind", sagt Daniel Mark Eberhard. Er ist mehrfach ausgezeichneter Künstler und spielt unter anderem Klavier, Keyboards, Hammond-Orgel und Akkordeon. Zudem ist er Professor für Musikpädagogik und Musikdidaktik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Die "ästhetische Bildung" schule die Wahrnehmung und wirke sich auf das emotionale Erleben aus. Auch die soziale Kompetenz werde beeinflusst.

Grundschulreform in Bayern: Zu wenig Kunst und Kultur?

Für Julia Fischer, die zur Spitze der weltweiten Geigenelite gehört und als Professorin an der Hochschule für Musik und Theater München lehrt, haben die Fächer Musik, Kunst und Werken auch noch eine andere Funktion: "Jedes Kind sollte ein Fach haben, in dem es heraussticht." Manche Kinder seien gerade künstlerisch besonders talentiert, während ihnen andere Fächer vielleicht weniger liegen. Kürze man nun die künstlerischen Fächer, nehme man diesen Kindern das Selbstbewusstsein. 

Aktuell sieht die Grundschulreform vor, dass Schüler und Schülerinnen eine Stunde Deutsch mehr pro Woche haben. In der ersten und dritten Klasse auch eine Stunde mehr Mathematik. Kunst, Musik sowie Werken und Gestalten werden in einem Fächerverbund zusammengefasst. Hatten Dritt- und Viertklässler bisher wöchentlich eine Stunde Kunst und je zwei Stunden Musik und Werken, können die Schulleitungen sich jetzt auf insgesamt vier Stunden beschränken und diese flexibel über die Fächer verteilen. Es solle auch epochaler Unterricht möglich sein, die Fächer können also auch nur jeweils ein halbes Jahr unterrichtet werden. Englisch darf um eine Stunde reduziert werden.

Petition gegen Grundschulreform hat bereits über 200.000 Unterschriften

Das kam bei vielen Menschen nicht gut an, eine Petition gegen das Vorhaben hat bereits über 200.000 Unterschriften. "Den Aufruhr hätte man durch frühe Kommunikation vermeiden können", sagt Daniel Eberhard. Das Kultusministerium habe die Künstler-Verbände nicht mit einbezogen. Das beklagt auch der Bayerische Musikrat. "Wir haben im Vorfeld einen Brief geschrieben", sagt Generalsekretärin Karin Rawe. Doch darauf hätten sie keine Antwort erhalten. Die nun vorgestellte Reform findet Rawe falsch. Schon zuvor war sie mit dem Musikunterricht an Grundschulen nicht zufrieden. Denn oftmals werde dieser von allgemein ausgebildeten Grundschullehrkräften gehalten und nicht von einem speziellen Musiklehrer. "Manche Grundschullehrer sind musikaffin, aber nicht alle", sagt Julia Fischer. Darunter leide die Qualität des Unterrichts. Eberhard befürchtet, dass ein Großteil der Lehrkräfte weniger Musik mit ihrer Klasse machen werde, wenn die Grundschulreform eingeführt wird. "Es wird so sein. Zum einen wegen des Lehrermangels und weil man Kunst zuschreibt, sie sei einfacher zu unterrichten." 

Von epochalen Einheiten halten die Kunstschaffenden nichts. "Ein halbes Jahr viel Musik und ein halbes Jahr lang keine Musik zu unterrichten, ist nicht sinnvoll", sagt Eberhard. Das Fach muss laut Rawe durchgehend gelehrt werden, denn nur durchs Wiederholen präge sich etwas ein. "Das ist bei Musik ganz wichtig", sagt sie.

Julia Fischer findet, das ganze Schulsystem muss reformiert werden

Aber was ist nun die Lösung, wie sollte der Unterricht aus Sicht der Kritikerinnen und Kritiker aussehen? "Es müsste Tests geben, die differenzieren, ob ein Kind schon reif für die Grundschule ist, oder eventuell noch ein verpflichtendes Vorbereitungsjahr absolvieren muss", sagt Julia Fischer. Denn aktuell stecke man "die Stärksten und die Schwächsten" alle in eine Klasse. Und der Lehrer oder die Lehrerin müsse dann auf alle Schüler eingehen. Dieses Problem werde durch zusätzliche Stunden nicht gelöst. "Man versucht etwas zu retten, was von Grund auf reformiert werden müsste", sagt Fischer. Den Vorschlag der Grünen, die Stundenanzahl in Grundschulen insgesamt zu erhöhen, hält sie für diskussionswürdig. "Viele Kinder gehen heute in die Mittagsbetreuung." Da sei auch eine Stunde mehr Unterricht möglich. Aber auch bei diesem Vorschlag fehle die individuelle Förderung. 

Die Politik ziehe die falschen Schlüsse, sagt Daniel Eberhard. Denn an der Pisa-Studie haben nur 15-Jährige teilgenommen. Dass sie so schlecht abschnitten, könne viele Ursachen haben, wie zum Beispiel hoher Medienkonsum. Aufgrund der Pisa-Ergebnisse nun Grundschüler mehr Deutsch- und Matheunterricht aufzubrummen, hält Eberhard für eine "einfallslose Herangehensweise". Die Pisa-Offensive sei für ihn eine Offensive gegen Kunst und Musik. Eberhard fordert von der Politik, die Stundentafel für den Musikunterricht unangetastet zu lassen. Zudem soll Musik genutzt werden, um Lernprozesse in allen Fächern anzustoßen. Und in Ganztagsklassen sollen Schülerinnen und Schüler Instrumente lernen können. "Nach einem Zehn-Stunden-Tag geht man nicht auch noch in die Musikschule", sagt er.

Hoffnung auf Änderungen an der Grundschulreform

Kinder, die einen Migrationshintergrund haben und zu Hause kein Deutsch sprechen, haben es laut Karin Rawe besonders schwer. Zwei Sprachen zu lernen, das sei einfach schwierig. Außerdem heiße es von weiterführenden Schulen immer wieder, dass der Englischunterricht in der Grundschule nicht allzu effektiv sei. Man müsse in der fünften Klasse wieder bei Null anfangen. Rawe frag sich daher, was Englisch überhaupt in der Grundschule zu suchen hat. Sie hofft, dass die bayerische Regierung noch etwas an der Grundschulreform ändert.

"Bayern ist ein Kulturstaat, das steht sogar in der Verfassung", sagt sie. Doch davon merke sie immer weniger. "Ich finde es schade, ich habe das Gefühl, es gibt einen schleichenden Rückzug aus der Kultur."

 
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