Eigentlich ist sein Programmtitel „Im Fluss. Täglich quellfrisch, immer aktuell“ etwas diffus. Doch taktisch gesehen, ist er schlau. Denn unter dieser Überschrift kann Urban Priol seit mindestens zwei Jahren wie aufgedreht und mit elektrifizierten Haaren durch die Republik touren, um die gerade vorbeifließenden Schnappschüsse der Tagespolitik fein-kabarettistisch einzufangen. Urban Priol nimmt zwar die gesamte Bühne mit schnellen Bewegungen ein, hüpft zwischen Katheder mit Weizenbier(glas) und Schreibtisch hin und her, sodass auch die fix gesprayte Frisur ins Wippen gerät. Doch trotz all der Action rutscht er nie ins Comedyhafte, nie lässt er Sätze in der Luft hängen, weil er den Anfang nicht mehr findet, und vor allem stellt er nie sich selbst in den Mittelpunkt seiner Erzählungen.
Urban Priol mit seinem Programm „Im Fluss“ in der ausverkauften Stadthalle Gersthofen
In der so gut wie ausverkauften Gersthofener Stadthalle unterhielt der 63-jährige Aschaffenburger nach allen Regeln der Kunst. Vorlagen gab es in den letzten Monaten genug: Mehrere Wahlen, der Grünen-Vorstand tritt zurück, der „breitbeinige“ Söder, der die Grünen nicht mehr will, das AKW-Aus von Isar II betrauert und auf dem Parteitag in Augsburg die „starke CSU“ beschwört. Ein gut gewählter Termin sei das gewesen in der Stadt der Puppenkiste, mitten im Sommer. In einem Sommer, in dem es noch nicht einmal ein Sommerloch gab, keine Schnappschildkröte, kein als Löwe verkleidetes Wildschwein, nur die CSU und Merz: „Ein Jurist, auch sonst von mäßigem Verstand“. Ein schlecht gelaunter, „saurer“ Sauerländer – ok, ein schlechter Kalauer – bei dem sich die innere Hässlichkeit mit der äußeren vermählt. Priol weiß, wie tief er unter die Gürtellinie gehen darf, bei einer öffentlichen Person wie Merz. Er kennt die Grenze.
Tiefer schlägt er bei der AfD und ihren Tiktok-Erfolgen zu. Dass zur Landtagswahl in Thüringen 38 Prozent der 16- bis 24-Jährigen AfD wählten, kommentiert Priol kurz mit: „Höcke Jugend, HJ“. Priols Gag über den Tiktok-Auftritt des Bundeskanzlers, bei dem die Aktentasche mehr Charisma habe als ihr Träger, ist allerdings etwas abgetragen. Was sich hier jedoch zeigt, ist sein enormes Imitationstalent. Denn einen Mann ohne Ecken und Kanten pantomimisch-lustig genau darauf zu reduzieren, ist eine Leistung für sich.
Urban Priol geht es um politische Bildung
Ein besonderes Talent von Priol ist das Imitieren, zum Beispiel auch von dem ständigen Nörgeln an der Ampel. Im Zwiegespräch mit sich selbst mimt er den einfachen, bisweilen rassistischen Wut-Bürger von der Straße. Die Politik sei schuld, an allem, auch an der deutschen Nationalmannschaft, die doch gar nicht deutsch sei. Und daran, dass sie bei der EM versagt. Warum das, was hat die Ampel mit Fußball zu tun? „Ist doch egal, es geht ums Prinzip“, antwortet er verbissen.
Urban Priol ist ein politischer Kabarettist, dem es nicht um sich, sondern um politische Bildung, um das Verständnis für die manchmal unbeabsichtigten, manchmal schmutzigen Tricks der Reichen und Mächtigen geht. Er imitiert Hitler, Karl Lauterbach und Winfried Kretschmann – den ersten in nur einem Drei-Wortsatz mit seinem Hass, den zweiten mit seinen rheinischen Endlossätzen, den dritten für seinen Umgang mit dem Milliarden teuren „Übergangsbahnhof“ Stuttgart 21. Priol springt in die Schere zwischen Realität und PR, mäandert durch die Geschichten, schauspielert sich durch die Geschichten, die uns erzählt werden, und den Tatsachen, die nur zwischen den Zeilen zu hören sind. Priol hat sein Publikum gut im Griff. Er beißt hart, aber mit Stil zu. Obszönitäten kriegt man hier – anders als bei vielen Comedian-Kollegen – nicht aufs Ohr. Das Publikum dankt.