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Studium
Gehen den Geisteswissenschaften die Studierenden aus?
Immer weniger studieren Geisteswissenschaften. Sie gelten als brotlose Kunst. Doch das Klischee ist laut Experten längst überholt. Woran liegt es dann?
Student*innen sitzen in einem Hörsaal       -  Um welche Forschungsschwerpunkte geht es in der Vorlesung? Die Websites des Lehrpersonals können für künftige Studierende aufschlussreiche Infos liefern.
Foto: Julian Stratenschulte, dpa/dpa-tmn | Um welche Forschungsschwerpunkte geht es in der Vorlesung? Die Websites des Lehrpersonals können für künftige Studierende aufschlussreiche Infos liefern.
Felicitas Lachmayr
 |  aktualisiert: 11.03.2024 13:30 Uhr

Wo willst du denn damit arbeiten? Wer Philosophie, Anglistik oder Musikwissenschaft studiert, sieht sich häufig mit dieser Frage konfrontiert. Denn geisteswissenschaftliche Fächer gelten als brotlose Kunst. Unklares Berufsbild, endlose Jobsuche, niedriges Gehalt – der schlechte Ruf eilt ihnen voraus. Zahlen zeigen: Immer weniger junge Menschen entscheiden sich für ein solches Studium. 

Nach Angaben des Statistischen Bundesamts waren zum Wintersemester 2021/22 rund 316.000 Studierende in den Geisteswissenschaften eingeschrieben. Knapp sieben Prozent weniger als vor vier Jahren. Die Geisteswissenschaften sind neben der Mathematik und Naturwissenschaft die einzige Fächergruppe, in denen die Zahl der Studierenden rückläufig ist. 

Geisteswissenschaften:Berufsaussichten sind nicht schlechter als in anderen Fachrichtungen

Für alle anderen Fächer wächst das Interesse – auch wenn mit der Corona-Pandemie insgesamt weniger junge Menschen ein Studium aufnahmen. Am beliebtesten sind die Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Rund 1,1 Millionen der knapp drei Millionen Studierenden in Deutschland sind in diesen Bereichen eingeschrieben. Auch das Ingenieurswesen zählt mit rund 776.000 Studierenden zu den gefragten Fächern. 

In den Geisteswissenschaften ist die Tendenz hingegen rückläufig. Germanistik und Anglistik gehören noch zu den beliebteren Fächern. Die Wenigsten studieren Islamwissenschaften oder Slawistik. Aber woran liegt das? Sind die Jobaussichten tatsächlich so schlecht? 

Oliver Jahraus ist Vizepräsident für den Bereich Studium und Lehre an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und selbst Germanist. Er sagt: „Das Bild des Geisteswissenschaftlers, der nach dem Studium als Taxifahrer arbeitet, ist ein Mythos und längst überholt.“ Die Berufsaussichten seien nicht schlechter als in anderen Fachrichtungen. Das hätten Befragungen von Absolventinnen und Absolventen gezeigt. 

Jahraus sieht die rückläufigen Tendenzen gelassen. Man müsse die Entwicklung differenziert betrachten, es gebe klare Unterschiede zwischen den Fächern. „In der Theologie ist ein Rückgang spürbar“, sagt Jahraus. Die Personalsituation innerhalb der Kirche sei unsicher. Das halte junge Menschen eher vom Studium ab. Dafür verzeichneten kulturwissenschaftliche Fächer wie Sinologie oder Japanologie einen Zuwachs. 

Studierende sollten sich früh über Jobmöglichkeiten informieren

Klaus Maiwald, Dekan der philologisch-historischen Fakultät an der Universität Augsburg, hält das Klischee von Geisteswissenschaftlerinnen und Geisteswissenschaftlern, die ewig studieren und dann ohne Job dastehen, ebenfalls für veraltet. Seit Einführung des Bachelor-Master-Systems sei die Prüfungsintensität gestiegen, das Studium straffer organisiert und berufsorientierter. An der Augsburger Fakultät sind aktuell rund 4800 Studierende in den Geisteswissenschaften eingeschrieben. Ein signifikanter Rückgang sei nicht zu verzeichnen, sagt Maiwald. Dabei würden etwa zwei Drittel auf Lehramt studieren. Dort seien die Berufsaussichten momentan sehr gut.

Was bei der Entscheidung für oder gegen ein geisteswissenschaftliches Studium eine Rolle spielt, ist das Berufsbild. Denn das ist im Vergleich zu anderen Fächern wie Jura oder Medizin nicht klar umrissen. „Ein geisteswissenschaftliches Studium qualifiziert nicht für einen bestimmten Beruf“, sagt Jahraus. Geisteswissenschaftler seien Wissensexperten. Sie lernten mit großen Datenmengen umzugehen, zu recherchieren und Projekte fristgerecht umzusetzen.

Eine steile Karriere steht für Studienanfänger oft nicht an oberster Stelle

„Man muss seine Kompetenzen kennen und sich gut verkaufen können“, sagt Jahraus. Germanisten würden oft das Verlagswesen als Berufswunsch nennen, aber das gelinge nicht einfach so. Studierende müssten sich früh über Jobs informieren, nach Praktika oder anderen beruflichen Einstiegsmöglichkeiten suchen und Eigeninitiative zeigen. 

Das legt auch ein Bericht der Agentur für Arbeit nahe. Demnach lag die Arbeitslosenquote unter Akademikerinnen und Akademikern 2021 bei 2,4 Prozent. Bei Geisteswissenschaftlern war sie mit sechs Prozent etwas höher. Doch wer flexibel und offen für fachfremde Berufe ist und Praxiserfahrung sammelt, findet meist einen Job. So liegt die studienfachspezifische Arbeitslosenquote in den Sprach- und Literaturwissenschaften mit 3,3 Prozent nur knapp über dem Durchschnitt. In den Geschichtswissenschaften ist sie mit 4,6 Prozent etwas höher. 

Jobmangel: Situation für Geisteswissenschaftler verbessert sich

Dem Bericht zufolge gab es für Geisteswissenschaftler weniger Stellen als in anderen Fachbereichen. Doch die Situation scheint sich zu bessern. So waren 2021 in den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften 8100 Jobs ausgeschrieben und damit 28 Prozent mehr als im Vorjahr. Eine steile Karriere steht für Studienanfänger in den Geisteswissenschaften sowieso oft nicht an oberster Stelle. Ausschlaggebender sind persönliche Interessen und Neigungen. 

Doch Jahraus sagt: „Die Mentalität der Studierenden hat sich geändert. Die meisten wissen, worauf sie sich einlassen.“ Früher sei Germanistik ein Massenfach gewesen. Heute würden sich weniger dafür entscheiden, aber ernsthafter studieren. „So gesehen sind die rückläufigen Zahlen auch eine positive Entwicklung“, sagt Jahraus. 

Experte fordert stärkere Beteiligung an gesellschaftspolitischen Debatten

Zwar spiegelten sie eine allgemeine Tendenz wider, dass die Auseinandersetzung mit klassischen Kulturgütern an Wertigkeit verliere. Anlass zur Sorge sieht der Experte aber nicht. Denn im Kern gehe es um kritisches Denken und das sei zu jeder Zeit gesellschaftsrelevant. 

Doch Jahraus appelliert auch an Vertreterinnen und Vertreter des eigenen Fachs. Um die Geisteswissenschaften attraktiver zu machen, brauche es mehr Sichtbarkeit. „Wir müssen uns stärker an gesellschaftspolitischen Debatten beteiligen“, sagt er und nennt ein Beispiel. Beim Klimawandel seien die Geo- oder Naturwissenschaften gefragt. Doch auch die Geisteswissenschaften hätten einiges beizutragen. Immerhin seien mit dem Ecocriticism ganze Forschungsfelder über die Beziehungen zwischen dem Menschen und seiner Umwelt entstanden.

 
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