Der Titel ist Programm dieses zweiteiligen Ballettabends„Kontraste“ in der Brechtbühne: zum einen der Newcomer Michael Ostenrath, bis vor kurzem noch Tänzer in der renommierten DresdenFrankfurt Dance Company und im Zusammenspiel mit deren Leiter Jacopo Godani geschult in der Entwicklung einer eigenen Bewegungssprache. Zum anderen die arrivierte Choreografin und international tätige Tanzpädagogin Didy Veldman. Hier Mann, dort Frau; mal energetisch aufgeladene Collage, mal erzählerisch-theatrales Tanzstück. Also: die mit dem Ensemble erarbeitete Uraufführung „Man &Honeymoon in New York City“ und das schon 2009 für das Cedar Lake Contemporary Ballet kreierte „Frame of View“. Zusammen fügen sie sich zu einem reizvollen Gesamtbild, in dem das Ballett Augsburg mal wieder das Spektrum Tanz für sich auslotet.
Blau und Grün sind die Farben, in denen New York an diesem Abend erstrahlt – das Wasser und die Parks der Stadt symbolisierend. In einfachen blauen Trikots, ohne spezifische Geschlechterzuordnung stecken die Tänzerinnen und Tänzer, die zwischen zwei Bahnen grünen Wiesenteppichs in den Rausch der Metropole fallen, manchmal auch einfach darüber hinweg schaukeln, ihrem Verlangen nach Lust und Leidenschaft in weit gestreckten Armen und hüftbetonten Bewegungen Ausdruck geben - und dabei immer wieder ins Straucheln kommen. Wie jenes ätherische Wesen im Glitzerkleidchen und hochhackigen Silbersandalen (Ria Girard), das sich zu Beginn noch wie die Freiheitsstatue aus dem Pulk der Masse empor geschraubt hat.
Zu Nina Hagens "New York"-Song gibt es ein laszives Duett
Raffiniert zitiert Michael Ostenrath Bilder, die vor dem geistigen Auge entstehen, wenn der Name der Stadt fällt, ohne sie über Gebühr zu strapazieren. Und es sind dann eben auch nicht die Hymnen von Frank Sinatra und Alicia Keys, die einem gefällig in den Ohren klingen, sondern Elektrosound und skandierender Sprechgesang, der die Tänzerinnen und Tänzer antreibt. Oder auch Nina Hagens„New York“-Song mit der rotzig-romantischen Zeile „New York Citiy is the hottest place for an honeymoon in a hotel room“, die im Titel des Stückes anklingt und der mit einem lasziven Duett von Nikolaos Doede und Terra Kell zum Höhepunkt des Stückes wird.
Zu dröhnenden Beats inszeniert der junge Choreograf Ostenrath eine Party, zwischen Dramatik und Ausgelassenheit, bei der sogar die neonfarbigen Perücken zu tanzen beginnen, spielt er mit den Körperteilen, dreht er in einem Bewegungsablauf Arme nach außen und Beine nach innen, reizt er präzis Synchronität und Gegenläufigkeit in den unterschiedlichsten Formationen aus. Das erzeugt große Dynamik, die aber dramaturgisch nicht durchgehend erhalten bleibt und schließlich im Schlussbild verpufft.
"Frame of View": Ein Episoden-Reigen mit neun Tänzerinnen und Tänzern
Ohne Durchhänger, dicht und packend ist Didy Veldmans„Frame of View“. Drei Türen dominieren die Bühne, schaffen in subtiler Ausleuchtung Raum und Rahmen für einen Episoden-Reigen mit neun Tänzerinnen und Tänzern, die diesen Raum mal vorsichtig erkunden oder auch in Selbstbehauptung in Anspruch nehmen. Augenzwinkern nicht ausgeschlossen, wenn ein Paar (Maria Piacentino und Nikolaos Doede) einen handfesten Streit in Zeitlupe tänzerisch brillant ausficht.
Drinnen und draußen sind in diesem Frame of View“ nicht nur räumliche Kategorien, sondern reflektieren Emotionen und Reaktionen der Protagonisten, die mit ihren Ängsten Erwartungen und Enttäuschungen kämpfen. Mit dem Schmerz, verlassen zu werden. Die liebkosende Hand im Briefschlitz – Annehmlichkeit oder Übergriff? Die scherzende Menge vor der Türe – soll man sich ihr anschließen oder alleine bleiben? All das großartig tänzerisch umgesetzt, mit Virtuosität, Musikalität und schauspielerischem Ausdruck.
Als Musik erklingt dazu eine Mischung aus Chansons, Klassik, Pop und Swing, die das Publikum gut gelaunt in den Abend entlässt, nachdem es begeistert applaudiert hat.
Info: Für eine Zusatzvorstellung am 18. März gibt es noch Karten. Weitere Termine zu Beginn der nächsten Spielzeit 2022/2023.