Was hat man auf der Augsburger Freilichtbühne nicht schon alles an Fortbewegungsmitteln erlebt: Ganze Oldtimerparaden ließen sich mit den Gefährten bestücken, die in der Wallanlage am Roten Tor vorfuhren. Diesmal ist es nur ein alter Gaul namens Pomme-de-Terre (Kartoffel), mit dem der Held sich in ein großes Abenteuer aufmacht, doch der Klepper wird zum Star der Aufführung des Musicals "3 Musketiere". Das beste Pferd im Stall – weil das einzige. Nicht auf irgendeinem Gnadenhof aufgelesen, sondern mit viel Liebe zum Detail aus einem Gestell und mit Lumpen "zusammengebastelt". Ausdrucksstark zum Leben erweckt von zwei Statisten, die trippeln, galoppieren, die Zähne blecken und mit dem Ohr wedeln, dass das Publikum vor Vergnügen jauchzt. Der liebenswürdige Klepper ist nicht nur ein gelungener szenischer Gag, sondern steht für eine Freilichtaufführung, die mit viel Gespür fürs Detail und großer Professionalität rundherum gelungen ist.
Bestes Mantel- und Degen-Entertainment ist mit der Geschichte um die Soldaten des französischen Königs sowieso geboten: Tapfere Männer und mutige Frauen, ein junger Held und ein hinterhältiger Bösewicht sind die Figuren im Bühnenspiel um Macht und Intrigen, Liebe und Abenteuer, Freundschaft und Ehre vor dem Hintergrund des religiösen Fanatismus im Frankreich des 17. Jahrhunderts. Dort regiert Ludwig XII., ein schwacher König, nicht nur, weil ihn das Volk ob seiner fehlenden Zeugungskraft belächelt. Die Staatsgeschäfte lenkt der machtbesessene Kardinal Richelieu, den katholischen Glauben verteidigt er brutal gegen die Hugenotten. Als er mithilfe der Spionin Milady de Winter einen Krieg gegen die protestantischen Engländer provozieren will, kommen ihm die königstreuen Musketiere in die Quere.
"3 Musketiere" in Augsburg: Premiere auf der Freilichtbühne am Roten Tor
Auch manch tragisch endende Liebesgeschichte verwebte Alexandre Dumas 1844 in seinem Roman "Die drei Musketiere" , der den Brüdern Rob und Ferdi Bolland als Vorlage für ihr 2003 uraufgeführtes Musical diente. Die beiden Niederländer sind versierte Hitlieferanten, schrieben etwa für Falco Songs wie "Jeanny" und "Rock me Amadeus". In "3 Musketiere" fehlt allerdings der ganz große Hit und Ohrwurm, wie man ihn aus anderen Stücken dieses Genres kennt. Dafür erwartet einen eine klassisch- poppig-rockige Mischung aus Balladen, Hymnen und Chorälen, die auch mal Anleihen nimmt an Musicals wie "Phantom der Oper ("Milady ist zurück") oder "Jesus Christ Superstar" ("Vater"). Dieses eingängige Potpourri trägt mit Leichtigkeit und Schmelz durch die Sommernacht und die Geschichte und es wird von den Augsburger Philharmonikern unter Leitung der 2. Kapellmeisterin Anna Malek mit Esprit und Temperament gespielt. Nur schade, dass die Musiker samt Dirigentin diesmal ganz im Verborgenen hinter einer Fassade bleiben, der Live-Charakter der Musik geht dabei verloren.
Geschuldet ist dies einem großartigen Bühnenbild, das die natürliche Umgebung am Roten Tor nutzt. Dahinein hat Bühnenbildner Leif-Erik Heine Kulissen gefügt, die die Spielorte der Handlung andeuten: ein Wirtshaus, eine Pariser Häuserzeile, ein Kloster mit Kreuz, einen palastartigen Säulengang, eine große verschiebbare Treppe, die die Ebenen der Anlage verbindet. Diese riesige Bühnenlandschaft belebt Regisseur Ulrich Wiggers mit quirligem Stadtleben, ebenso wie mit intimen Einzelszenen. Aus allen Toren und Türen stürmen sie heraus, die Tänzer und Tänzerinnen, der Chor, die Statisten, die Hauptdarsteller. Da wehen die langen Haare von Männlein und Weiblein, wippen die Röcke und wedeln die Federn der opulenten historischen Kostüme (ebenfalls Leif-Erik Heine). Und nicht zuletzt: Da schwingen die Degen durch die Luft in beeindruckenden Fechtszenen, die mehr Ballett als Kampf und erstklassig einstudiert sind (Kampfchoreografie Thomas Ziersch).
Auf dem Ärmelkanal wogen die Wellen in einem Lichtermeer
Eindringliche Bilder entstehen vor allem nach der Pause in der Dunkelheit: die ganz in rotes Licht getauchte Kardinalsszene oder ein Feuerwerk, das – Feinstaub vermeidend – durch Lichtreflektionen in den Bäumen imaginiert wird (Marco Vitale). Grandios auch die stürmische Überfahrt D'Artagnans auf dem Ärmelkanal. Ein Dutzend Latten werden schnell zum Schiffskörper, drumherum wogen die Wellen in einem Lichtermeer und die famose Ballettkompanie des Staatstheaters wird zur schwankenden und schlingernden Schiffsbesatzung (Choreografie Kati Heidebrecht).
All das bliebe aber reiner Augenschmaus, wären nicht die Darstellerinnen und Darsteller ausnahmslos erstklassige Allroundtalente mit starken Stimmen und vor allem großer Ausdruckskraft in ihrem Spiel: Florian Peters als forscher Grünschnabel D'Artagnan, Katja Berg als schwer getroffene und rachelüsterne Milady de Winter, Alexander Franzen als kaltherziger Kardinal, Hannes Staffler, Patrick L. Schmitz und Dennis Wissert als Athos, Porthos und Aramis, Larissa Hartmann als zarte aber starke Constance. Aus dem Ensemble des Staatstheaters werden sie ergänzt von Sebastian Müller-Stahl, der als Vater D'Artagnans, vor allem aber als fieser Rochefortüberzeugt, von Luise von Garnier, die mit ihrer Opernstimme eine stolze Königin gibt, und von Chormitglied Erik Völker, der die Doppelrolle des stotternden Königs und seines Gegenspielers Buckingham meistert. Eine Wucht schließlich Martina Lötschert, die in mehreren kleinen Rollen brilliert.
Auch nachdenkliche Momente gibt es in dem Musical "3 Musketiere" am Staatstheater Augsburg
Gerade die Glaubwürdigkeit des Spiels geben der Aufführung bei aller Opulenz, Unterhaltung und Komik (ja, es gab auch sehr viel zu lachen und zu schmunzeln über Doppeldeutigkeiten und Wortwitz) auch nachdenkliche Momente, denn für einige geht dieses Mantel- und Degenspektakel nicht gut aus. Tiefgang dieser Art erlebt man in Musicals eher selten, auch deshalb: unbedingte Empfehlung für diese in allem stimmige Aufführung der "3 Musketiere" am Staatstheater Augsburg.
Info: Weitere 20 Aufführungstermine bis Freitag, 28. Juli