Ohlala, da treiben sie es aber bunt am StaatstheaterAugsburg, denkt man sich, wenn man das Programmheft zu „The Fairy Queen“ aufschlägt. Gleich auf dem ersten Foto balanciert Sängerin Olena Sloia mit Glitzerstilettos und viel nackter Haut auf den Knien des Tänzers Afonso Pereira, dessen Kopf in einer Eselsmaske steckt. Feenkönigin Titania hat sich, verzaubert durch die magische Blume des Elfen Puck, in das erstbeste Wesen verliebt, das ihr über den Weg läuft – und das ist nun mal der in einen Esel verwandelte Handwerker Zettel. In der von Ballettchef Ricardo Fernando für das Staatstheater Augsburg inszenierten Ballett-Oper „The Fairy Queen“ von Henry Purcell führt das zu einem lasziven Liebesspiel mit Esel, Gesang und Tanz. Nach der knapp zweistündigen Aufführung kommt man dann aber zu dem Schluss: alles ganz familienfreundlich. Reichlich bunt wird es aber trotzdem.
Semi-Oper nannte man im 17. Jahrhundert jene Mischform aus Schauspiel, Tanz, Musik und Gesang, die vor allem in England verbreitet war und großes Spektakel versprach. Gerade recht kam da im Jahr 1692, zur Feier von Geburtstag und 15. Hochzeitstag des Königs, Purcells„The Fairy Queen“, frei nach William Shakespeares„Sommernachtstraum“. Die Handlung jenes bizarren Liebesverwirrspiels mit Eifersucht, Erotik und Exzessen kondensierte Purcell auf die Geschehnisse im Zauberwald rund um das Elfenkönigspaar Titania und Oberon, den Elf Puck, die beiden sich querliebenden Paaren Helena/Demetrius und Hermia/Lysander, garniert mit einer humoristischen Einlage schauspielernder Handwerker.
Die Uraufführung von "The Fairy Queen" im Jahr 1692 richtete das Theater fast zugrunde
Das trügerische Glück wahrer Liebe und ihren tiefen Schmerz fasste der Komponist in reflektierend getragene Arien mit zu Herzen gehender Wirkung. Mit der Uraufführung der „Fairy Queen“, die nicht nur ein großes Ensemble erforderte, sondern auch einiges an technischen Spezialeffekten, richtete sich das Theater damals fast zugrunde. Im Martinipark ist nun ebenfalls einiges aufgeboten für "The Fairy Queen", die Ballettdirektor Ricardo Fernandofür das Staatstheater Augsburg inszeniert hat.
Denn die auf einen ovalen Ausschnitt verengte Bühne, die Pascal Seibicke geschaffen hat, könnte auch die Kulisse für einen ausufernden LSD-Trip sein. Geschwungene Elemente in knalligem Lila, Gelb, Rot, Grün und Blau, bewegen sich im Raum und schaffen je nach Illumination unterschiedliche Szenerien und Stimmungen. Der Zauberwald ist hier eine psychedelische Landschaft mit Anklängen an die Ästhetik der 1970er Jahre. Opulent auch die Kostüme (Helena de Medeiros), die den barocken Zeit-Kolorit mit ausladenden Krinolinen und Perückentürmen wahren, während die Handwerker in burschikosen Latzhosen und lässigen Baseball-Caps auftreten.
Premiere in Augsburg: Henry Purcells Musik geht in die Beine wie Popmusik
Es geht stilistisch also wild durcheinander in dieser Augsburger "Fairy Queen" –nicht nur in optischer Hinsicht. Joe Cockers "You can leave your hat on" klingt kurz an und Feenkönigin Titania legt dazu einen Striptease a la Kim Basinger hin. Purcell ist einer, der gar nicht so weit entfernt ist von uns, will Ricardo Fernando damit nahelegen – und in der Tat geht die Basslinie des Barockkomponisten in die Beine wie der Rhythmus von Popmusik. Da wundert man sich im Publikum auch nicht, dass die Handwerker zu PurcellBreakdance tanzen und gibt begeisterten Szenenapplaus.
Unter der Leitung von Generalmusikdirektor Domonkos Héja und exzellent getragen vom Cembalo Volker Hiemeyers legen die Augsburger Philharmoniker diesen rockig-barocken Klangteppich mit filigranen Mustern aus – souverän in den tänzerisch-beschwingten Momenten ebenso wie den melancholischen-empfindsamen. Fabelhaft in ihrer stimmlichen Präsenz auch die Sänger-Solisten Olena Sloia (Titania), Avtandil Kaspeli (Oberon), Jihyun Cecilia Lee (Hermia/Sommer), Ekaterina Aleksandrova (Helena/Frühling), Wiard Witholt (Lysander/Winter) und Claudio Zazzaro (der als Demetrius/Herbst für den erkrankten Roman Poboinyi eingesprungen ist), wohingegen ihre spielerischen Fähigkeiten bis auf wenige Momente nicht eingefordert werden.
Staatstheater Augsburg: Puck ist doppelt besetzt mit einem Sänger und einem Tänzer
Den übermütigen Puck, der auf Geheiß Oberons das Liebesdurcheinander mit einer Zauberblume in Gang setzt, hat Regisseur Fernando doppelt besetzt: Countertenor Constantin Zimmermann drückt der Figur stimmlich einen eigenen Stempel auf, auch wenn er durch eine Probenverletzung für die Premiere in seinen Bewegungen eingeschränkt war. Elfenhaft leichtfüßig springt dafür Tänzer Cosmo Sancilio durch die Szenerie und versprüht seine Magie.
Im übertragenen Sinne wirklich zauberhaft aber ist jene skurrile Handwerkerschar, die zu Oberons Geburtstagsfeier das Schauspiel "Pyramus und Thisbe" zum Besten geben will. Unterhaltsam setzen die Tänzerinnen und Tänzer um "Regisseurin" Brandi Baker die komischen Akzente in der Aufführung. Eher illustrativen Charakter haben dagegen die übrigen Ballett-Passagen der Aufführung, die Ricardo Fernando in einer Mischung aus neoklassischen und zeitgenössischen Pas de Deux und Pas de Trois zu den Arien der Allegorien Frühling, Sommer, Hebst und Winter choreografiert hat.
"The Fairy Queen" am Staatstheater Augsburg: Die Figurenregie bleibt statisch
An der Leistung der Darsteller und des Orchesters lag es also nicht, dass „The Fairy Queen“ einige Durchhänger hatte. Opulenz und der unterhaltsame Zugang täuschten nicht darüber hinweg, dass der Inszenierung eine Grundidee fehlte und die Figurenregie weitgehend statisch war. Gerade der durch die Kulissen stark eingeschränkte Bühnenraum hätte eine entschiedenere Darsteller-Choreografie nötig gemacht. Schade um den Opernchor, der famos singt, aber in seinen Auftritten schunkelnd und swingend fast zur Karikatur wird.
Welch aberwitzige Auswüchse der Liebesreigen im Zauberwald nimmt, welche Verunsicherung und Verletzung in den Liebenden zurückbleibt, darüber geht die Aufführung mit einem unvermittelt-harmonischen Ende in einer launigen Chaconne hinweg. Das hätte man sich alles mit ein wenig mehr Desillusionierung und bitterem Unterton vorstellen können.