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Augsburg
Brecht bitterböse: „Erst der Krieg schafft Ordnung“
Das Staatstheater Augsburg inszeniert Bertolt Brechts Klassiker „Mutter Courage und ihre Kinder“ und zeigt, wie gegenwärtig, aber auch wie bitterböse dieses Stück ist.
Richard Mayr
 |  aktualisiert: 11.03.2024 09:03 Uhr

Wie bitte? „Man merkt’s, hier ist zu lang kein Krieg gewesen.“ Was für ein Satz in diesen Zeiten. Bomben im Gaza-Streifen, Bomben in der Ukraine, und zwei Soldaten sinnieren auf der Bühne über die Wohltaten des Kriegs: „Frieden, das ist nur Schlamperei, erst der Krieg schafft Ordnung.“ Im Augsburger Martinipark hat am Freitag das Brechtfestival begonnen, mit einem Klassiker, der moderner und gegenwärtiger nicht sein könnte, mit skurrilen Momenten und bitterböser Moral. 

Das Staatstheater Augsburg präsentiert den Dramatiker Bertolt Brecht mit einem seiner Werke, das bis heute zu seinen viel gespielten gehört - „Mutter Courage und ihre Kinder“. Geschrieben kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs im Exil, gedacht auch als eine Warnung an die skandinavischen Länder vor dem drohenden Krieg der Nationalsozialisten. Man kennt es, die Courage, die ihre drei Kinder im Dreißigjährigen Krieg verliert, man weiß auch, dass sie trotzdem nicht vom Krieg lassen kann, weil sie als Marketenderin ja von irgendetwas leben muss. Aber heute klingen die Sätze von Brechts großem Antikriegsdrama nicht mehr nach Vergangenheit, sie berühren einen direkt - leider.

Brechts „Mutter Courage und ihre Kinder“ öffnet den Blick auf die Abgründe des Kriegs

Hat man sich erst einmal über eine Zeit auf die Kriegswirtschaft eingestellt, kommt man von ihr nicht mehr los, selbst wenn einem der Krieg übel mitspielt. Die Courage verliert ihre drei Kinder an den Krieg, aber sie zieht ihren Wagen, also ihr Geschäft, ihre Lebensgrundlage, ihren einzigen Halt weiter hinter den Armeen her. Sie kann nicht lassen vom Krieg, weil sie nicht weiß, wie sie im Frieden leben soll.

Das Staatstheater Augsburg bleibt drei Stunden lang nah am Text

Regisseur David Ortmann hat sich mit dem Ensemble des Staatstheaters Augsburg über Wochen in den Abgründen dieses Dramas bewegt. In intensiven, aufwühlenden drei Stunden bleiben alle nah am Text. Ortmann liegt genau richtig, wenn er auf Aktualisierungen verzichtet. Die Bilder aus der Ukraine sowie aus Israel und Gaza bringen alle selbst mit in den Theatersaal. Von Brecht hört das Publikum, dass die Jahrzehnte des Friedens in Europa nicht die Regel, sondern die Ausnahme gewesen sind. „Dass der Krieg einmal aufhört, ist nicht gesagt. Es kann natürlich zu einer kleinen Paus kommen. Der Krieg kann sich verschnaufen müssen. (…) Aber die Kaiser und Könige und der Papst wird ihm zu Hilf kommen in seiner Not. So hat er im ganzen nix Ernstliches zu fürchten und ein langen Leben liegt vor ihm“, erläutert der Feldprediger im Stück.

Mit dem Krieg verdient man seinen Lebensunterhalt

In Brechts „Courage“ sind es aber nicht nur die Kaiser und Könige und der Papst, die den Krieg am Laufen halten, es sind auch die Soldaten, die Hauptmänner, Feldprediger, Feldköche und die Courage, die sich alle auf ein Leben im Krieg eingestellt haben. Den Frieden erträumt man sich vielleicht, etwa wenn die Courage ihre stumme Tochter Kattrin eines Tages verheiraten will, aber mit dem Krieg verdient man seinen Lebensunterhalt. Das heißt: Wenn es die da oben nicht gäbe, wäre auch nichts besser.

Und Ortmann und sein Team finden dazu starke Bilder, ein Rundgemälde auf einer Drehbühne (Jürgen Lier), das den Krieg in verschwommener Endlosschleife immer weiter rotieren lässt. An den schwarzen Bühnenwänden zählen Soldaten-Statisten die Gefallenen mit weißen Kreidestrichen - und es werden immer mehr. Und die Soldaten verwandeln sich im Lauf des Stücks in moderne High-Tech-Krieger, während Courage und Co. in zeitlosen Lumpen umherziehen. Dazu bringen die Augsburger Philharmoniker unter der Leitung von Stefan Leibold die Bühnenmusik von Paul Dessau in ein schauriges Gewand, eine Musik unter Beschuss, im Kriegszustand, immer etwas daneben und dadurch genau richtig.

Dazu errichtet die Schauspielerin Ute Fiedler der Mutter Courage ein Denkmal, versteckt Angst, Zweifel und Sorge unter einem undurchdringlichen Panzer der Stärke. Man spürt und ahnt die ganze Zeit, dass es darunter auch eine andere Courage geben muss. Aber diese Kriegsmutter weiß nicht mehr, wie sie die Rüstung für den Krieg, diesen Schutzpanzer aus Überlebenswille und Pragmatismus wieder ablegen kann. Und noch jemand ragt aus der starken Ensembleleistung heraus: Anne Zander als stumme Tochter Kattrin, die man so auch noch nie gesehen hat. Denn Zander, selbst gehörlos, spricht zwar kein Wort, gebärdet aber, wird aber in den entscheidenden Momenten nicht richtig verstanden. In ihrer Kattrin, ihrer Figur, hört der Krieg auf zu sein, beginnt das reine Leid, das im Stück nie zu Worten findet, stumm ertragen werden muss. Sie ist es, die den Krieg durch eine Tat verhindern will, die sich opfert am Ende, um den Geheimangriff auf die belagerte Stadt zu verhindern. So ohnmächtig der Mensch dem Krieg gegenübersteht, am Verlauf kann er doch etwas ändern. Langer Applaus für eine starke, intensive und packende Inszenierung. 

 
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