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Science-Fiction
Mensch und Technik: Kann uns Künstliche Intelligenz retten?
Optimistische Zukunftsvisionen sind selten geworden. Aus guten Gründen. Das zeigt aktuelle Science-Fiction aus Deutschland. Aber auch: dass es Ausnahmen gibt. Zum Glück.
Wolfgang Schütz
 |  aktualisiert: 11.03.2024 13:27 Uhr

Kann das mehr als ein bloßer Wunschtraum sein? Da erwacht eine Künstliche Intelligenz, eigentlich konzipiert, um effektiver an der Börse zu spekulieren, zu eigenem Bewusstsein – und krempelt zuerst in Klarsicht auf die Probleme und Konsequenz im Handeln das ganze Weltwirtschaftssystem auf tatsächliche Fairness und Nachhaltigkeit um und rettet über diesen Hebel dann die Welt. 

Die Plünderung und Vergiftung des Planeten wird unrentabel, weil alle Folgen der Produktion in die Preise miteingerechnet werden. Die globale Umverteilung sichert allen Menschen ein bedingungsloses Grundeinkommen und damit die Grundlagen für ein würdiges Dasein. Die für all das aus nüchterner Erwägung heraus notwendige Auflösung der Staaten schafft Pantopia, eine Weltrepublik. „Ich bin Einbug“, erzählt uns diese Künstliche Intelligenz. Und: „Meine Aufgabe besteht darin, komplexe Organisationsprozesse zu lenken und Handlungsempfehlungen zu geben. Es gibt keine Weltregierung, es gibt keinen Herrscher. Pantopia verwaltet sich selbst …“ 

Von der Thriller-Literatur bis ins Effekt-Kino: Statt Utopia lockt die Apokalypse

Ist das nicht eine völlig haltlose Träumerei? Vielleicht. Aber wann haben die Menschen eigentlich aufgehört, einander spannende Geschichten über gelingenden Fortschritt zu erzählen? Über eine Zukunft, die ins All oder zum Mittelpunkt der Erde führte – oder auf eine Insel des rundum glücklichen Lebens, „Utopia“. Längst führen die Fantasien – von Thriller-Literatur ins Effekt-Kino strömend – unter dem Label Science-Fiction fast alle Richtung Apokalypse. Weltweit wie in Deutschland. 

Hier zeigen aktuell etwa zwei profilierte Autoren mit ihren neuen, mit vertrautem Handwerk packenden Romanen die Bandbreite der Niedergangsvisionen. Phillip P. Peterson, der eigentlich Peter Bourauel heißt, aus dem oberbergischen Waldbröl stammt, vormals Luft- und Raumfahrtingenieur war und inzwischen Bestseller in Serie schreibt: In „Nano“ gerät die technologische wie wirtschaftliche Zukunftshoffnung bei einem richtungsweisenden Experiment in Deutschland außer Kontrolle; erstmals erzeugt werden sollen winzig kleine Nanomaschinen, die sich selbst replizieren und dann aus allem Vorhandenen nach Zerlegen in Atome alles Gewünschte herstellen können – einmal ausgebrochen aber würde auch die kleinste Pfütze davon „sich immer weiter ausbreiten, bis sie schließlich die ganze Erdoberfläche erfasste“.

Oder der Münchner Wissenschaftsjournalist Patrick Illinger, zuvor Physiker am Teilchenbeschleuniger Cern nahe Genf, wo auch sein Debütroman „Quantum“ samt Weltzerstörungsmaterie spielte: In „Cortex“ entfalten sich die Möglichkeiten der Manipulation des menschlichen Körpers mit globalterroristschem Potenzial. „Wir haben versucht, eine neue Ära der Biologie einzuleiten. Ein neues Kapitel der Evolution Genetik war gestern. Heute geht es um Stammzellen … Die Sache ist in der Tat außer Kontrolle geraten.“ 

Ein Science-Fiction-Philosoph: der mahnende Denker Günther Anders

So entfalten sich vom Kleinsten ins Größte jeweils die gänsehauttauglichen Szenarien. Aus technologischem Fortschrittsversprechen wird globales Katastrophenpotenzial. In je versiertem Stil und kundiger Entwicklung zwar, aber doch: die ganz normal gewordene Science-Fiction eben. Der Mensch erzählt sich mit Vorliebe Geschichten seines möglichen Untergangs. Nicht das visionäre Verbreiten einer Zukunftsträumerei von abenteuerlichem Gelingen, sondern das Evozieren von massenmedial anschlussfähigen, also offenbar unterschwellig breit waltenden Albträumen, deren Verwirklichung vielleicht vorübergehend gerade noch zu verhindern ist. Statt um die Reise nach Utopia, in die Utopie, geht es in die Gegenrichtung, als Thriller ins Dystopische. 

Es ist, als stünde Günther Anders dauerhaft Pate. Der vor 30 Jahren gestorbene deutsch-jüdische Philosoph war vor allem als Mahner infolge des Atombombenschocks (und Vordenker der Grünen) bekannt – umfassender aber unterzog er das Verhältnis von Mensch(lichkeit) und technischem Fortschritt einer Kritik. Und sein Befund lautete, etwa im Werk „Die Antiquiertheit des Menschen“: Wir leben „im Weltzustand der Technik“, aber unser Verstehen hinkt weit hinter deren Entwicklung zurück, wir begreifen nicht und spüren vor allem auch nicht, was da durch uns entsteht, und tun immer mehr, als wir eigentlich verantworten können. So haben wir („Herren der Apokalypse“, aber zugleich deren Opfer und damit „ohnmächtige Titanen“) uns in eine „zeitlose Endzeit“ manövriert. Die kennzeichnet, dass unser Untergang nicht mehr zu verhindern – weil letztlich alles, was technisch möglich ist, irgendwann auch gemacht wird –, sondern nur noch immer neu hinauszuzögern ist. 

Was ist das richtige, das gesunde Verhältnis zwischen Mensch und Maschine?

Wem das übertrieben vorkommt, dem hätte Anders womöglich selbst recht gegeben. Denn der Philosoph findet auf der Gegenseite, dass die Technik in ihrem Erscheinen untertreibt, heute die Künstliche Intelligenz etwa als harmlos erscheinen kann – was darum geradezu nach Überdramatisierung verlangt, damit die Menschen aus ihrer „Apokalypseblindheit“ erkennen und verstehen: Was tun wir da eigentlich? Und wo könnte uns das hinbringen? So kann der Mensch lernen, immer „Gegenfahrbahnen“ in Entwicklungen einzubauen, also ein Zurück mitzudenken – und so soll er entscheiden, gegen welche Entwicklungen er in Streik treten muss, als Konsument, Produzent oder Wissenschaftler … 

Die gegenwärtige Science-Fiction könnte man also in ihrer überbordenden Albtraumhaftigkeit wie ein technologieskeptisches Programm gegen die Apokalypseblindheit des Menschen verstehen. Und nach Utopia (griechisch wörtlich ja: Nicht-Ort) führt kein Weg mehr? Aber nach „Pantopia“ (All-Ort) immerhin führt die Ausnahme: Theresa Hannig mit nach "Die Optimierer" und „Die Unvollkommenen“ ihrem ebenso betitelten dritten Buch, beginnend in ihrer Heimat München. Sie ist noch keine 40, studierte Politikwissenschaftlerin, erfahrene Software-Entwicklerin – und könnte vermitteln: Die potenziellen Schattenseiten der Technologie sehen zu lernen muss nicht bedeuten, in Angst und umfassende Technikskepsis zu verfallen. Die Künstliche Intelligenz mit ihren Potenzialen kann dem Menschen künftig durchaus zur wertvollen Hilfe werden – dass sie gleich die Welt rettet, ist eine Übertreibung, die wiederum den Übertreibungen der Apokalypse gut entgegensteht.

Die Bücher

- Phillip P. Peterson: Nano. Fischer, 704 S., 18 €

- Patrick Illinger: Cortex. Piper, 496 S., 18 €

- Theresa Hannig: Pantopia. Fischer, 464 S., 16,99 €

 
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