Ohne Politik und Protest geht es nicht bei den Festspielen: Erst hat Österreichs Präsident Alexander Van der Bellen bei seiner Eröffnungsrede in Bregenz den Politikern ins Gewissen geredet, Sprache nicht zu missbrauchen, um andere auszugrenzen. Das zielte unter anderem auf die ÖVP, die sich gerade an die Mehrheit der Normaldenkenden wendet, also zum Beispiel diejenigen, die das Gendersternchen ablehnen. Und die anderen? Dürfen laut Van der Bellen nicht ausgegrenzt werden. Was natürlich auch andersherum gilt.
Ein paar Kilometer weiter, nicht am Bodensee, sondern an der Salzach, war vor dem Auftakt der Salzburger Festspiele eine Diskussion in den österreichischen Feuilletons entbrannt, ob sich die Kunst deutlich gegen eine neue konservativ-rechte Koalition auf Landesebene zwischen ÖVP und FPÖ stellen müsse. Losgetreten hat das der ehemalige „Jedermann“-Hauptdarsteller Cornelius Obonya, der zum Boykott der Festspiel-Eröffnungsfeier aufrief. Der Intendant antwortete, dass es da statt der ewig gleichen Empörungsrituale politische Strategien brauche.
Die neue „Jedermann“-Inszenierung hat eine politische Dimension
Wer nun die neue „Jedermann“-Inszenierung von Regisseur Michael Sturminger sah – übrigens seine dritte dieses Festspiel-Monuments –, konnte indes ebenfalls politische Kommentare entdecken, nicht zum Klein-Klein der tagespolitischen Grabenkämpfe, sondern zum großen globalen Thema, mit dem die Menschheit gemeinsam fertig werden muss: dem Klimawandel.
Denn dieser „Jedermann“ spielte auf einer apokalyptisch tristen Theaterrampe, deren dunkles Grau keinerlei Hoffnung mehr spendet. Mit diesem Dreh gelang es Sturminger tatsächlich, Hugo von Hofmannsthals Klassiker auf den Kopf zu stellen. Denn welchen Schrecken verbreitet der Tod, wenn er den Menschen aus einer Welt reißt, die sich in einen immer lebensfeindlicheren Glutofen verwandelt?
Hofmannsthals Mysterienspiel spielt im Hier und Heute
Sturminger holt Hofmannsthals allegorisches Mysterienspiel ins Hier und Heute. Der Wind pfeift über die Bühnentristesse hinweg, die am Premierenabend wegen des Wetters nicht am Domplatz aufgebaut wurde, sondern im Festspielhaus. Heult da ein Hund? Das Ensemble verdichtet die Geräuschkulisse zu einer Ouvertüre. Dann huschen Gestalten über die Bühne, sprühen Farbe auf das Portal, werden vom gespielten Sicherheitsdienst abgeführt. Soll das eine Aktion von Klimaaktivisten darstellen? Wahrscheinlich!
Hinter der Tür durchs Portal, in diesem Drinnen, muss die heile klimatisierte Welt liegen, das Leben im technischen Lustgarten des modernen Menschen. Draußen hausen die Menschen nur noch, Urzeitgestalten im Plastikmüll-Fell.
Dann geraten die Ebenen vollkommen durcheinander: Klimaaktivsten marschieren durchs Publikum. Wieder greift die Security ein, dieses Mal die echte, was in dem Augenblick allerdings niemand wissen kann. Erst hinterher wird klar, dass die Aktion nicht inszeniert war, die Störer angezeigt werden sollen.
Der Protest der Klimaaktivisten hebt sich in der „Jedermann“-Premiere kaum ab
Da wird das Draußen und Drinnen noch einmal neu definiert: hier der Apokalypse-Jedermann mit dem herausgeputzten Premieren-Festspielpublikum, dem die Sturminger-Inszenierung mit den Mitteln des Theaters ins Gewissen spricht. Aber mit welchem Erfolg, wenn hinterher die Frage lautet, ob das gut gespielt war? Dort der echte Protest von Klimaaktivisten, der im Festspielhaus in seiner auf möglichst große Öffentlichkeit bedachten Inszenierung aber kaum abhebt vom Stück.
Sturminger will vor der Kulisse dieser untergehenden Welt aber mehr, will den Blick aufs Sterben schärfen. Michael Maertens in der Titelrolle spielt einen Reichen ohne die Posen des Geldmachos, einen, der sich zu den Abgerissenen setzt und ihnen auf Augenhöhe erklärt, warum sein Vermögen arbeiten muss, einer, mit dem man sich gut identifizieren kann. Sein Schicksal soll jeden und jede angehen.
Gleiches gilt für Valerie Pachners Buhlschaft. Die Kleid-Frage wird vollkommen ausgeklammert, da steht eine moderne Interpretation eines lebensfrohen Hippiemädchens auf der Bühne, rote Schlaghose und ein Top mit Blumenmuster. Wichtiger noch, Pachner spielt gleichfalls den Tod, der an diesem Abend nicht als krächzender Dämon aus dem Jenseits daherkommt, sondern emotionslos und trocken wie ein Naturprinzip: Wo es ein Werden gibt, muss es zwangsläufig ein Sterben geben, davon werden die Schwungräder der Natur angetrieben.
Es geht Sturminger offensichtlich um eine andere Gewichtung: ein anderes Verhältnis des Menschen zum Tod, nämlich ihn schon im Leben als Gewissheit zu begreifen – und nicht erst in den Panikmomenten, wenn er sich unabwendbar zeigt. Übrigens eine Aufgabe, bei der in dieser Deutung auf kirchlichen Beistand nur bedingt gebaut werden kann: Denn der Teufel (Sarah Viktoria Frick), der den Jedermann am Ende einsammeln will, schält sich unter einer roten Soutane hervor und greift sich anschließend oft und versonnen ans Geschlecht.
Wie das Publikum mit all diesen Botschaften umgeht? Erst einmal mit Applaus – etwa auch für die „Jedermann“-Veteranin Nicole Heesters als Mutter, das Inszenierungsteam und besonders intensiv für den Maertens-Jedermann. Hinterher wird allerdings nicht gefragt, wie und was gegen den Klimawandel angemessen ist und was das mit dem Tod fürs eigene Leben zu bedeuten hat, sondern ob es gut gemacht ist und gut gespielt wird.