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Salzburg
Figaro trifft auf die Mafia oder: Liebe als Ausweitung der Kampfzone
Mit Mozarts "Figaro" feiern die Salzburger Festspiele ihren offiziellen Auftakt. Das Ensemble wird gefeiert, ganz anders wird die namhafte Regie am Ende bedacht.
Salzburger Festspiele - Fotoprobe 'Le Nozze di Figaro'.jpeg       -  Die Waffen sitzen beim 'Figaro' der Salzburger Festspiele locker: auf dem Bild Krzysztof Baczyk als Figaro und Lea Desandre als Cherubino.
Foto: Barbara Gindl, dpa | Die Waffen sitzen beim "Figaro" der Salzburger Festspiele locker: auf dem Bild Krzysztof Baczyk als Figaro und Lea Desandre als Cherubino.
Richard Mayr
 |  aktualisiert: 11.03.2024 11:00 Uhr

Es war nur ein Geraune in einem österreichischen Boulevardblättchen. Verdächtig ruhig soll es um Martin Kušej und seinen Opernauftakt der Salzburger Festspiele gewesen sein. Er, seines Zeichens Intendant des Wiener Burgtheaters und nun Regie-Rückkehrer zu den Salzburger Festspielen, gab keine Interviews vor der Figaro-Premiere und nahm die üblichen Pressetermine nicht wahr, sondern ging angeblich auf Tauchstation. Ob da etwas im Argen lag mit seiner Inszenierung? 

Nach 20 Jahren inszeniert Martin Kušej wieder eine Oper in Salzburg

Es ist schon eine Weile her, dass Kušej eine Oper bei den Salzburger Festspielen in Szene gesetzt hat, vor 20 Jahren war das – ebenfalls Mozart, „La clemenza di Tito“, mit dem Originalklangpionier Nikolaus Harnoncourt am Dirigentenpult. Die beiden arbeiteten damals nach einem gewagten „Don Giovanni“ das zweite Mal zusammen und wollten ein drittes gemeinsames Werk folgen lassen. Aber dann wurde Kušej Schauspielchef der Salzburger Festspiele, und das Projekt wurde nicht weiterverfolgt.

Jetzt stellt sich natürlich die Frage, ob die lange Opernpause sich künstlerisch gelohnt hat, die Zeit Früchte getragen hat. Die Antwort fällt klar und deutlich aus: nein. Kušej versetzt Mozarts wunder-leichten Liebesirrsinn, in dem sich menschliche Abgründe nur für Momente auftun, um gleich danach wieder zugeschüttet zu werden, in eine Art Mafia-Milieu für Intellektuelle. Die Pistolen sitzen locker, wenn es in Liebesdingen nicht läuft. Sevilla, der Ort, an dem alles spielen soll, taucht als historisches Monumentalgemälde auf, vor dem zur Ouvertüre das Ensemble postiert ist.

Der Figaro spielt in kaltem Sichtbeton

Aber Kušej interessiert sich nicht fürs Historische, er holt den Figaro in kalten Sichtbeton, es könnte ein Hotel sein. Wenn die Heiratspläne zwischen Figaro und Susanna geschmiedet werden, hat Figaro schon ordentlich einen getankt in der Edelbar – Ehe als Begleitprodukt des Rauschs. Viel lieber noch als zur Flasche greifen Titelheld und Graf aber zur Waffe, um die irrlichternden menschlichen Herzen in die erwünschten Bahnen zu zwingen. Für Gangster ist die Liebe doch nur eine Ausweitung der Kampfzone. 

Gekämpft wird im überdimensionierten Badezimmer, im Kellergeschoss, in dem die Müllsäcke gestapelt werden, im Parkdeck auf Ebene „-7“, in der sich kein Auto mehr verirrt, dafür aber kurzzeitig eine Hochzeitsgesellschaft. Am Ende geht’s in die Natur, eine Dünenlandschaft, in der zwischendrin auch eine Frauenleiche entsorgt wird. Giftige Kommentare des Regisseurs zum „Figaro“ werden obendrein gegeben. Wenn am Ende vor dem weiblichen Geschlecht und den Frauen in bester Patriarchenmanier gewarnt wird, lässt Kušej ein paar Jäger mit nacktem Oberkörper und Jagdbeute durchs Bühnengras marschieren – als ob die Sätze aus dem Zeitalter Jäger und Sammler kommen.

Das Gewaltsame dieser Mafia-Deutung ist die ganze Zeit über spürbar und hat für das Ende, in dem sich die Paare ja finden, keine schlüssige Erklärung mehr. Allzu oft widerspricht die szenische Deutung der Musik, vor allem dem Orchester. Der junge französische Dirigent Raphaël Pichon hat die Wiener Philharmoniker vom ersten Takt an unter Spannung versetzt, ohne dabei übers Ziel hinauszuschießen. Klar und präzise, lustvoll, aber nie selbstbezogen rauschhaft treibt Pichon das Geschehen voran. 

Wenn die Figuren nur das Orchester hören könnten

Wenn die Figuren auf der Bühne nur hören könnten, was das Orchester spielt, bliebe ihnen viele Volten erspart. So aber stürzen sie oben auf der Bühne ein ums andere Mal direkt aus dem Liebeshimmel in die Eifersuchtshölle, aus der Fülle in die Enttäuschung. Denn in diesem atemlosen Tanz, den Pichon und die Wiener Philharmoniker da anstimmen, kann man nicht stillstehen und nichts auf Dauer festhalten.

Aus Publikumssicht muss man natürlich sagen: Zum Glück stürzen die Figuren ständig ab und rappeln sich dann wieder auf. Denn dieser Reigen aus Arien und Duetten bezaubert. In den besten Augenblicken dieses Abends verblasst die Mafia-Tristesse, wenn die Musik sich ganz und gar in den Vordergrund drängt – mit einem glänzenden Fünfgestirn voran. 

André Schuen balanciert als Graf Almaviva mit seinem warmen Bariton auf dem Grat zwischen Liebesglut und Rachsucht. Wohingegen Adriana González als Gräfin Almaviva in ihren Arien den Liebesschmerz voll auskostet und da die innigsten Momente schafft, wenn sie für die Schattenseiten der Liebe ihre Stimme perfekt schattiert. Der Sopran von Sabine Devieilhe mag zwar nicht der größte sein, aber er berührt mit seiner Klarheit und Wärme. Ihre Susanna treibt an, ohne laut werden zu müssen. Schön kontrastiert von Krzysztof Bączyk als Figaro mit jeder Menge Bassenergie. Dann schwebt da noch Lea Desandre als liebestoller Cherubino zwischen allen mit ihrem samtenen Mezzo wie ein Wunderknabe von einem Stern namens Amor.

Applaus und Jubel gibt es im ausverkauften Haus für Mozart für die Sängerinnen und Sänger, vor allem das Fünfgestirn. Auch Pichon und die Wiener Philharmoniker werden gefeiert. Bei Regisseur Kušej und seinem Team wird der Beifall merklich leiser, dafür mischen sich etliche Buhrufe darunter. 

 
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