
Eine kleine Geschichte vorneweg, weil dieses Buch ja auch genau von diesen kleinen Geschichten lebt: Anekdoten, Fundstücke, Entdeckungen, die Florian Illies wieder einmal zusammengefügt hat zum großen literarischen Gemälde. In dessen Mittelpunkt steht diesmal keine Generation, kein Jahr, sondern ein Mann, ein Maler: Caspar David Friedrich. Und deswegen mit der kleinen Geschichte auch gleich zu einem Bild: Der Watzmann!
Gemalt hat es Caspar David Friedrich, der große deutsche Romantiker, 1824 in seinem Dresdner Atelier - ohne den Watzmann, einen der großen deutschen Berge, je gesehen zu haben. Er war nie in den Alpen, aber einer seiner Lieblingsschüler. Nach dessen frühen Tod nimmt Friedrich dessen Aquarelle des Berges als Vorlage für seinen Watzmann, malt fotografisch genau. Aber da ist etwas im Bild, das nicht hineinpasst - zumindest in der Realität: Der Trudenstein im Harz, den Friedrich, wie Illies schreibt, "517 Kilometer nach Süden verlegt, weil ihm gerade vor dem Watzmann ein halbhohes markantes Berglein fehlt". Von wegen besonders realistische Landschaftsmalerei - "so ein unsicherer Kantonist ist also unser Friedrich".
Einfacher werde es jedenfalls nicht, wenn man sich auf Friedrich und die Geschichte seiner Bilder einlasse, stellt der Schriftsteller und Kunstexperte Florian Illies fest. Aber genau das macht er in "Zauber der Stille", lässt sich auf Bilder, deren Geschichten und den ganzen Mann ein. Erzählt nicht am Leben, sondern an den Kunstwerken entlang, von denen viele verbrannten, für Jahrzehnte verschwanden, in Depots verstaubten und manche Caspar David Friedrich auch erst spät zugeordnet wurden, weil Friedrich nichts signierte. "Der Wanderer über dem Nebelmeer", "Kreidefelsen auf Rügen", "Tetschener Altar", "Mönch am Berg"... Illies beschreibt, erklärt, kommentiert, ordnet ein, interpretiert, schwärmt: Vom himmlischen Friedrich, für den selbst die Wolken kurz innehalten, wenn er sie malt. Ein Bewunderer, von denen der Künstler, geboren 1774 in einem Handwerkerhaushalt in Greifswald, gestorben 1840 in Dresden, zu Lebzeiten ruhig ein paar mehr hätte brauchen können. „Unendliche Sehnsucht strahlt wie ein eigenartiges Licht aus allen Bildern Friedrichs“, schreibt Florian Illies. Oder: "Caspar David Friedrich atmet Natur ein, um sie als Kunst wieder auszuatmen". Aber auch: "Manche Bilder von Caspar David Friedrich sind schwach, manche bemüht. Nein, nicht alles ist meisterlich bei ihm, er ist zum Glück kein Gott, sondern ein Mensch gewesen."
Goethe kann mit der Sehnsuchtsmalerei nichts anfangen
Was das für ein Mensch war, der Menschenfreund Illies nähert sich mit Empathie, fühlt sich wie immer und mit einem gewissen Wagemut in diesen schwermütigen, melancholischen Maler ein, der in seinem Wohnhaus und Atelier "An der Elbe 33" Gemälde schafft, die unter den Zeitgenossen diskutiert, bewundert werden, in Preußens Schlössern hängen, auch in den Palästen des russischen Zaren, aber die vor allem zum Ende seiner Lebzeiten auch abschätzig abgetan werden. Letzteres von Goethe! Ausgerechnet, um dessen Gunst er bettelte, ihm hinterherreiste. Aber Goethe kann mit dieser Sehnsuchtsmalerei nichts anfangen, und an der Dresdener Akademie wollen sie ihn nicht als Professor für Landschaftsmalerei. Unglaublich angesichts des späteren Weltruhms, aber: "bald nach seinem Tod ist Friedrich komplett vom Erdboden verschwunden".
Erst 1906 anlässlich der Berliner "Jahrhundertausstellung" wird der große Maler wiederentdeckt. Zwei seiner heute berühmtesten Gemälde, "Der Wanderer über dem Nebelmeer" und "Der Kreidefelsen auf Rügen" sind da noch gar nicht bekannt, noch nicht beschrieben. "Es ist verrückt", schreibt Illies. Dreißig Jahre später wird der Dramatiker Samuel Beckett bei Friedrich die Inspiration zu "Warten auf Godot" finden, wird Walt Disney sein "Bambi" durch Friedrich-Landschaften ziehen lassen ... und wird Adolf Hitler zehntausend Reichsmark zuschießen, um den "Watzmann" für die Berliner Gemäldegalerie anzukaufen. Es erinnert ihn an seinen Blick auf den Watzmann vom Berghof aus, er versteht das Gemälde als "heroisches Bühnenbild für seine Träume eines germanisch-alpinen Größenwahns". Was für ein Wahnsinn. Denn dem Caspar David Friedrich, den Florian Illies zeichnet, geht es doch ums genaue Gegenteil: um Demut. Der Mensch jedenfalls ist immer klein bei Friedrich angesichts der majestätischen Natur.
Die Kunst von Florian Illies, gerade aktuell ausgezeichnet mit dem Ehrenpreis des Bayerischen Ministerpräsidenten? Dass er aus all diesen Geschichten, Anekdoten, Kunstbetrachtungen eine hinreißend und elegant zu lesende Geschichte macht - der würdige Bestseller fürs kommende Friedrich-Jubiläumsjahr, das Begleitbuch für alle Ausstellungen. "Keine Angst, komplizierter wird es nicht", schreibt Illies: "Wer zu große Theorien aufbaut rund um Caspar David Friedrich, der macht seine Bilder klein und nimmt ihnen etwas von ihrer rätselhaften Schönheit." Nichts läge ihm ferner.
Florian Illies: Zauber der Stille. Caspar David Friedrichs Reise durch die Zeiten. S.Fischer, 256 Seiten, 25 Euro.