Zehn Jahre ist es her, dass Ulrich Trebbin einem verschollenen Objekt auf die Spur kam – dem Fallbeil aus dem Münchner Zuchthaus Stadelheim. Mit ihm wurden während der Nazi-Diktatur zahllose Menschen ermordet – auch die jungen Widerstandskämpfer Hans und Sophie Scholl, Christoph Probst und ihre Freunde. Wie so viele Zeugnisse des NS-Unrechts sei 1945 auch die Guillotine verschwunden, hieß es – angeblich habe sie jemand in der Donau versenkt. Doch dann stellte sich heraus, dass das Fallbeil noch da ist, und zwar im Depot des Nationalmuseums. Sehen darf es freilich niemand, das Kunst- und Wissenschaftsministerium will durch eine eventuelle Ausstellung nicht Voyeurismus und Sensationsgier fördern, auch die Würde der Opfer und die Gefühle der noch lebenden Angehörigen von Hingerichteten schützen. Ein Runder Tisch mit Historikern und Opfer-Vertretern bestätigte diese Haltung, doch Trebbin hält dagegen: Das Fallbeil könne durch eine Ausstellung oder in einem Gedenkort Teil einer bewussten Erinnerungskultur werden, die bis heute für die Hingerichteten fehle.
Die Guillotine erleichterte schon vor der Französischen Revolution das blutige Handwerk des Scharfrichters
Weil er dies bisher nicht erreichen konnte, hat der Journalist die vergangenen Jahre dazu genutzt, alles aufzuschreiben, was er über die Guillotine, ihre Opfer und die Henker in Erfahrung bringen konnte, und daraus ein hochinteressantes, ebenso bedrückendes wie erhellendes Buch gemacht. Es beginnt nicht erst mit der Französischen Revolution, denn schon davor gab es Versuche, mit einer "Köpfmaschine" das blutige Handwerk des Scharfrichters zu erleichtern. Der musste verurteilte Delinquenten bis dahin mit dem Schwert vom Leben zum Tod befördern, nicht selten eine Schlächterei, die die Todeskandidaten langen Qualen aussetzten.
1789 erfand der Arzt Joseph-Ignace Guillotin eine Maschine, die den Tod schnell, vergleichsweise sauber und effizient brachte: Aus einem Holzgestell fällt ein scharfes Messer herab und trennt den Kopf eines darunter gelegten Menschen vom Rumpf. Die Guillotine war in der Welt und wurde in der Französischen Revolution legendär; im Namen von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit kamen Zehntausende zu Tode. Guillotins Mechanik verbesserte und realisierte übrigens der deutsche Klavierbauer Tobias Schmidt. Das Hinrichten funktionierte jetzt wie das Brezelbacken, und die französischen Damen und Herren waren so angetan davon, dass sie sich Mini-Guillotinen zum Brotschneiden, für Mausefallen oder als Anstecknadel besorgten.
Eine Bäuerin und ein Soldat waren in Bayern die Ersten, die durch die Guillotine getötet wurden
Weltweit machte die Guillotine Karriere, auch in Bayern wurde sie 1854 eingeführt, weil das Töten damit "ganz ruhig, aber mit Blitzesschnelle" funktioniere, so ein zeitgenössischer Journalist. Eine Bäuerin aus Mühldorf und ein Soldat aus Lenggries, beide hatten gemordet, waren die Ersten, die in Bayern daran glauben mussten, ein Allgäuer Taglöhner, der eine alte Frau erschlagen hatte, kommt bald darauf in Augsburg unters Fallbeil. Ulrich Trebbin referiert zahlreiche Fälle – einer der berühmtesten ist der Räuber Kneißl, der am 21. Februar 1902 ebenfalls in Augsburg hingerichtet wird – und er analysiert auch die Verfahren und den öffentlichen Diskurs: Auch bei weiter bestehender Todesstrafe wird Ende des 19. Jahrhunderts das Zu-Tode-Kommen immer weniger blutig, öffentliche Hinrichtungen werden eingeschränkt oder verboten, doch das Interesse, die schaurige Sensationsgier bleibt in der Bevölkerung ungebrochen. Jetzt berichten Hinrichtungsreporter in den Zeitungen, und auf dem Oktoberfest heißt es "Auf geht's beim Schichtl", wo "die Enthauptung einer lebenden Person" vorgeführt wird.
Im 20. Jahrhundert wird das Fallbeil zum Terrorinstrument. Nach der Machtübertragung weiten die Nationalsozialisten die Todesstrafe aus auf geringfügige Tatbestände wie Schwarzschlachten, Hören ausländischer Radiosender oder Diebstahl, unters Fallbeil kommen Menschen, die als "asozial" stigmatisiert sind und diejenigen, die Widerstand gegen Hitler leisten.
12.000 Todesurteile werden zwischen 1933 und 1945 vollstreckt, durch den Strang, durch Erschießen oder durch Enthauptung, in zentralen Hinrichtungsstätten wie Stadelheim. Trebbin erinnert an Menschen, die Opfer der Nazi-Justiz wurden – neben den Geschwistern Scholl etwa die Sintezza Anna Guttenberger, der Augsburger Widerstandskämpfer Bebo Wager oder der Zwangsarbeiter Victor Douillet. Oft landen die Körper der Hingerichteten in der Anatomie – Medizinstudenten lernen an ihnen ihren Beruf.
Autor Ulrich Trebbin erinnert in seinem Buch "Die unsichtbare Guillotine" auch an berüchtigte Scharfrichter
Trebbin erinnert aber auch an Johann Reichardt, den Scharfrichter, der in der Hinrichtungsbaracke von Stadelheim über 3000 Todesurteile vollstreckte und sich rühmte, der schnellste Henker des Landes zu sein. Nach 1945 verbüßt er eine nur eineinhalbjährige Lagerstrafe, später wird er Ehrenmitglied des Vereins zur Wiedereinführung der Todesstrafe, 1972 stirbt er in einem Altersheim in Dorfen. Besser noch ergeht es Staatsanwalt Walter Roemer. Als Leiter der Vollstreckungsabteilung beim Münchner Landgericht hatte er die Hinrichtungen anzuordnen. 1945 wird er als "nicht betroffen" entnazifiziert, er macht Karriere im bayerischen und im Bundesjustizministerium.
Für Opfer und Täter gleichermaßen kann das Fallbeil im Depot des Nationalmuseums als Zeitzeugnis dienen. Dass man es öffentlich sichtbar macht, das wird in nächster Zukunft nicht geschehen. Die Zurückhaltung ist zu verstehen, zu leicht könnte es dem Gruseln als der Erkenntnis dienen. Vor allem sind die Bedenken von Nachfahren der Nazi-Opfer ernst zu nehmen, etwa der Angehörigen des Weiße-Rose-Mitglieds Christoph Probst, die sich gegen ein Ausstellen der Stadelheimer Guillotine ausgesprochen haben. Aber beschäftigen kann und sollte man sich mit dem Mordinstrument. Das ermöglicht Ulrich Trebbins Buch.
Ulrich Trebbin: Die unsichtbare Guillotine. Das Fallbeil der Weißen Rose und seine Geschichte. Verlag Friedrich Pustet, 232 Seiten, 24,95 Euro