Dass der Bach-Sohn Johann Christian großen musikalischen Einfluss auf den jungen Mozart hatte, ist bekannt. Dass auch der Bach-Sohn CarlPhilipp Emanuel mit seinem Lehrwerk „Versuch über die wahre Art Clavier zu spielen“ und vor allem durch seine „Sechs Sonaten mit veränderten Reprisen“ (1760) den Bub Amadeus gelenkt haben musste, setzt jetzt der US-amerikanische Musikwissenschaftler und Pianist Robert Levin in die Tat um – und zwar auf Wolfgang Amadeus Mozarts eigenem Instrument, das er bald nach seinem Umzug nach Wien (1781) erwarb und bis zu seinem Tod (auch öffentlich) spielte, das mithin der Geburtsort der späten Klaviersonaten, der meisten Klavierkonzerte, der „Zauberflöte“ und des Requiems war.
Heute befindet sich das einst von Mozarts Witwe Constanze als Reliquie gehütete Instrument, ein Clavichord beziehungsweise Hammerflügel, im Eigentum der Stiftung MozarteumSalzburg und im Tanzmeistersaal des Mozart-Wohnhauses am Makart-Platz.
Robert Levin spielt die erste Gesamtaufnahme auf Mozarts Instrument ein
Robert Levin allerdings spielte das Kompendium von 18 Klaviersonaten im Großen Saal des Mozarteums ein, und zwar als erste Gesamtaufnahme ebendieser Sonaten an Mozarts eigenem Instrument – bei einem Tonumfang von fünf Oktaven 1782 mit größter Wahrscheinlichkeit hergestellt von dem Wiener Anton Gabriel Walter. Das Hammerklavier zeichnen noch heute klare Bässe, silberner Diskant und eine dem späteren Flügelklang vergleichbare Mittellage aus; es offenbart damit den Originalklang zumindest von Mozarts späteren Klaviersonaten. Einer gewissen auratischen Wirkung vermögen sich die Hörer kaum zu entziehen.
Was aber hat es nun mit dem Einfluss von Carl Philipp Emanuel Bach auf Mozart und Robert Levins Interpretation auf sich? Weil Levin auch Herausgeber-Mitglied der C.P.E. Bach-Gesamtausgabe ist, stieß er bei den „Sechs Sonaten mit veränderten Reprisen“ auf eine Kompositions- bzw. Spielmethode, die er als vorbildlich auch für Haydn- und Mozart-Wiedergaben, ja weitgehend vorbildlich für das Musizieren im ausgehenden 18. Jahrhundert insgesamt betrachtet. Und so praktiziert er, was er im Booklet zur Aufnahme auf insgesamt sieben CDs so formuliert: „Die Wiederholungen sind frei gestaltet, dabei werden Einzelheiten der Melodik, der Begleitung und bei gegebenem Anlass auch Details der Harmonik verändert, und manches Mal gibt es sogar kleine Einschübe.“ Levin setzt derart also in die Tat um, was Mozart nach Ohrenzeugenbericht grundsätzlich über C.P.E. Bach erklärt haben soll: „Er ist der Vater; wir sind die Bub’n. Wer von uns was Rechts kann, hat von ihm gelernt.“
Levins Praxis führt zu einer verstärkten Lebhaftigkeit Mozarts
Unschwer nachvollziehbar ist, dass solch eine Praxis der Modifikation des Notentextes zu einer verstärkten Lebhaftigkeit der Musik Mozarts führt – zusätzlich zur an sich schon stürmischen Interpretation Robert Levins, zumindest was bei dieser Gesamteinspielung Mozarts frühe Klaviersonaten bis KV 311 anbelangt. So steigert er vehement noch einmal einen eh schon wesentlichen Charakterzug der Mozart’schen Musik: stets das Unerwartete, stets das Neue. Stets also das Unerhörte.
Und dies gilt zusätzlich für drei unvollendete Klaviersonaten-Fragmente Mozarts, die Levin für seine Einspielung komplettiert. Er realisierte das, wovon er ausgeht, dass es Mozart sowieso noch getan hätte, wenn er nicht 35-jährig gestorben wäre. Levin: „Ein Fragment bei Mozart ist nichts Verworfenes, sondern sein Kapital für zukünftige Projekte.“
Info: Wolfgang Amadeus Mozart, die Klaviersonaten, gespielt auf seinem Instrument von Robert Levin. Sieben CDs, erschienen bei ECM (2710–2716)