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Rassismus in der Literatur
"Tauben im Gras": Ist der Roman zu rassistisch für den Schulunterricht?
"Tauben im Gras" von Wolfgang Koeppen soll für das Abitur an beruflichen Gymnasien in Baden-Württemberg gelesen werden. Doch eine Lehrerin wehrt sich, denn im Roman fällt mehrmals das N-Wort.
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Foto: Bernd Weißbrod, dpa (Archivbild) | Theresa Schopper (Bündnis 90/Die Grünen), Kultusministerin von Baden-Württemberg, spricht in Stuttgart.
Felicitas Lachmayr
 |  aktualisiert: 11.03.2024 12:44 Uhr

Amerikanische Soldaten werden beleidigt und beschimpft. Dutzende Male fällt das N-Wort. Im Roman "Tauben im Gras" entwirft Wolfgang Koeppen Alltagsszenen einer Großstadt nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Das Buch, 1951 erschienen, gilt als Klassiker der deutschen Nachkriegsliteratur. Schülerinnen und Schüler an beruflichen Gymnasien in Baden-Württemberg sollen es zur Abitur-Prüfung im kommenden Jahr lesen und sich mit dem Thema Rassismus auseinandersetzen. Doch die Auswahl sorgt für heftige Kritik. 

Rund hundert Mal fällt das N-Wort in Koeppens "Tauben im Gras"

Eine Lehrerin in Ulm will das Buch nicht im Unterricht besprechen, weil sie die Sprache für rassistisch und diskriminierend hält. Sie war entsetzt, als sie Koeppens Roman zum ersten Mal durchblätterte. Es sei "einer der schlimmsten Tage" ihres Lebens gewesen, sagte die Deutsch- und Englischlehrerin Jasmin Blunt dem Südwestdeutschen Rundfunk

Etwa hundert Mal werde das N-Wort unkommentiert verwendet. Der Begriff sei ein Ausdruck von Unterdrückung und Entmenschlichung. "Was man sich bewusst machen muss bei dem Thema ist, dass die Sprache tatsächlich den Rassismus transportiert – und zwar in meine Lebenswelt hinein", sagt die Lehrerin, die seit zwölf Jahren unterrichtet und als Schwarze Rassismus selbst erlebt hat. Das sei nicht abstrakt, sondern betreffe sie direkt, betonte Blunt. "Das ist ein brutaler Angriff auf meine Menschenwürde." 

"Tauben im Gras" thematisiert den Rassismus im Nachkriegsdeutschland

Damit tritt sie eine Debatte darüber los, wie mit abwertenden Begriffen in der Literatur umgegangen werden soll. Neu ist die Frage nicht. Spätestens seit der Neuübersetzung von "Pippi Langstrumpf" wird über rassistische Klischees in Kinderbüchern diskutiert. Bei Astrid Lindgren oder in den Werken von Otfried Preußler wurden abwertende Begriffe ersetzt. Auch Michael Endes "Jim Knopf" wurde auf problematische Passagen hin untersucht, doch der Verlag entschied sich gegen Änderungen. 

Nun steht ein Buch auf dem Prüfstand, das als Pflichtlektüre für Schülerinnen und Schüler ausgewählt wurde. "Tauben im Gras" ist der erste Roman aus einer Nachkriegstrilogie von Wolfgang Koeppen. In losen Erzählsträngen beschreibt er die Stimmung im Nachkriegsdeutschland. Rund 30 Figuren treten auf – darunter eine Mutter, die von der Zeit unter Hitler schwärmt, ein Mann, der sich mit der eigenen Schuld auseinandersetzt, und ein amerikanischer Soldat, der von einer Welt ohne Rassismus träumt. Thematisiert wird neben der Frage nach Verdrängung und Aufarbeitung der unter dem NS-Regime begangenen Verbrechen auch der in der jungen Adenauer-Republik vorherrschende Rassismus. 

Kultusministerin Theresa Schopper hält an der Buchauswahl fest

Wie das Kultusministerium auf Anfrage mitteilt, war das Buch schon um die Jahrtausendwende Pflichtlektüre in Baden-Württemberg und auch 2014 in Nordrhein-Westfalen. Wolfgang Koeppen gelte als einer der wichtigsten Nachkriegsautoren in Deutschland. Die Auswahl der Pflichtlektüre für die Abiturprüfung erfolge durch ein Fachgremium. In einem 300-seitigen Reader werde darauf hingewiesen, dass die Verwendung des N-Worts im Vorfeld von Lehrkräften thematisiert werden muss. 

Baden-Württembergs Kultusministerin Theresa Schopper hält an der Buchauswahl fest. "Es geht darum, deutlich zu machen, wie Rassismus Gesellschaften prägt: damals in den 50er Jahren, als der Roman entstanden ist, aber auch heute. Das zu behandeln, finde ich sehr wichtig", erklärte die Grünen-Politikerin. Einordnung sei bei diesem Werk besonders wichtig, Lehrkräfte würden mit Fortbildungen und Materialien unterstützt. Es sei zwingend notwendig, bevor dieses Buch im Unterricht gelesen und behandelt werde, sehr genau über die Sprache des Textes zu reden. "Denn in dieser Sprache wird ganz klar Rassismus transportiert", betonte Schopper. 

Davon ist auch die Deutsch- und Englischlehrerin Jasmin Bluntüberzeugt. Deshalb sagt sie: "Es gibt auch andere Werke, mit denen man wahnsinnig gut Rassismus aufarbeiten kann, ohne dass man eine Gruppe dehumanisiert." Blunt ist auf eigenen Wunsch mittlerweile vom Unterricht freigestellt worden. Mit ihrer Haltung ist die Lehrerin nicht allein.

3200 Menschen haben Online-Petition gegen die Pflichtlektüre unterzeichnet

Eine Petition gegen die Pflichtlektüre hat im Internet inzwischen mehr als 3200 Befürworterinnen und Befürworter gefunden, darunter Lehrkräfte von Universitäten und Kulturschaffende. Neben dem Tübinger Geschichtsprofessor Bernd-Stefan Grewe haben auch der Afrikawissenschaftler Jürgen Zimmerer und die Schriftstellerin Jasmina Kuhnke unterzeichnet. 

Ihrer Ansicht nach ist das Buch nicht für den Schulunterricht geeignet. Bei der Besprechung des Buchs werde das N-Wort immer wieder laut vorgelesen und betroffene Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte rassistischer Diskriminierung ausgesetzt. Man wolle keine literarische Zensur, aber erreichen, dass Minderheiten geschützt werden und sich nicht weiße Menschen aussuchen können, ob sie sich mit dieser Sprache konfrontieren wollen. 

Christina Brüning, Professorin für Didaktik der Geschichte an der Universität Marburg, hat die Petition mit unterschrieben. Sie findet die Reaktion der Lehrerin absolut nachvollziehbar und begrüßenswert. Denn dadurch würden viele Schülerinnen und Schüler of Color geschützt, für die die Abilektüre traumatisierend wäre. Brüning plädiert für eine kritische annotierte Neuausgabe des Werks. Noch wichtiger ist aus ihrer Sicht aber eine diversere Zusammensetzung von Auswahlkommissionen. „Problematisch an der Haltung des Ministeriums ist, dass die Innenperspektive von Betroffenen nicht ernstgenommen wird“, erklärt sie auf Anfrage.

Bernd-Stefan Grewe, Direktor des Instituts für Geschichtsdidaktik an er Universität Tübingen, teilt diese Auffassung. „Der Umgang der Kultusbehörden mit dem Thema ist ein Armutszeugnis“, sagt er. „Es wurde offenbar überhaupt nicht darüber nachgedacht, was ein solcher Text mit Menschen macht, die Rassismus erfahren haben. Wer glaubt, das sei nicht schlimm, hat sich nie ernsthaft mit dem Thema beschäftigt.“ Grewe stört sich vor allem daran, dass „Tauben im Gras“ als Pflichtlektüre ausgewählt wurde. Denn Betroffene könnten sich der Besprechung nicht entziehen. Hinzu kommt, dass die meisten Lehrkräfte nicht ausreichend geschult seien, um Rassismus anhand eines solchen Buchs zu thematisieren 

Auch der Geschichtsprofessor Jürgen Zimmerer betont: „Sprache kann psychische Gewalt ausüben und verletzen.“ Rassistische Ausdrücke wie das N-Wort würden genau das tun. Sie immer wieder vorzutragen, normalisiere ihre Nutzung weiter, wo diese eigentlich beschränkt werden müsse im Sinne einer historischen Lehre aus der Geschichte. (mit dpa)

 
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