Drei Boxen auf der Bühne, drei Annäherungen an drei Frauen aus Wissenschaft, Kultur und Politik, die sich ohne Rückhalt in ihr Leben stürzten bis zur Selbstaufgabe und Selbstzerstörung: Ulms neue Ballettchefin Annett Göhre zeigt als ihre erste Produktion im Großen Haus die überarbeitete Choreografie des Ballettabends "Marie! Romy! Petra!", der ihre Derniere in Zwickau gewesen war – eine eigene Handschrift, die sich deutlich von der ihrer Vorgänger in Ulm unterscheidet.
Marie Curie, Romy Schneider, Petra Kelly: Annett Göhres systematischer Ballettabend beginnt bei jeder der drei Frauen, an die sich die Choreografie tänzerisch annähert, mit Zeit-Bildern, die dem Publikum wichtige Ereignisse jener Lebenszeiten nahebringen: eine Epoche der Erfindungen und der ersten Frauenrechtlerinnen bei Marie Curie, Kriegsende, Wirtschaftswunder und Kalter Krieg bei Romy Schneider, Woodstock, Vietnam und Demos bei Petra Kelly.
Das Geschlecht spielt bei Tänzerinnen und Tänzern kaum eine Rolle
Annett Hunger, die den Abend mit Annett Göhre konzipiert hat, ist eine kluge Bühnenbildnerin. Großartig ist die Idee grau-weißer Anzüge, deren Design erkennbare Gesichter ergibt, wenn sich Tänzerinnen und Tänzer berühren. Die Ausstattung der Choreografie zeigt den Appell der neuen Ballettchefin. An diesem Tanzabend spielt das Geschlecht der Tänzerinnen und Tänzer kaum eine Rolle. Hosen und Shorts, Kleider und Röcke werden von Männern und Frauen getragen, für die Nebenrollen werden Kleidungsteile so kombiniert, dass Petra Kellys Sicht deutlich wird, dass Männer und Frauen jeweils maskuline und feminine Eigenschaften in sich vereinen.
Marie Curie im veilchenblauen viktorianischen Kleid mit weißem Kragen wird wechselweise von einer Tänzerin und einem Tänzer verkörpert. Die Figur der Romy Schneider begegnet dem Zuschauer in einer verspiegelten Box. Vor der eigenen Schönheit gibt es kein Entrinnen. Hände von Fans greifen gierig nach der jungen Frau, der es nicht gelingt, sich komplett von den Klischees der Sissi-Rolle zu befreien. Die Wände von Petra Kellys Box sind beklebt mit Zetteln – wohl mit Sätzen, die der Politikerin und Aktivistin wichtig waren. "Marie! Romy! Petra!" ist weniger erzählender Tanz denn getanzte Erzählung von drei mutigen Frauen. Was am Ende bleibt? Drei Hände Erde. Marie Curie stirbt an Leukämie, eine Folge ihrer Entdeckungen. Romy Schneider bereitet sich ihr Grab selbst, Petra Kelly wird von ihrem Lebensgefährten Gert Bastian erschossen.
Getanzt wird zu Musik von Frauen
Ob die Welt ohne Männer besser wäre? Annett Göhre nutzt für die Choreografie ausschließlich Musik, die von Frauen komponiert und/oder interpretiert wurde – von Clara Schumanns "Drei Romanzen" über die Callas bis zu Anna Mateurs "Raus mit den Männern". Es ist ein feministischer Abend, der die drei unterschiedlichen Frauen aus verschiedenen Epochen im Spagat zwischen öffentlicher und privater Person zusammenführt. Sie eint der Umstand, dass sie besessen waren davon, ein selbst gestecktes Ziel zu erreichen. Graue Steine schweben dabei über den Köpfen dieser Frauen, liegen ihnen im Weg. Starker Beifall am Ende!
Info: Die nächsten Aufführungen sind am 26. Oktober, 4., 10. und 24. November.