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Augsburg
"The Rake's Progress" am Staatstheater Augsburg: Da kommt der Teufel her
Igor Strawinskys Oper ist im Martinipark in einer Neuinszenierung zu sehen. Die Musik ist spritzig, die Sänger sind trefflich besetzt, und die Inszenierung tut manches, um zeitgemäß zu erscheinen.
Stefan Dosch
 |  aktualisiert: 11.03.2024 09:22 Uhr

Ein halbes Jahrhundert lang war "The Rake’s Progress" nicht mehr auf der Bühne des (Staats-)Theaters Augsburg zu erleben. Erstaunlich, ist Igor Strawinskys Oper, Kulminationspunkt der neoklassischen Phase des Komponisten, doch ein so vielschichtiges wie kurzweiliges Werk. Dem Komponisten, dem seit seiner "Sacre du printemps"-Musik der Ruf eines Erzeugers roher Klanggewitter anhaftete, stand nämlich mit "The Rake's Progress" erklärtermaßen das Musiktheater des späten 18. Jahrhunderts als Vorbild vor Augen. Tatsächlich hat Strawinskys 1951 uraufgeführte Oper etwas von einem Mozartschen dramma giocoso in der Verbindung von dramatischer Verstrickung und komödiantischem Unterton, von abwechslungsreichem äußerem Geschehen und dazwischengeschalteter Innenschau, von alten Formmodellen wie Rezitativ und Arie und luzide besetztem, auf Mozart-Maße reduziertem Orchester. Nun, endlich wieder, hat man das Stück in Augsburg mit einer Neuproduktion im Martinipark bedacht.

Von William Hogarth, dem englischen Maler und Kupferstecher der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, stammte die Vorlage zur Oper. "The Rake's Progress" war eine Bilderfolge, in der Hogarth den Niedergang eines zu Geld gekommenen jungen Mannes vor Augen führt – wobei die geläufige deutsche Übersetzung von rake mit Wüstling den Typus ziemlich verfehlt. Denn ein stieres Mannsbild ist dieser Tom Rakewell gerade nicht, eher ein Labiler, Verführbarer. Weshalb er bei Strawinsky und seinen Librettisten W. H. Auden/Chester Kallmann ja auch in die Fänge eines gewissen Nick Shadow gerät, dem Teufel in Person. Der bringt Tom Rakewell dazu, seine Geliebte Anne zu verlassen und nach London zu gehen, wo Tom säuft und hurt und schließlich in den Ruin gerät, ja am Ende – ultimativer Schachzug des teuflischen Shadow – dem Wahnsinn verfällt. 

Strawinskys Oper "The Rake's Progress" in Augsburg: Tom Rakewell wohnt in Number 10

Jan Eßinger inszeniert diesen Progress, diesen steten Fortschritt Richtung Abgrund. Beziehungsreich beginnt es damit, dass zum knappen Musikpräludium eine Gestalt sich aus den Zuschauerreihen erhebt und sich seinen Weg durchs Orchester auf die Bühne bahnt. Es ist der schweflige Nick Shadow, und nicht von ungefähr kommt er aus unserer Mitte. Zunächst jedoch öffnet er den Vorhang; er macht das Spiel. Oben ist die Drehbühne im Einsatz, die von Szene zu Szene Guckkastenbilder präsentiert. Eine Reminiszenz an den Stationenzyklus des Hogarth, mit dem Nachteil freilich, dass dieses Spiel im Spiel visuell arg kleinteilig gerät. Die trotzdem üppige Bühnengestaltung (Nikolaus Webern) macht’s wieder wett, gleich im ersten Bild mit einem blühenden englischen Gartenparadies am Vaterhaus von Anne. Wie überhaupt die Inszenierung dezidiert englisch gehalten ist, von der geblümten Tapete in Tom Rakewells Londoner Wohnstatt bis zu deren Außenfront, wo neben der Klinkerfassade auf der schwarz glänzenden Eingangstür die Nummer 10 prangt. Wie bitte, Tom Rakewell bewohnt Number 10, Adresse des englischen Premiers? Demnach wäre das am Schluss der Oper, wo die Tür ins Bild kommt, der Ort eines wahnsinnig Gewordenen …

Dergleichen findet man wiederholt in Eßingers Inszenierung. Anspielungen, thesenhafte Ideen, die, einmal aufgeblitzt, doch nicht weitergeführt, geschweige denn hergeleitet werden. Als Rakewell bankrott ist und sein verbliebener Besitz versteigert werden soll, erscheint der Auktionator Sellem in der Soutane eines Kirchenmannes, sein Auktionshaus trägt den eher angestrengt witzigen Namen Papst Pal. Die Institution Kirche, die sich von der begeistert bietenden Masse das Geld holt: Das ist im Kontext des zuvor Verhandelten schlicht aus dem Hut gezaubert statt schlüssig herausentwickelt. Eher schon mag man Sinn erkennen in der Tatsache, dass Rakewell in London gerne Rock oder auch einen regenbogenfarbenen Anzug trägt. Klagt er doch darüber, dass man in dieser Stadt stets mit der Mode gehen müsse – Tom Rakewell, zeitgerecht, woke und queer. Letzteres, bloß noch etliche Umdrehungen weiter, ist auch der Teufel Shadow. Baba hingegen, Toms Ehefrau, von den Librettisten schon Mitte des vorigen Jahrhunderts als Frau mit Vollbart konzipiert, darf diesmal kein Gesichtshaar zeigen, sie tritt, Jahrmarkts-Abkömmling, der sie ist, in triefigem rosa Wurftorten-Outfit in Erscheinung (Kostüme: Lena Brexendorff).

Die Baba mit dem Wurftorten-Outfit

Strawinskys quirlig-hintersinnige Musik ist so recht nach dem Geschmack von Domonkos Héja, der die Tempi meist recht straff nimmt und federnde Rhythmik vorgibt, ohne dass die Augsburger Philharmoniker dabei in ein mechanistisch kalten Klanggestus verfallen würden. Ungemein spritzig, pars pro toto, jenes Duett im zweiten Akt, worin Shadow sein Opfer Rakewell zum gedankenlosen Genuss animiert. Tenor Sung min Song profitiert in der Hauptrolle einmal mehr von seiner sicher geführten Stimme und vollen Kraftreserven, möchte darstellerisch aber doch noch mehr von der Regie an die Hand genommen werden. Shin Yeo als sein Kontrahent Nick Shadow gelingt die Rollengestaltung ausgefeilter, sein Verführer schleicht mit schmeichelnder Stimme an, um im gegebenen Moment doch baritonale Dämonen-Schärfe aufflammen zu lassen. Das sanfte Gemüt der Anne Truelove, das auch Trauer und Entschlossenheit zeigen kann, trifft Sopranistin Jihyun Cecilia Lee, mit den entsprechenden Farbwechseln der Stimme ausgezeichnet. Für Kate Allen ist die Baba eine Paraderolle, genau auf den Punkt gebracht zwischen dem voluminösen Brustton des Schausteller-Mannweibs, und doch nie bloße Karikatur. Der Opernchor des Staatstheaters ist ein in jeder Hinsicht verlässlicher, auch darstellerisch einsatzfreudiger Mit-Akteur dieser Produktion.

Als der Vorhang am Ende gefallen ist und bereits Applaus anhebt, setzt die Musik noch einmal ein. Es gilt ja tatsächlich noch etwas nachzuholen, nämlich die Moral von der Geschicht' – mehr noch als die auf Armlänge vor die Zuhörer hintretenden Protagonisten ist es dieser inszenierte hidden track, der den V-Effekt schafft. Auf dass man so recht merke, nicht bloß im Bühnenspiel steckt der Teufel im Groben und im Detail, nein, er zwickt und zwackt uns alle.

 
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