zurück
Premiere
"Julius Caesar" in Oberammergau: Das bekommen Zuschauer geboten
Christian Stückl inszeniert „Julis Caesar“ im Oberammergauer Passionstheater. Dabei arbeitet er raffiniert mit Bildzitaten, die Assoziationen wecken.
Fotoprobe zu «Julius Caesar».jpeg       -  Premiere des Stücks unter der Regie von Chr. Stückl ist am 1. Juli 2023 im Passionstheater.
Foto: Angelika Warmuth, dpa | Premiere des Stücks unter der Regie von Chr. Stückl ist am 1. Juli 2023 im Passionstheater.
Barbara Reitter
 |  aktualisiert: 11.03.2024 11:20 Uhr

Im ersten Bild stehen sich zwei Gruppen von Demonstranten feindlich gegenüber: auf der einen Seite die Kämpfer gegen Armut und Hunger, angeführt von Cassius, einem römischen Che Guevara. Auf der anderen Seite eine willfährige Masse mit roten Basecaps, Sprechchören und Plakaten mit dem Konterfei Julius Caesars, die an den Sturm aufs Kapitol in Washington erinnern. Am Ende hat sich die Situation umgekehrt: die schlecht bewaffneten aufständischen Verschwörer sehen sich einer hochgerüsteten Armee gegenüber. Der Rest ist nicht Schweigen, sondern ein Schlachtfeld voller Leichen.

Christian Stückls "Julius Caesar" in Oberammergau passt genau in diese Zeit

Mit Shakespeares selten aufgeführter Tragödie „Julius Caesar“ eröffnete Christian Stückl ein Jahr nach der letzten Passion den diesjährigen Theatersommer in Oberammergau. Eine stimmige Wahl, passgenau für unsere Zeit, denn Kriege und Krisen bedrohen die Demokratie ebenso wie selbsternannte Tyrannen in Europa und auf dem amerikanischen Kontinent. Stückl dockt mit der Aktualität seiner sprachlich modernisierten Neufassung jedoch nicht an einen bestimmten Staat an. Stattdessen arbeitet er überzeugend mit effektvollen Bild-Zitaten, welche eine Fülle an klugem Assoziationsmaterial liefern. Markus Zwinks symphonische Filmmusik untermalt das Geschehen, das der Chor mit punktuell gesetzten, grandiosen Angstschreien und gesungenen Seufzern unterstreicht.

In diesem Testosteron gesättigten Männerdrama geht es primär um Macht und Machterhalt. Dafür wird gemordet, intrigiert, gekämpft und manipuliert. Denn das Volk ist wankelmütig und verführbar, wenn ihm Versprechungen gemacht oder demagogisch gehetzt wird durch rhetorische Meisterleistungen wie die Rede Marc Antons (beeindruckend Cengiz Görür) an der Leiche Caesars. Jeder kennt aus seiner Schulzeit den berühmten Refrain „Denn Brutus ist ein ehrenwerter Mann ...“. Hier kommt Regisseur Stückls Begabung für dramatisch choreografierte Massenszenen perfekt zum Einsatz, spielen doch in seiner Inszenierung wieder an die 200 Oberammergauer mit. Sie wogen über die Bühne, stets in Bewegung, sodass fürs Auge bei den zahllosen Monologen und Dialogen, die ohne Action auskommen müssen, immer etwas geboten wird. 

Die Bühne im Passionstheater Oberammergau ist knallrot ausgeleuchtet

Dass Stückl großes, wuchtiges Theater kann, weiß man ja nicht nur von mittlerweile drei von ihm verantworteten Passionsspielen, sondern auch von Aufführungen am Münchner Volkstheater. Natürlich stellt schon die antikisierende Breitwandbühne in Oberammergau ein Problem dar, doch für „Julius Caesar“ wird sie optimal genutzt. Stefan Hageneier (verantwortlich für Bühne und Kostüme) lässt einfach den Mittelteil knallrot ausleuchten, sodass ein abgegrenzter Raum entsteht (Licht: Günther E. Weiss). Hier ist buchstäblich alles in Rot: der überlange Putin-Konferenztisch mit rotem Telefon, die Sessel, ja selbst die drei Fahnen mit aufgesticktem goldenem Adler, die wiederum das Interieur im Weißen Haus zitieren. Auch die witzige Leibgarde des Tyrannen, fünf Männer, die aussehen wie Zinnsoldaten im roten Husarenkostüm. 

Calpurnia, die Gattin Caesars, strahlt als karikiertes Double von Melania Trump in der Signalfarbe der Macht. Neben ihr gibt es nur eine einzige weitere Frauenrolle, die der klugen Portia, deren Unschuldsweiß das Wirken ihres Mannes Brutus konterkariert. Beide Frauen haben wenig Text, sind eher schmückendes Beiwerk, von den jeweiligen Männern auf attraktive Bedeutungslosigkeit reduziert. Barbara Schuster und Eva Norz meistern dies tapfer, auch wenn ihr bayerisch rollende "R" störend wirkt.

Julius Caesar ist ein charismatischer Tyrann

Das gilt auch für einige der kleineren Sprechrollen; doch darf man nicht vergessen, dass Stückl mit Laien aus seinem Heimatort arbeitet, deren Sprechtraining im Schnellgang laufen muss. Für die Titelfigur hat er den erfahrenen Andreas Richter eingesetzt, der vor 20 Jahren alternierend mit Frederik Mayet (jetzt als cooler Usurpator Oktavius) den Jesus gab. Hier ist er ein charismatischer Tyrann, der den Pöbel mit Zuckerbrot und Peitsche an sich fesselt, mit großem Pathos im Gestus, ein überzeugender Volkstribun. Martin Schuster als sein Vertrauter und späterer Mörder Brutus erscheint als bebrillter Intellektueller, der aus ethischer Überzeugung dem Tyrannenmord zustimmt, den Yannick Schaap als Cassius initiiert. 

Weitere Senatoren sind beteiligt an den 23 Messerstichen bei der Ermordung, bis Brutus mit einer Pistole die Tat vollendet. Ab dieser Szene eskaliert nicht nur die Handlung, auch Stückl lässt es so richtig krachen. Mit perfekt eingesetzter Pyrotechnik samt bengalischem Feuer erleben wir eine dramatische Schlacht, einen ästhetischen Weltuntergang, bei dem die Bühne sich unter Rauchschwaden in fahles Grün wandelt – und im Kopf Bilder der ukrainischen Stadt Butscha auftauchen ...

Bis 5. August im Passionstheater Oberammergau, Kartentelefon 08822/945 8888 , weitere Informationen unter www.passionstheater.de

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Che Guevara
Christian Stückl
Julius Caesar
Krisen
Mörder
Münchner Volkstheater
Passionsspiele
Tyrannen
Volkstribune
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen