Jetzt ist Taylor also größer als Elvis. Pünktlich zum Jahreswechsel übertrumpfte die Queen of Pop den King of Rock’n’Roll. Unangefochten belegte Taylor Swift mit ihrem Album "Midnights" 68 Wochen am Stück Platz Eins der US-Charts – so lange wie noch keine Solokünstlerin und kein Solokünstler vor ihr. Einzig die Beatles, die ihre Alben 132 Wochen an der Spitze der Album-Charts hielten, stehen noch über Swift.
Kaum ein Monat vergeht, in dem es keine Rekorde für die Sängerin regnet: 2023 war zweifelsohne ihr Jahr. Die 34-Jährige wurde vom Times Magazine zur Person des Jahres erklärt, räumte neun MTV-Awards ab und platzierte fünf Alben gleichzeitig in den Top-Ten-Charts. Der restlose Ausverkauf ihrer "Eras"-Tour-Tickets machte sie laut einer Analyse des Medienkonzerns Bloomberg zur Milliardärin und der Film zur Tour legte in seinem Genre den besten Kinostart jemals hin.
Seit geraumer Zeit macht es sich Taylor Swift auf dem Pop-Thron der Musikindustrie gemütlich. Doch was macht diese Frau so erfolgreich? Warum geben Fans hunderte bis tausende Euro für Konzerte aus? Was steckt hinter dem Phänomen Taylor Swift?
Grund 1 für Taylor Swifts Erfolg: Die Präsenz in jeder Ära des Lebens
Jetzt mal aus persönlicher Sicht: Für mich beginnt alles 2014, fernab von Rekorden und explodierenden Ticketpreisen. Schon damals war Swift ein Weltstar: Gemessen am Verkauf von Alben und Downloads war sie die erfolgreichste Musikerin des Jahres 2014. Trotzdem fühlte ich mich dieser Frau von der anderen Seite des Atlantiks ganz nah. Mit zehn Jahren nahm ich sie mir zum Vorbild: schulterlange Haare, Croptops, Polaroids und lange Nächte am Strand. So sollten meine Teenager-Jahre aussehen, im Hintergrund sollte Swifts Soundtrack laufen.
Seitdem hat mich Taylor Swift nicht mehr verlassen. Sie hat sich in meinem Alltag festgesetzt, begegnet mir täglich im Social Media Feed. Wenn ich heute einen zehnminütigen Timer benötige, öffne ich Spotify und spiele die zehn-Minuten-Version von All Too Well ab. Denn nach fast 20 Jahren in der Branche hat Taylor Musik für jede Gefühls- und Lebenslagen parat. Im Indie-Folk-Sound von August steckt eine verträumte Sommerromanze. Afterglow ist ein reifer Entschuldigungssong, während Starlight nur so vor Lebensfreude sprüht. Seven schwelgt in Kindheitsnostalgie und Right Where You Left Me erzählt von der betäubenden Leere nach einer Trennung.
Taylor unterteilt ihre Musik in "Eras", zu Deutsch Epochen. Mit jeder Epoche, die je einem Album entspricht, erfindet sich Swift neu. Sie präsentiert alle paar Jahre eine neue Seite ihrer Persönlichkeit, neue Outfits, neue lyrische Themen – eine rundum abgestimmte, frische Ästhetik. Das Album Reputation steht für Schlangen, Rache, Liebe in schweren Zeiten. Folklore und Evermore, die eine temporäre Neuausrichtung zu Indie und Folk waren, zeichnen sich dagegen durch Swifts Fantasie aus: Nebel, Fiktion und vielschichtige Figuren. Ein kleines, buntes Taylor-versum.
Natürlich ist dies kein Alleinstellungsmerkmal von Taylor Swift. Alle Künstler, die in der Musikbranche auf Dauer überleben möchten, erfinden sich irgendwann neu – ob im kleinen oder großen Stil. Doch kaum jemand tut es so gewinnbringend wie Taylor. Die Swift-"Eras" sind mittlerweile sogar Teil der Internet-Jugendkultur. Um in den sozialen Medien mitzuteilen, in welcher Gefühls- und Lebenslage sie sich gerade befinden, schreiben einige Teenager Sätze wie: "In my Reputation era" oder "In my healing era".
Grund 2 für Taylor Swifts Erfolg: Die Swiftie-Wohlfühl-Bubble
Im Eras-Trend steckt ein weiterer Grund für Taylors Erfolg: die Macht der Swifties, wie sich die Fans selbst nennen. Swift macht etwas, wovon die Fangemeinde begeistert ist? In wenigen Stunden weiß das ganze Internet davon. Swift gibt ein Konzert und 70.000 Fans tanzen? Seismologen messen ein Mini-Erdbeben. Wenn es aber um Tickets geht, treten Swifties in Konkurrenz. Dann wirkt die Fangemeinde nicht mehr kuschelig warm, sondern wie ein Kult, dessen Anhängerinnen ums Dabeisein kämpfen. Der Schauplatz: So viele Bildschirme wie möglich.
Mitte Juni 2023: Vor mir stehen zwei Laptops, ein Tablet und mein Handy. Auf allen Bildschirm kriecht der Ladebalken mit etwa fünf Millimetern die Stunde voran. Das Ziel: ein Konzertticket ergattern. Doch allein die Registrierung für den Vorverkauf dauerte Stunden. Es folgte ein einmonatiges Bangen: Würde ich einen Zugangscode für den Ticket-Vorverkauf erhalten? Der Juli verstrich, der Code kam nie an. Ich hatte den Kampf gegen die anderen Swifties verloren.
Wer tiefer in die Fangemeinde eintaucht, merkt allerdings schnell: Abseits vom Tickettrubel sind Swifties eine sanfte Spezies. In ihrer Wohlfühl-Bubble dreht sich alles um Freundschaftsarmbänder und Karaoke-Partys. Sie sind Lyrik-Liebhaber und Tanz-Enthusiastinnen – meist Teenager-Mädchen, aber nicht immer. Gerade für Jugendliche, die während der Pandemie oft allein waren, war diese Gemeinschaft, die dank Social Media jederzeit und überall zugänglich ist, geradezu heilsam.
Grund 3 für Taylor Swifts Erfolg: Die Milliardärin von nebenan
Swifties sagen gerne, sie hätten die richtige Person "berühmt gemacht". Denn das ist es, was Taylor von den vielen Künstlerinnen und Künstlern, die musikalisch mindestens genauso gut sind, unterscheidet: Sie wirkt wie ein aufrichtig guter Mensch. Schlechte und tragische Schlagzeilen, die bei anderen Stars zu ordentlichen Skandalen führen würden – ihre exzessive Privatjet-Fliegerei und der Konzert-Tod eines Fans in Brasilien – können ihr nichts anhaben.
Denn im Gegensatz zu anderen großen Stars wie Beyoncé und Rihanna bleibt Taylor das Good Girl von nebenan. Sie scheint kein Interesse an ihrem Weltstar-Image zu haben. Zweifelsohne idealisieren Swifties ihre Lieblingssängerin – als eine Frau mit Geschäftssinn macht sie es ihnen auch verdammt einfach. Sie nutzt ihre größten Stärken, das Songwriting und Storytelling, um nahbar zu bleiben. Kritischen Stimmen begegnet sie mit Selbstironie. Und sie nutzt ihr Lächeln, um auf dem Boden zu bleiben – dabei sitzt sie längst ganz oben auf dem Thron.