Zum Bayreuther Festspielalltag gehört, dass neu verpflichtete Sängerinnen und Sänger in bestehende Inszenierungen eingeführt werden müssen, was zumeist auch ein wenig Nachjustierung an szenischen Stellschrauben mit sich bringt. Der Regisseur Tobias Kratzer und sein Team mussten für ihren im nun vierten Festspieljahr gezeigten "Tannhäuser" jedoch nicht nur Feintuning vornehmen, sie hatten richtig zu tun. Denn die viel gerühmte Inszenierung um Wagners Rittersänger, der im Venusberg der freien Liebe frönt, ihrer schließlich überdrüssig wird und zu seiner alten Flamme Elisabeth auf die Wartburg zurückkehrt, wo er im Sänger-Wettstreit fatalerweise eine Lanze für die Venus-Liebe bricht – diese Bayreuther "Tannhäuser"-Inszenierung macht zu einem wesentlichen Teil Gebrauch von Videosequenzen, die es neu zu produzieren galt. Sind 2023 doch mit Klaus Florian Vogt (Tannhäuser) und Elisabeth Teige (Elisabeth) die maßgeblichen Rollen neu besetzt.
Somit – neben der bereits erprobten Venus von Ekaterina Gubanova und den beiden altbekannten stummen Rollen Oskar (Manni Laudenbach) und Drag-Künstler Le Gateau Chocolat – auch zwei neue Gesichter in jener Szene, die sich in KratzersInszenierung Jahr für Jahr stets neu ausnimmt auf der Videoleinwand und als "Tannhäuser"-Running Gag inzwischen regelrecht Kultstatus erlangt hat ob ihres selbstreflexiven Humors: Diesmal also sieht man Tannhäuser, Venus und Le Gateau Chocolat mit Digitalbrillen über dem Gesicht fröhlich schunkelnd in ihrem knautschigen Kleinlaster dahintuckern, während Oskar abseits sitzt und ein Pappschild hochhält mit der Aufschrift "Brille gesucht" – Stichelei natürlich gegen die bei Weitem nicht ausreichenden 330 digitalen Brillen für den "Parsifal".
Nathalie Stutzmann, die zweite Frau am Bayreuther Dirigentenpult
Neu in diesem Festivaljahr auch die Besetzung der musikalischen Leitung mit Nathalie Stutzmann. Die Französin – ja, die Stutzmann, die schon auf eine Karriere als gefragte Mezzosopranistin zurückblicken kann – ist nach Oksana Lyniv die zweite Frau am Dirigierpult in Bayreuth. Ihr Debüt ist gekennzeichnet vom Bestreben, das Orchester aufzulichten, anstatt es in satten Farben malen zu lassen. Nicht alles gelingt, der Höhepunkt der Ouvertüre gerät zu hektisch, an anderen Stellen in Wagners Musikbeziehungsgeflecht wünschte man sich zudem einen deutlicheren Kommentar des Orchesters. Der leise, kummervolle Ton, den Nathalie Stutzmann für den dritten Aufzug anschlägt, korrespondiert jedoch hervorragend mit dem Zerplatzen der Sehnsüchte, die Kratzer so schonungslos zeigt.
Solistisch ist "Tannhäuser" erlesen besetzt. Günther Groissböck (auch er neu hinzugekommen) gibt dem Landgrafen souveräne Statur, und statt Lise Davidsen ist nun Elisabeth Teige die Elisabeth. Die warmen, zwischen Mädchen und Frau oszillierenden Gefühlsfarben geraten ihr ausgezeichnet, Teiges Stimme trägt auch in leisen Momenten, im hohen Register allerdings mischt sich ein Flattern hinein. Klaus Florian Vogt, spät erst eingesprungen für den bisherigen Rolleninhaber Steven Gould, macht als Tannhäuser sängerisch von seiner inzwischen singulären Routine als Wagner-Heldentenor Gebrauch. Das ist alles andere als wenig, bleibt in der Gestaltung der Partie jedoch zurück, wenn man etwa Markus Eiches bewegend different gesungenen Wolfram zum Vergleich nimmt.
Bayreuther Festspiele: Der problematische Wotan von Tomasz Konieczny
Dass Vogt auch drauflegen kann, zeigt er in der "Walküre", dem zweiten Teil von Wagners "Ring"-Tetralogie. In der Inszenierung von Valentin Schwarz war Vogt schon im vergangenen Jahr Siegmund, und vielleicht liegt es an diesem A-priori-Eingebundensein, dass seine Darbietung erneut überwältigt – die Stimmkraft, die keine Mühe zu kennen scheint, die vokale Linie auch dort, wo manch anderer nur deklamiert, die physische, schlank-elastische "Helden"-Präsenz, die der Rollenpräsenz so förderlich ist. Auch hier singt nun, statt Lise Davidsen, Elisabeth Teige die Sieglinde, auch hier überzeugend, in den dramatischen Momenten freilich nicht ganz an die Davidsen heranreichend. Problematisch in dieser "Walküre" ist ausgerechnet Wotan. Tomasz Konieczny hat eigentlich einen Bassbariton zum Niederknien, so schimmernd und nussbaumholzdunkel. Leider gerät ihm die Textdiktion derart mulmig, zum Schlechteren potenziert noch durch permanent ausgestellte vokale Imposanz, dass Wotans große Erzählstrecken – die in der Darlegung tragischer Verstrickung zum Ergreifendsten gehören, was Wagner je verfasst hat – in ihrer Dramatik völlig verpuffen. Zumal auch Pietari Inkinen, nach einem spannungsreichen Wälsungen-Aufzug, als Dirigent der beiden Folgeakte wenig Belebendes beizutragen hat. Souverän hingegen in ihren Walküre-Rufen Catherine Foster als Brünnhilde.
Apropos "Ring", 2023 ja wegen schwergängiger Verkäuflichkeit im Gerede: Vielleicht liegt es daran, dass der "Tannhäuser" nun doch noch einmal weitergeführt wird – welches Erfolgspferd nimmt man schon aus dem Rennen, wenn andere nicht ganz so gut laufen? Tobias Kratzer hat's dann auch gleich aufgriffen im Videogag Nummer zwei: Oskar grüßt hinter der Bühne drei abgehende Akteure, von deren Koffer ihm ein "See You '24"-Logo ins Auge sticht.