„Die höchste Form von Hoffnung“ – so hat Gerhard Richter einst die Kunst definiert. Und präzisierend hinzugefügt: „Hoffnung als Antwort auf das Entsetzen.“ Womit ja nur das menschliche Entsetzen gemeint sein kann.
Nun: An begründetem Entsetzen mangelt es derzeit sicher nicht im Gang der Welt. Umso verständlicher bleibt da, wenn nach der höchsten Form von Hoffnung gesucht wird. Soll dabei die Kunst Gerhard Richters selbst im Zentrum stehen, dieses seit nunmehr zwei Jahrzehnten einflussreichsten Malers weltweit, dann ist das Neue Museum Nürnberg jetzt erst recht eine hervorragende Anlaufstation. Bislang schon zeigte das Haus gleich gegenüber dem Nürnberger Hauptbahnhof in Dauerleihgabe eine gute Handvoll exquisiter Richter-Gemälde; jetzt aber ist die Präsentation auf 21 Arbeiten in drei Räumen ausgeweitet, wodurch Nürnberg bayernweit in der Anzahl und – wichtiger noch – in der Qualität an der Spitze steht.
Bei Gerhard Richter wird München von Nürnberg überflügelt
Gewiss, Richter ist auch im Münchner Lenbachhaus vertreten, vor allem in Form seines „Atlas“-Bildarchivs, dazu im Münchner Brandhorst Museum sowie in der Pinakothek der Moderne, aber eben nicht, auch nicht zusammen genommen, in dieser erstaunlichen Breite und Tiefe wie in Nürnberg. Das dortige Neue Museum könnte sogar noch mehr zeigen; im Depot schlummern sieben weitere Werke. Sie können zum Einsatz kommen, wenn aus der öffentlichen Schausammlung – keine Seltenheit – ausgeliehen wird.
Woher aber kommt diese Breite und Tiefe? Zum einen sind die wesentlichen Richter-Werkkreise vorhanden in der den Dauerleihgaben zugrundeliegenden Sammlung von Ingrid und Georg Böckmann. Das Ehepaar ist seit Jahrzehnten mit dem heute in Köln lebenden Richter befreundet und hat – zum zweiten – im Atelier offensichtlich immer früh eine glückliche Hand beweisen können bei der Auswahl aus der an Umschwüngen nicht armen Bildwelt des heute 92-jährigen Künstlers. Und nicht nur dort: Auch in den Ateliers weiterer ehemaliger Studenten der renommierten Düsseldorfer Kunstakademie – etwa bei Gotthard Graubner – griffen sie gerne und gut zu.
Auch das erste von Richters abstrakten Bildern ist zu sehen
So ist in Sachen Richter nun in Nürnberg ein eindrucksvolles „Seestück (bewölkt)“ in verwischtem Grau von 1969 zu sehen sowie – ebenfalls auf der Basis von Fotografie – ein Brustbild von „Brigid Polk“ (1971), dieser New Yorker Mitarbeiterin Andy Warhols, seinerzeit sich produzierend mit einem Nackt-Happening in einer Münchner Galerie. Des Weiteren ist eine frühe große Lack-Farbtafelmalerei von 1966 ("Sechs Farben") zu beachten, ein abstrahierendes Stadtbild aus der Vogelperspektive (1970) und ein vergrößerter Fotoausschnitt aus Richters Mal-Palette, nun als monumentales Triptychon in Öl. Kommen hinzu: ein gewünscht Aussage-verweigerndes monochromes „Grau“ (1976), die farbige Landschaftsmalerei „Brücke am Meer“ (1969) sowie eine große (Raum-)„Konstruktion“ aus dem Jahr 1976, die Richter als erstes seiner abstrakten Bilder bezeichnete, wie die Nürnberger Kuratorin Susan Scholl erklärt.
Am längsten freilich dürfte das Publikum verweilen vor der stillen, ikonischen Memento-Mori-Malerei „Schädel mit Kerze“ (1983) und vor zwei exzellenten „Abstrakten Bildern“ aus den 1990er-Jahren – das eine farbsprühend und von höchster Delikatesse, das andere ebenfalls gerakelt und dabei – als Hommage an den Venezianer Canaletto – raffiniert Farbspuren deckend und aufreißend. Letzteres Gemälde begleitete Angela Merkel jahrelang in der Sky-Lobby des Bundeskanzleramts, wo sich derzeit noch drei weitere Richter-Arbeiten aus der Sammlung der Böckmanns befinden, die sich zu Hause überdies noch an einem der späten "Stripes"-Bilder Richters erfreuen können. Eine gefragte Steuerkanzlei machte all das möglich.
Das allumfassende Angebot der Ausstellung
Was die Nürnberger Schau zusätzlich attraktiv macht: eine „Lesende am Strand“ von 1960, also aus dem von Richter eigentlich verworfenen Frühwerk, das sich hier speziell mit Max Beckmann, einem seiner Mal-Themen und deren Farbigkeit mitsamt schwarzer Konturenführung auseinandersetzt, dazu ein gut viertelstündiger Film, der sich unter dem Titel „Markt – Macht – Politik“ insbesondere der Frage widmet, warum die Werke Richters so teuer sind (Museumsdirektorin Simone Schimpf: „eine häufig gestellte Frage unserer Besucher“); schließlich ein Multimediaguide, der weit über das hinaus geht, was ein Audioguide leistet. Das vom bayerischen Kunstministerium unterstützte digitale Angebot führt bei ausgiebiger Nutzung tief hinein in die Arbeitsweise Richters – und entlässt die Besucher, so zumindest die Hoffnung und der Anspruch der Museumsdirektorin, als Gerhard-Richter-Experten.
Neues Museum Nürnberg, Luitpoldstraße 5, geöffnet Di. bis So. von 10 bis 18 Uhr, Do. bis 20 Uhr.