Als 2013 in Augsburg, da die Stadt noch kein Staatstheater besaß, Luigi Nonos frühe szenische Aktion "Intolleranza" aufgeführt wurde, da war dies Anklage und Aufschrei zugleich, Widerstand und Humanitätsappell. Der Komponist hatte Szenen der Unterdrückung aus realen politisch-wirtschaftlichen Situationen der Nachkriegszeit zusammengestellt, aber natürlich stellvertretend für eine immer wiederkehrende Unterdrückung des Menschen durch den Menschen verstanden: Arbeitende, die - um zu überleben - ihre Existenz aufs Spiel setzen müssen, weil der Arbeitgeber an Sicherheitseinrichtungen spart, verhaftete, gefolterte, geflohene Demonstranten, Opfer hausgemachter Umweltkatastrophen.
Luigi Nono - ein großer musikalischer Avantgardist des 20. Jahrhunderts
Und heute, da Luigi Nono, dieser große musikalische Avantgardist der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, 100 Jahre alt geworden wäre, da sieht die Welt nicht besser aus, eher ist ihr Zustand bedenklicher geworden. Wird deshalb "Intolleranza", 1960 geschrieben, gleichsam fortgeführt in der szenischen Aktion "Al gran sole carico d'amore" (1975), öfter aufgeführt? Nein, wird es nicht - wofür allerdings auch erhebliche Realisierungsanforderungen und womöglich die geänderte Erwartungshaltung des Publikums an einen Theaterabend Ausschlag geben.
Nono jedenfalls, Spross einer venezianischen Künstlerfamilie, trat ein für Revolutionen: musikalisch wie politisch. "Nono klagt an, und seine Sprache ist Feuer" - mit diesen Worten fasste der deutsche Kollege Karl Amadeus Hartmann den einerseits so zornigen wie andererseits so zarten Impetus Nonos zusammen. In diesem Gegensatz auch scheint die landläufige Einteilung seines Lebenslaufs auf: die Trennung zwischen einem frühen, heftigen, aufrüttelnden bühnendramatischen Engagement und - folgend - der Rückzug in eine entrückt tönende, nachlauschende Innerlichkeit, wofür beispielhaft sein Streichquartett "Fragmente - Stille, An Diotima" sowie die Hörtragödie "Prometeo" anzuführen sind. Aber diese Kategorisierung bleibt allzu scharf vollzogen: Erstens scheint der introvertierte Nono bereits musikalisch deutlich auch in seinem appellativen Frühwerk auf - und einem unterstellten Rückzug in die innere Emigration steht die Mitgliedschaft und aktive Tätigkeit bei der Kommunistischen Partei Italiens bis zu seinem Tod 1990 entgegen.
Luigi Nono, Arnold Schönbergs Schwiegersohn, bleibt Venedig verbunden
Nono, Schüler Bruno Madernas, blieb und bleibt Venedig verbunden. Hier lebte er auf der Insel Giudecca, hier überführte er die speziell lokale Tradition der Mehrchörigkeit in seine ihm eigene Durchdringung von orchestraler und elektronischer Musik, hier liegt der Schwiegersohn Arnold Schönbergs begraben - auf der Toteninsel San Michele, unweit Strawinsky.