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Mode
Trendiger Trash: Was hinter dem Hype um Discounter-Klamotten steckt
Discounter verscherbeln Mode mit eigenem Logo und Luxus-Labels entwerfen Ledertaschen in Mülltütenoptik. So trashig, dass es schon wieder cool ist?
Felicitas Lachmayr
 |  aktualisiert: 11.03.2024 10:56 Uhr

Neulich durchs Aldi-Prospekt geblättert und gestutzt: Zwischen Bio-Salami und Kloreiniger posieren junge Menschen in Badelatschen, Fischerhut, Tennissocken– und auf allen Klamotten prangt das Logo des Discounters in Regenbogen-Optik. Toleranz und Vielfalt und so. Statement zum Schnäppchenpreis, klar. Aber seit wann wird der Einkauf beim Discounter eigentlich so stolz nach außen getragen? 

Die Supermarktfrage war vielleicht immer schon eine Grundsatzfrage. Zu Lidl? Würde ich nie gehen, zu unsortiert. Echt, du kaufst bei Aldi ein? Das Obst bei Netto ist frischer. Nee, da geh ich lieber zu Penny. Aber die Einkaufsvorlieben offen zur Schau stellen? Niemals. Schon gar nicht mit plumpem Logo auf dem T-Shirt. Eher wird verstohlen das Etikett aus dem Kragen geschnippelt, damit niemand erfährt, in welchem Discounter-Wühltisch man da herumgefischt hat.

Wenn den Modegurus nichts mehr einfällt, orientieren sie sich nach unten

Aber das ist alter Hut. Supermarkt-Mode ist cool. Wer etwas auf sich hält, trägt jetzt Aldi-Letten statt Adiletten, denn Trash liegt im Trend. Der „Assi-Look“ ist im Mainstream angekommen, nicht erst seit der Pandemie. Schon bevor es in Schlabberklamotten vom Sofa zurück auf die Straße ging, schlurften Models in Jogginghosen und Badelatschen über den Laufsteg wie früher die Klischee-Prolos über den Gehsteig. Die Justin Biebers und Kim Kardashians dieser Welt flanieren inzwischen schamlos mit zerzaustem Haar, zerfetzen Jeans und Oversized-Hoodies über den Hollywood Boulevard.

Dabei soll Mode doch aufwerten, schön sein, fancy daherkommen, um Aussehen und Image aufzupolieren. Teure Marken vermitteln Macht und Status. In der Kluft eines Luxuslabels herumzulaufen, muss man sich leisten können. Wer es nicht kann, darf zumindest mal davon träumen. Nach oben wollen ja alle irgendwie.

Aber warum tragen Reiche plötzlich Fetzen, die zwar immer noch ein Vermögen kosten, aber aussehen wie Fundstücke aus dem Altkleidercontainer? Alter Trick. Wenn den Modegurus an der Spitze nichts mehr einfällt, orientieren sie sich nach unten und lassen sich von denen inspirieren, die nichts haben. Denn denen fällt immer etwas ein. Not macht erfinderisch. Stilistisch ist das sowieso meistens cooler, weil origineller und authentischer. 

Das Luxuslabel Balenciaga setzt seit Langem auf den Prolo-Look

Bestes Beispiel: Hip-Hop. Die Rapper aus der Bronx trugen schon in den 1980er Jahren Cappies, Goldketten und Trainingsanzug und waren damit stilprägend. Immer wieder wird Subkultur zum Massenphänomen und der Look von der Straße landet auf dem Laufsteg, irgendwo müssen die neuen Trends ja herkommen. „Downdressing“ nennt sich der Effekt, wenn Kleidung aus der Unterschicht plötzlich von höher gestellten Klassen getragen wird. 

Wie das dann aussieht? Das LuxuslabelBalenciaga setzt seit Langem auf den Prolo-Look und verhökert abgelatschte Sneaker und Handtaschen, die eher blauen Mülltüten als edlen Lederbeuteln gleichen, aber immer noch tausende Euro kosten. Der Modedesigner John Galliano sorgte schon in den 2000ern für Furore mit seiner Homeless-Kollektion, für die er sich von Pariser Obdachlosen inspirieren ließ. Modisches Armutszeugnis oder genialer Stilbruch? Geschmacksfrage. 

Für echte Fashionistas jedenfalls muss Mode nicht in erster Linie schön, sondern individuell sein. Stilbrüche sind das perfekte, weil lässigste Mittel, um ein Statement zu setzen und sich von der Masse abzuheben. Gucci-Tasche über der Schulter, zerschlissene Jacke und alte Latschen an den Füßen? Warum nicht. Wer cool sein will, unterwirft sich keinem Dresscode, sondern zieht an, was er will, und grenzt sich dadurch ab. 

Mode vom Discounter – ironischer Bruch oder "poor appropriaton"?

Was das jetzt alles mit den Badelatschen und Tennissocken vom Discounter zu tun hat? Ähnlicher Effekt. Wer sich als gut situierter Großstädter in die Schlange stellt, um eine Klamotte mit Aldi-Logo zu ergattern, erzeugt einen Bruch. Nicht das Luxuslabel, sondern die Billigmarke wird zur Schau gestellt. Ein ironisches Statement. Ein kleiner Witz zum Spottpreis. 

Blöd nur für diejenigen, die keine Wahl haben und sich tatsächlich nichts anderes leisten können. Da ist dann schnell von "poor appropriaton", also „Armutsaneignung“ die Rede. Schauspieler Lars Eidinger entwarf mal eine teure Ledertasche, die stark an eine Aldi-Tüte erinnerte, und posierte vor einem Obdachlosenlager. Empörung. Das war zu viel des schlechten Geschmacks. Auch die DHL-Kollektion eines Pariser Modelabels kam nicht gut an. In die Kluft eines mies bezahlten Paketboten schlüpfen oder Obdachlose persiflieren, um cool zu sein? Wem’s gefällt. Letztlich lebt Mode auch vom ständigen Kopieren, Aneignen und Umdeuten. 

 
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