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"MeToo"-Verdacht
Die große Rammstein-Show geht weiter: Was bleibt von den "MeToo"-Vorwürfen?
Rammstein ist wieder auf Tour und füllt Stadien von Prag bis Barcelona. Aber: War da nicht was? Das Buch "Row Zero" rollt die "MeToo"-Vorwürfe gegen Till Lindemann noch einmal auf.
Auftakt Solo-Tour Till Lindemann - Proteste.jpeg       -  'Keine Show für Lindemann' steht auf einem Schild während einer Protestkundgebung an der Arena Leipzig.
Foto: Hendrik Schmidt, dpa | "Keine Show für Lindemann" steht auf einem Schild während einer Protestkundgebung an der Arena Leipzig.
Veronika Lintner
 |  aktualisiert: 11.06.2024 02:41 Uhr

Frühling in Prag, es ist der 10. Mai 2024: Fußgänger strömen über die Karlsbrücke, hoch über der Moldau. Familien, Touristen, auch Sportfans. In diesen Tagen startet in Tschechiens Hauptstadt die Eishockey-Weltmeisterschaft. Aber: Hockey-Trikots seht man nur wenige in der Menge. Dafür in Massen schwarze Fan-T-Shirts mit Aufdruck "Rammstein". Die Band um Till Lindemann ist wieder unterwegs. Europa-Tour: Barcelona, Kopenhagen, Gelsenkirchen, bis 29. Juli. Jedes Konzert eine Feuer-Show mit Rock, mit totalitärer Ästhetik und einer Peniskanone als Bühnenrequisit. Aber: War da was? Vor fast exakt einem Jahr wurden Vorwürfe gegen Rammstein laut. Frauen äußerten sich öffentlich gegen den Sänger Till Lindemann: Sie warfen ihm sexuelle Übergriffe und Gewalt vor, Drogen- und Machtmissbrauch im Backstage-Bereich. Doch Monate später stellte die Staatsanwaltschaft Berlin die Ermittlung ein. Jetzt, während Rammstein wieder tourt, erscheint ein Buch, das die Vorwürfe sortieren will. In "Row Zero" fassen die Journalisten Lena Kampf und Daniel Drepper ihre Recherchen um Rammstein zusammen – und beschreiben, über den Fall hinaus, ein System des Machtmissbrauchs in der Musikindustrie.

Daniel Drepper und Lena Kampf recherchieren zum Machtmissbrauch

Daniel Drepper betont im Gespräch, dass dieses Buch kein Urteil über Rammstein-Fans fällt: "Uns liegt es fern, anderen vorzuschreiben, ob sie nun ein Konzert besuchen sollen oder nicht", sagt der Journalist, der wesentlich an der Rammstein-Recherche beteiligt war, als Leiter der Recherchekooperation von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung. "Es überrascht auch nicht, dass die Rammstein-Konzerte wieder so viel Publikum anziehen. Bei vielen Künstlern tragen intensiv diskutierte Vorwürfe eher dazu bei, dass sie noch erfolgreicher werden." Im Buch "Row Zero" gehen Drepper und Lena Kampf (stellvertretende Leiterin des Investigativ-Ressorts der Süddeutschen Zeitung) auf verschiedene Verdachtsfälle ein. Marilyn Manson – dem US-Rockstar werfen mehrere Frauen Missbrauch vor. Samra – gegen den deutschen Rapper lag ein Vergewaltigungsvorwurf vor. Lizzo – die US-Sängerin soll mutmaßlich Crew-Mitarbeiter zu sexuellen Handlungen gedrängt haben. Das Buch zeichnet ein Bild von der Macht der Stars. Manche spielen ihre Position aus, missbrauchen ihren Status, bis zur Gewalt.

Shelby Lynn, Kayla Shyx, Cynthia Ahrens ... Mehr und mehr Frauen gingen 2023 an die Öffentlichkeit, sprachen mit der Recherchekooperation, posteten auf Twitter und Youtube. Shelby Lynn war die Erste, die Irin schrieb auf Twitter: Sie sei bei einem Rammstein-Konzert 2023 in Vilnius unter Drogen gesetzt worden, und zwar gegen ihren Willen, auf einer Backstage-Party mit dem 60-jährigen Till Lindemann. Mit Hämatomen am Körper und Gedächtnislücken sei sie aufgewacht. Für ihren Platz in der "Row Zero", der vordersten Publikumsreihe am Bühnenrand, sei sie extra gecastet worden. Eine Vertraute von Lindemann, Alena Makeeva, habe junge Frauen bei Konzerten und auf Instagram angesprochen. Sie habe sie zu Partys mit Till Lindemann eingeladen, als mögliche Sexpartnerinnen. Weitere Frauen schildern ähnliche Erfahrungen, mutmaßliche traumatische Begegnungen mit Lindemann. Lena Kampf sagt: "Wir bleiben in Kontakt mit den Frauen, die sich bei uns gemeldet haben, wir beobachten und recherchieren weiter."

Daniel Drepper: "Die Branche fragt sich, welche Künstler sie da groß macht"

Die Tour 2023 war begleitet von Protesten, harten Konflikten zwischen Fans und Demonstrierenden. Aber die Staatsanwaltschaft Berlin hat das Ermittlungsverfahren gegen Lindemann im August 2023 eingestellt. Begründung: Mögliche Tatvorwürfe hätten sich nicht ausreichend konkretisieren lassen - keine der Frauen, die Anschuldigungen geäußert hatten, wollte vor Gericht aussagen. Monate später: Was haben die Recherchen tatsächlich bewirkt? Die Berichte der Frauen? Daniel Drepper sagt: "Viele, die offen über Machtmissbrauchen und 'MeToo'-Fälle reden wollen, sagen uns heute, dass ihnen diese Recherche das Sprechen erleichtert hat."

Und der Reporter hat den Eindruck, dass sich die Musikbranche öffnet und Machtmechanismen hinterfragt: "Die Recherche hat sichtbar gemacht, worüber länger schon intern diskutiert wurde, bei Labels, Agenturen und im Booking. Die Branche fragt sich, welche Künstler sie da auf der Bühne groß macht, wem sie die Plattform bietet." Und was manche Rammstein-Fans jetzt plagt, sei dieses ungute Gefühl: "Die amerikanische Essayistin Claire Dederer beschreibt das als 'Fleck' auf dem Werk eines Künstlers, den viele Fans dann nicht mehr übersehen können", sagt Kampf. "Die Vorwürfe, die Zweifel, das beschäftigt sie."

Was bedeutet der Fall Lindemann für die "MeToo"-Bewegung?

Dass die Staatsanwalt die Ermittlungen eingestellt hat, ist das ein Rückschlag für "MeToo"? Für die Bewegung, die Aufklärung von Missbrauch fordert? "Es gibt immer noch wenige Räume, um Vorwürfe geschützt äußern zu können. Viele, die über Erfahrungen von Machtmissbrauch sprechen wollen, haben kein Vertrauen in die Ermittlungsbehörden. Das Strafrecht ist dabei nicht immer der adäquate Raum für diese Fälle. Und innerhalb der Musikindustrie gibt es auch kaum Strukturen und Anlaufstellen, an die man sich wenden kann", sagt Lena Kampf. "Der öffentliche Raum ist sehr umkämpft. Das kann man zum Beispiel bei Shelby Lynn beobachten, die nach ihren Äußerungen von Fans und auch rechtlich angegriffen wurde." Die Kanzlei Schertz Bergmann vertritt Rammstein und zog vor Gericht gegen einzelne Presseberichte und konkrete Aussagen.

Der Fall kehrt zurück: Im neuen Podcast "Feuerzone" der SZ soll es um das "System Rammstein und dem Machtmissbrauch in der Musik" gehen. Sendestart: 1. Juni. Bereits online ist der Podcast "Rammstein – Row Zero" des NDR. Nichts scheint vergessen. Es wird auch wieder gegen Rammstein protestiert, zuletzt vor den Konzerten in Dresden. Da wird ein Gegenvorwurf laut: Ist das nicht doch eine Art Cancel Culture, die Stars unter Verdacht von der Bühne drängt? "In der Musik gibt es so etwas wie Cancel Culture eigentlich nicht", findet Lena Kampf. "In welchen Fällen gibt es denn tatsächlich so harte Konsequenzen, das Künstler oder Künstlerinnen gecancelt werden? Was wir stattdessen beobachten, ist eine Art Call-out-Kultur, bei der es im Kern erst einmal darum geht, Missstände anzusprechen. Sich Gehör zu verschaffen.“

Info: "Row Zero", Eichborn-Verlag, 272 Seiten, 22 Euro.

 
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