Der Oberbayer mag mitunter auf die Landschaft westlich des Lechs mit einigem Hochmut herabsehen, sie im schlimmsten Fall gar nicht als kulturell eigenständige Region wahrnehmen. Dass Schwaben, hier sei explizit jener Teil bedacht, welcher spätestens seit napoleonischen Zeiten zum heutigen Freistaat gehört, mehr ist als ein altbayerischer Appendix, führt in München vereinzelt immer noch zu Erstaunen. Dabei war es ein gebürtiger Weißenhorner, ein Schwabe mit Herz und Seele, der in den 1770er Jahren die ersten mundartlichen Gedichte in der Sprache seiner Heimat veröffentlichte. Mit Sebastian Sailer, dem späteren Prämonstratenserchorherren von Obermarchtal, fand die schwäbische Sprache Einzug in die religiöse Lyrik, unvergessen seine „Schwäbische Schöpfung“.
Der Blick ins 21. Jahrhundert zeigt, dass es sie immer noch gibt, die Bewahrer des Dialektes zwischen Bodensee und Lech, zwischen Ries und Allgäu, allesamt Erben Sailers. Zwischen den fast 50 Jahren seit der Veröffentlichung einer gesamt(bayerisch)schwäbischen Gedichtsammlung unter dem prägnanten Titel „Biera ond Zelta“ haben sich sowohl die Themen als auch der Modus der Lyrik verändert. Lothar Bidmon aus Weißenhorn ist es zu verdanken, dass nach vier Jahren bemühten Recherchierens, Sammelns und Editierens mit dem „Butzagägaler“ ein zeitgenössischer Nachfolger präsentiert werden kann.
Sammeln vor dem Vergessen war der Impetus von Bidmon
Im Rahmen der im Regensburger Pustet-Verlag erschienenen und von Professor Klaus Wolf herausgegebenen Editio Bavarica kann das opulente Werk stolz auf die teilnehmenden 200 Autorinnen und Autoren blicken, welche über 500 lyrische Arbeiten dazu beisteuerten. Sammeln vor dem Vergessen war auch der Impetus Bidmons, der oftmals Mühe hatte, an manche Nachlässe zu gelangen, nicht etwa aus rechtlichen Gründen als vielmehr aus der Tatsache, dass diese von den Erben nicht als wertvoll erachtet und damit vernichtet wurden.
Was letztendlich in den „Butzagägaler“ Aufnahme fand, kann sich dennoch sehen lassen: Im Unterschied zum Vorgänger erfolgt keine Gliederung nach Landstrichen als vielmehr nach Themen: „Durchs Joahr“, „I iß hald geara“, „Scheane Wildnis“ aber auch „Des Mädle an dr roda Ambl“ signalisieren nicht nur einen erweiterten Erfassungshorizont, sondern repräsentieren die sprachliche Vielfalt des Schwäbisch-Alemannischen in Bayern. Bei alledem hatte Bidmon vor Augen, dass sich in den letzten hundert Jahren der Begriff der Lyrik erweitert hat, eine Definition derselben immer schwieriger zu fassen ist.
Poesie muss mit der Zeit gehen – das gilt auch für die Sammlung „Butzagägaler“
Bewertete noch Hegel das Gedicht als Ausdruck des inneren Empfindens, so scheint seit einiger Zeit dieses Paradigma auf den Kopf gestellt: Heute entscheidet subjektive Rezeption über Erfolg und Misserfolg. Erfuhr unter dem Herausgeber der „Biera ond Zelta“, Adolf Layer, mancher Poet noch konsternierte Ablehnung: „Möglicherweise finden sie bei Lesern Beifall, die volkstümlich mit vulgär gleichsetzen“, so ergatterte der einst gescholtene Paul Greinke aus Marktoberdorf nun die Aufnahme in Bidmons Mundartanthologie. Das einst beanstandete Inadäquate hinterlässt heute bestenfalls einen Schmunzler.
Poesie muss mit der Zeit gehen, sonst wird sie nicht mehr verstanden. So finden sich in dem Lyrikband, der mit einem Vorwort des einstigen Bezirksheimatpflegers Hans Frei versehen ist, auch aktuelle Themen, optische Wortakrobatik, gar Musiknoten bis hin zu immerwährenden Aphorismen. Abgerundet und ergänzt wird das Werk mit Kurzbiografien der Autorinnen und Autoren, was die Zuordnung der unterschiedlichen Mundartnuancen ungemein erleichtert. Bleibt zuletzt die Frage nach dem Titel des Buches: Ein Butzagägaler bezeichne, nach Auskunft Bidmons, in seiner Heimatmundart einen Purzelbaum.
Erhältlich ist das Buch „Butzagägaler“ im Verlag Friedrich Pustet zum Preis von 49,95 Euro.