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Literatur
Unsere Bücher des Jahres als Geschenktipps für Weihnachten
Sie bieten etwas für den Kopf und das Gefühl: Unsere Lieblingsbücher des Jahres erzählen von der Gamer-Szene, über Caspar David Friedrich und eine außergewöhnliche Ehe.
Redaktion
 |  aktualisiert: 11.03.2024 09:43 Uhr
  • Bäume mag Kemi nur als Schrank und auch seine Altersgenossen hält er lieber auf Abstand. Ein klassischer Einzelgänger ist Kemi also und ausgerechnet er soll nun ins Ferienlager im Wald. So defizitär im sozialen Umgang der Junge vielleicht ist, so gewandt und pointiert kann er mit Worten umgehen, und deshalb ist diese Geschichte, die Sasa Stanisic in Wolf aus der Sicht Kemis erzählt höchst vergnüglich zu lesen, obwohl es um Ausgrenzung und Mobbing geht. Die Rollen sind in solch einer Gemeinschaft meist klar verteilt: Da gibt es die, die den Ton angeben wie Marko und seine Kumpane, und die, die "andersiger" sind und deshalb schikaniert werden wie Jörg. Und dann gibt es noch die, die zuschauen, die Angst haben, den Mund aufzumachen, wie Kemi. Eine Angst wie ein wilder Wolf mit stinkendem Atem, den Kemi bezähmen muss. Ein spannendes, kluges, poetisches, ein großartiges Kinderbuch über Mut, Freundschaft und das Andersein. (m-b) – Sasha Stanisic: Wolf. Mit Bildern von Regina Kehn. Carlsen, 192 S., 14 € – ab 11 Jahren.

In "Echtzeitalter" leuchtet Tonio Schachinger die Gamer-Szene aus

  • Schon allein dieser eine Vergleich lässt einen lachen: Die Age-Of-Empires-Community verhält sich bei der Gamescom in Hannover so wie die Lyriker bei der Frankfurter Buchmesse – ein kleines versprengtes Häufchen inmitten einer riesigen Veranstaltung. Und überhaupt – Lyriker mit professionellen Computerspielern zu vergleichen, da darf man auch mal lachen. Tonio Schachinger gelingt es mit Echtzeitalter, die Gamer-Szene auszuleuchten, einen skurrilen Schulroman zu schreiben, im Hintergrund Wien und ein wenig Politik – etwa den Strache-Skandal – aufschimmern zu lassen, kurzum ein Buch vorzulegen, das sich wie von selbst liest. Und wer es lieber vorgelesen mag, bekommt in dem Hörbuch, das der Schauspieler Johannes Nussbaum eingelesen hat, noch jede Menge Schmäh mitgeliefert. (rim) – Tonio Schachinger: Echtzeitalter. Rowohlt, 368 S., 24 €.
  • „Wer zu große Theorien aufbaut rund um Caspar David Friedrich, der macht seine Bilder klein und nimmt ihnen etwas von ihrer rätselhaften Schönheit." Schreibt Florian Illies und fügt für sein Werk Zauber der Stille lieber kleine Anekdoten, Fundstücke, Überlegungen zum großen Bild über den Star der deutschen Romantik zusammen. Illies erzählt nicht am Leben, sondern an Kunstwerken entlang, beschreibt, kommentiert, ordnet ein, interpretiert und schwärmt: „Unendliche Sehnsucht strahlt wie ein eigenartiges Licht aus allen Bildern Friedrichs“. Und er spürt in dieser hinreißend zu lesenden Biografie dem Zauber nach, der erst lange nach dem Tod des Malers seine große Wirkung entfaltete. (stw) – Florian Illies: Zauber der Stille. S. Fischer, 256 S., 25 €.

Tausend Seiten deutsche Dichtung in "Der ewige Brunnen"

  • Es hat seinen feinen Hintersinn, dass dieses Buch im Standardformat einer Bibel auftritt. Ein Band für alle Tage und jeden Gemütszustand, ein Buch, nach dem man einfach greift und darin zu blättern beginnt, bis der suchende Sinn sich irgendwo festhakt. Ein Buch der Bücher für alle, die Gedichte mögen (oder ebendieses noch lernen wollen), ist Der ewige Brunnen, ein mit deutscher Dichtung vollgepackter Tausendseiter, der in den 1950er-Jahren erstmals und in diesem Frühjahr gänzlich überarbeitet neu erschienen ist. Beibehalten wurde der Gedanke der thematischen Anordnung der Gedichte, die nun zusammengefasst sind in zwei Dutzend Kapiteln mit Überschriften wie „Kindheit“ oder „In der Lebensmitte“, „Aus dem Alltag“ oder „Natur erfahren“, aber auch „Krieg, Flucht, Vernichtung“, „Glaube und Zweifel“ und „Lebenskunst“. Hierzu sprechen Dichter wie Oswald von Wolkenstein und Wolf Wondratschek, Elisabeth Borchers und Wilhelm Busch, die Comedian Harmonists ebenso wie die Droste und und und … Wer dieser Tage noch nicht die rechte Gestimmtheit für Weihnachten verspürt, der schlage im Kapitel „Feste feiern“ die Seiten um, um sich vielleicht von Eichendorffs „Weihnachten“ („Markt und Straßen steh’n verlassen") aufhelfen zu lassen – oder, wenn man der Angelegenheit eher kritisch gegenübersteht, um Erich Kästners „Weihnachtslied, chemisch gereinigt“ anzuprobieren („Morgen, Kinder, wird’s nichts geben“). Egal, wann und wo und wie man in diesen „Ewigen Brunnen“ hinabsteigt, man stößt immer auf einen Schatz. (sd) – Der ewige Brunnen. Deutsche Gedichte aus zwölf Jahrhunderten. Herausgegeben von Dirk von Petersdorff. C.H.Beck, 1168 S., 28 €

"Szenen keiner Ehe" hat bundesweit für Schlagzeilen gesorgt

  • In ihrem Beziehungsleben haben sie sich nichts geschenkt: Franz-Xaver Kroetz konnte nach der Trennung keine zehn Minuten mit Marie-Theres Relin im selben Raum sein, sie hat ihm regelmäßig den Tod gewünscht. Dann hatte Relin, die Idee für ein gemeinsames Buch. In Szenen keiner Ehe erzählen sie unabhängig voneinander von einer Reise, die mit dem Auto nicht nur von Teneriffa zurück nach München, sondern auch tief in die Vergangenheit führt. Der Deal: Keiner weiß, was der andere schreibt. Das tun beide mit großer, oft erstaunlicher Offenheit. Das ist unterhaltsam und manchmal schonungslos – egal ob es finanzielle Sorgen, banalen Alltagsärger oder künstlerische Versagensängste geht. Bundesweit hat das Buch für Schlagzeilen gesorgt, weil Relin in einer kurzen Passage den sexuellen Missbrauch durch ihren berühmten Onkel Maximilan Schell erstmals offenbart. (mai) - Marie-Theres Relin, Franz-Xaver Kroetz: Szener keiner Ehe. dtv, 320 S., 25 €.

  • Am Ende eines Jahres vieler starker Bücher von Autorinnen, die trotz relativ weniger Seiten in eindrucksvoller Sprache größten Tiefengrund ausloten, fällt die Entscheidung schwer. Da war natürlich Judith Hermanns Nachdenken über Leben und Schreiben in Wir hätten uns alles gesagt, dazu die weniger namhafte, aber mit den gleichen Mitteln überzeugende Landsfrau Birgit Birnbacher in der Liebes- und Identitätsgeschichte Wovon wir leben. Aber da waren ja auch noch die Französinnen: Brigitte Giraud mit ihrem fesselnden Trauerwerk Schnell leben und Camille Laurens, die in So wie du mich willst gleich alles bespiegelt – das Verhältnis zwischen Männern und Frauen, zwischen Leben und Schreiben, zwischen Wirklichkeit und Social Media … Eine Typfrage, für wen sich da was als Geschenk anbietet. Und wem das alles zu wenig fantastisch ist, der hat ja immer noch den Fluchtpunkt Walter Moers und seine Zamonienromane, diesmal neu mit Die Insel der Tausend Leuchttürme. (ws) - Walter Moers: Die Insel der Tausend Leuchttürme, Penguin Verlag, 656 S., 42 €

  • Nahezu jede Frau hat schon mal einen übergriffigen Spruch gehört oder einen einfachen sexuellen Übergriff erlebt. Es wird als normal hingenommen, dass Frauen mit Warnungen im Kopf aufwachsen, aber es sollte nicht normal sein, stellt Christina Clemm klar. In Gegen Frauenhass beschreibt sie eindrücklich, wie tief verwurzelt Frauenhass in unserer Gesellschaft ist und wie wenig dagegen getan wird. Die Berliner Strafverteidigerin hat schon hunderte Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt vertreten. Anhand von realen und fiktiven Fallbeispielen offenbart sie die Spirale patriarchaler Gewaltstrukturen und zeigt, was getan werden muss, um diese zu durchbrechen. Eine erschütternde, aber auch ermutigende Lektüre. (lac) - Christina Clemm: Gegen Frauenhass. Hanser, 256 S., 22 €

 
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