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Literatur
Die Dame im Schach der Revolution: Steffen Kopetzkys Roman "Damenopfer"
Eine Reporterin im Ringen der Weltmächte vor 100 Jahren: Steffen Kopetzky erzählt von Larissa Reissner in „Damenopfer“ – mit prallen Szenen und prominenten Schachfiguren.
Veronika Lintner
 |  aktualisiert: 11.03.2024 10:42 Uhr

Ist das eine Frau wie Bond, James Bond? Oder doch eine Figur aus "Tausend und eine Nacht"? Vielleicht eine zweite Mata Hari, eine Doppelagentin? Jedenfalls darf diese Frau wie eine Heldin schillern, im neuen Roman von Steffen Kopetzky. Ihre Erscheinung funkelt auf dem Parkett der Salons von Berlin bis Moskau, genauso wie in den Straßen Afghanistans. Vor allem aber schimmert ihr Spiegelbild in den Augen ihrer Liebhaber, einer ganzen Garnison von Poeten, Denkern und Feldherren. Diese Larissa Reissner ist eine Reporterin, zudem die deutsch-russische Gattin eines sowjetischen Diplomaten und vor allem: Revolutionärin. Zu viel Spektakel, um wahr zu sein? Tatsächlich hat Kopetzky für diesen Roman in den Geschichtsbüchern gewühlt. Larissa Reissner lebte wirklich einmal: Kam 1895 in Lublin zur Welt, starb mit 30 Jahren in Moskau, und dazwischen spielte sie mit im Weltgeschehen. Im kunstvollen Roman „Damenopfer“ steht sie jetzt wie eine Schachfigur im Zentrum der geplanten Weltrevolution.

Steffen Kopetzky begibt sich auf die Spuren der Larissa Reissner

Der Roman beginnt in Kabul. Larissa schleicht durch die Gassen der Stadt, unter ihrem Tschador versteckt sie einen Schatz. Ihr, die als Reporterin mit gesalzenen Artikeln gegen den Krieg und den Imperialismus schießt, ist nämlich ein Plan in die Hände gefallen. Karten, Skizzen und Schlachtzüge hat ein gewisser Herr Niedermayer auf Papieren notiert – ein Generalmajor aus Bayern, der im Ersten Weltkrieg in Afghanistan diese Pläne geschmiedet hatte. „Wenn Kontinente erwachen, werden Inselweltreiche zerstört!“, schreibt er. Und welche Insel Herr Niedermayer ins Visier nimmt, ist Larissa sofort klar. Der Feind, das sind die Briten, das sind die Kapitalisten, so viel steht fest, für Niedermayer wie für Larissa. Und der Sieg führt nur über Afghanistan – und Indien. „Würde England Indien verlieren, wäre das mit Sicherheit der Anfang vom Ende seines Empires. Vom Matt in sieben Zügen auf dem Schachbrett der Geopolitik der erste“, denkt sich Larissa.

Niedermeyers Geistesblitz trifft sie, er zündet ihren Ehrgeiz. Denn das Leben ist hart geworden an der Seite ihres Gatten Raskolnikow, Botschafter in Afghanistan. Als Legende gilt sie immer noch, in einer Schlacht bei Kasan soll sie einmal im Alleingang den Sieg der Bolschewiken herbeigeführt haben, weil sie geheime Botschaften zur Front schmuggelte. Aber jetzt, im Jahr 1922, steckt die Revolution noch immer im Chaos, zersplittert in Fraktionen: Überzeugte Rotarmisten, alte Lenin-Verehrer, dazu die Stalin-Freunde, die gegen Trotzkisten wie Larissa kämpfen, die beide auf Lenins Erbe laueren. Larissa wird in dem komplexen Getriebe des Romans, den Kopetzky konstruiert, zum Scharnier zwischen den Revolutionären – jenen in Russland und jenen in Deutschland. Der weltweite Aufstand der Arbeiterschaft kann nur mit deutscher Hilfe gelingen.

Als Trotzki eine Grabrede auf Larissa Reissner hielt

So verfolgt ein Strang des Romans Larissas Jagd nach dem ominösen Niedermayer, auf der sie als Beifang eine Reihe von Männerseelen erlegt. Dabei konstruiert Kopetzky in dicken Farben seine Ikone: Durch ihre Brille schildern die Männer ihre Begegnung mit dieser Frau, ihre Blitzverliebtheit, und in jedem dritten Bericht schwärmen sie von „Lyalyas“ kastanienbraunem Haar und ihren Plänen. Ein Mosaik, das sich mit jedem Kapitel ein bisschen klarer fügt, zum Bild einer Zeit, zum Bild einer Frau. 

Fast alle Zeitzeugen versammelt Kopetzky dann in kunstvollen Zeitsprüngen an jenem Tag, an dem sie Larissa zu Grabe tragen. 1926, der Typhus hat sie getötet. Trotzki beugt sich am Morgen der Beerdigung über den Schreibtisch, verfasst eine Grabrede. Der Dichter Boris Pilnjak rammt sich in Trauer eine Bleistiftspitze ins Zahnfleisch, sein Kollege Boris Pasternak betäubt seinen Schmerz mit einem Gedicht und Wodka.

Während die sehr stark gezuckerten Männer-Erinnerungen in Larissa Sonne schmelzen, sind es vor allem die Szenen, die Kopetzky mit Leben füllt, die hängen bleiben. Schilderungen von Staub, Schmutz und Glanz, Liebe und Elend. Ein von Schnee berieseltes Gemälde, wie die Totengräber Larissas Grab in den frostigen Winterboden schaufeln und sich an diese Legende erinnern. Rührend, wie sich ihre Cousine und Kindheitsfreunde erinnern, an Abenteuer am Strand, mit der Kapitänin Larissa. Amüsant, wie Larissa in einer Berliner Villa einen Macho im Schach niederstreckt.

Steffen Kopetzky erzählt in "Damenopfer" aus der europäischen Geschichte

Steffen Kopetzky hat sich auf tiefe Tauchgänge in die Historie spezialisiert. Im Roman „Monschau“ beschrieb er eine deutsche Wirtschaftswunderepisode. In „Propaganda“ reichte der Bogen vom Zweiten Weltkrieg bis zum Vietnamkrieg. In „Damenopfer“ schreibt er im Nachwort: „Vieles in diesem Roman ist so geschehen, die meisten der beschriebenen Personen hat es wirklich gegeben, dennoch: Dies ist ein Werk der Fiktion.“ Und dennoch, will man entgegnen: Es bleibt ein Werk der Geschichte. Die Lyrikerin Anna Achmatowa, der Dichter Ossap Mandelstam, der vietnamesische Präsident Hô Chí Minh, ein Kurzauftritt des Chinesen Deng Xiaoping: So fallen prominente Namen reihenweise in den Plot, um die Zeitgeschichte zu beglaubigen. Ein Zeitenbuch, in dem sich die Recherchearbeit, die in ihm steckt auch mit Lust selbst bespiegelt.

Natürlich schlägt die Geschichte einen Haken in die Gegenwart, ohne die Aktualität ausformulieren zu müssen. Motive wie: der Kapitalismus, der jede Revolution frisst. Ein Land namens Afghanistan, das zwischen West und Ost zermalmt wird. Dazu eine Seuche, die die Welt befällt, und auch die Frage, wie Pazifisten für ihre Ziele kämpfen. Und die Erkenntnis, dass das Verhältnis zwischen Russland und Deutschland ein immer potenziell explosives zu sein scheint.

„Damenopfer“ ist ein Buch für Historiker und Nebenbei-Googler. Für Freunde des russischen Erzählens. Und für jene, die Lust auf eine literarische Schachpartie haben, mit mehr als nur 32 Figuren auf dem Feld. Reissners Freunde sagen vor ihrer Beerdigung: „Das Leben unserer armen Larissa wäre ein fabelhafter Stoff. Reine Revolution!“

Info: Steffen Kopetzky: "Damenopfer", 448 Seiten. Rowohlt.

 
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