Kaum ist der Kartenvorverkauf gestartet, sind die Tickets fast schon weg. Das schaffen eigentlich nur Stars wie die Rolling Stones oder Taylor Swift– und die Krabbelkonzerte der Alten Oper in Frankfurt. Die 36 Konzerte, die Tobias Henn und sein Team pro Spielzeit organisieren, seien in Frankfurt sehr beliebt, sagt Henn. Er hat die Krabbelkonzerte vor elf Jahren nach Frankfurt gebracht. Die Zielgruppe sind Kinder bis drei Jahre – und ihre Eltern oder Erzieherinnen und Erzieher. Nun kann man sich natürlich fragen: Was hat ein so junges Kind davon, sich ein Konzert anzuschauen? Doch dazu später mehr. Zunächst einmal das: Wer schon mal versucht hat, für sich und sein Kleinkind ein kulturelles Angebot zu finden, weiß: Leicht ist es nicht.
Im Staatstheater Augsburg etwa gab es zwar mal Krabbelkonzerte– zwei Stück im Jahr 2016. Doch dann ist das Angebot eingeschlafen. Die Gründe dafür sind recht praktisch, sagt Christine Faist, Konzertdramaturgin am Staatstheater. Der eine: Das Theater wird gerade saniert. Die Krabbelkonzerte fanden 2016 im Foyer des Großen Hauses statt. Eltern und Kinder saßen auf Kissen und Decken am Boden. Die Musiker spielten ohne Bühne an einem Ende des Raumes. Die Kleinen konnten aufstehen, tanzen, hopsen, den Instrumenten ganz nahe kommen. Im Martini-Park, wo das Theater ein vorübergehendes Zuhause gefunden hat, sei bislang kein ähnlich passender Raum gefunden worden, sagt Faist. Der zweite Grund: die Corona-Pandemie. Die machte "eine Wiederaufnahme nicht möglich", sagt Faist.
Staatstheater Augsburg will in der Saison 2023/24 wieder Krabbelkonzerte anbieten
Doch die Augsburger haben erkannt, dass es Nachfrage nach Angeboten für die Jüngsten gibt. Deshalb sollen die Krabbelkonzerte in der kommenden Spielzeit zurückkehren. Wie genau das aussieht, plant derzeit Anna-Sophia Kraus. Sie ist Musikvermittlerin am Theater, das heißt sie kennt sich damit aus, wie Kinder in verschiedenen Altersgruppen Musik erfahren können. "Das Angebot von Krabbelkonzerten fügt sich sehr gut in diese Schnittstelle von Konzert und Vermittlung ein", sagt Faist. Wenn es ähnlich läuft wie in Frankfurt, könnten die Konzerte zum Selbstläufer werden.
Also, was machen die Frankfurter? Zunächst einmal das: Weil es in der Alten Oper so viele Angebote für Krippen-, Kindergarten und Schulkinder gibt, belegen sie dauerhaft einen der drei Konzertsäle. Stühle gibt es meistens auch dort nicht. Die Kinder und ihre Eltern sitzen auf einem Teppich. Die Musiker haben eine Bühne, die etwa 30 Zentimeter hoch ist. Während der Konzerte gibt es wenige Regeln. Es darf aufgestanden, getanzt, gesungen werden. Aber eine Regel ist unumstößlich: Die Kinder dürfen nicht auf die Bühne. Dafür kommen Musiker ins Publikum. Zu jeder Vorstellung kommen zwei bis drei Musikerinnen und Musiker, außerdem gibt es zwei Moderatorinnen. Sie führen durchs Programm, tragen Sprechverse vor, tanzen oder singen mit den Kindern. Die Stücke dauern höchstens drei Minuten. Länger reiche die Aufmerksamkeitsspanne der Kinder noch nicht, sagt Henn. Dann müsse etwas Neues passieren. Insgesamt dauern die Konzerte etwa eine Stunde. Und Henn erzählt, den Moderatorinnen und Musikern gelänge es gut, die Kinder die gesamte Zeit über in ihren Bann zu ziehen. "Es gibt kein kritischeres Publikum als kleine Kinder. Wenn es langweilig wird, werden sie laut. Wenn es ihnen nicht gefällt, gehen sie. Aber wenn sie sich freuen, bringen sie das direkt zum Ausdruck", sagt Henn. Für die Wahl der Stücke gilt ein Grundsatz: "Wir spielen keine Musik, die Angst macht. Ansonsten versuchen wir, den Kindern die ganze Palette, die die Musik zu bieten hat, nahezubringen", sagt Henn.
An der Schauburg in München gibt es sogar Theaterstücke für Babys und Kleinkinder
Ein recht ähnliches Ziel hat sich auch Andrea Gronemeyer gesetzt. Sie ist Intendantin der Schaubühne in München. Ein Theater, das sich nur an Kindern und Jugendliche richtet. Und, das ist das Besondere in München, das wirklich für alle Kinder Stücke im Programm hat, also auch schon für Babys. Auch sie möchten den Kindern Kunst näherbringen. "Wer schon als Kind erlebt, dass ein Besuch im Theater oder im Konzert etwas Schönes ist, dem sind die Brücken zur kulturellen Teilhabe als Erwachsener gebaut", sagt sie. Die Stücke, die in der Schaubühne für Kinder bis drei Jahre aufgeführt werden, sind eine Art Performance. In einem Stück etwa, das für Kinder ab drei Monaten erdacht wurde, spielen zwei Tänzerinnen mit Licht und Schatten. Sie bewegen sich durch den Raum, kommen den Kindern ganz nahe und setzen leuchtende Elemente ein. "Schon die kleinsten Kinder lieben, Menschen zuzuschauen, die sich interessant bewegen. Das ist ja das Tolle an Tänzerinnen und Tänzern. Sie erlauben es uns, ihren Körper ganz genau zu beobachten. Sonst ist das ein Tabu", sagt Gronemeyer. In anderen Ländern Europas seien solche Stücke für junge Kinder viel weiter verbreitet. Um diese Vielfalt abzubilden, gibt es in München auch einmal im Jahr ein Theaterfestival, das nur Stücke für Kinder zwischen null und fünf Jahren zeigt.
Bleibt die Frage: Warum gibt es überhaupt solche Veranstaltungen für so junge Kinder? Andrea Gronemeyer hat auf diese Frage eine einfache Antwort. "Wenn die Kinder ins Theater kommen, freuen sie sich einfach irrsinnig. Das ist doch Grund genug", sagt sie. Sie kann das aber natürlich auch noch ausführen. Im Theater haben Kindern in einem geschützten Raum die Möglichkeit, neue Erfahrungen zu machen. Ihre Wahrnehmung wird geschult. "Gerade junge Kinder nehmen wahnsinnig viel wahr – viel mehr als Erwachsene. Und das Theater oder allgemein die Kunst kann auf diese Fähigkeit aufbauen, ihrem Erfahrungshunger Nahrung bieten und ihnen so beim Wachsen helfen", sagt Gronemeyer.
Wenn die Kinder aber so viel mitnehmen, warum gibt es solche Angebote dann nicht häufiger? "Das ist ganz einfach: Weil es teuer ist." Gronemeyer gibt ein Beispiel: In einer ihrer Vorstellung können maximal 20 bis 50 Personen teilnehmen. So könne sich ein Theater nicht finanzieren. "Wir haben das Glück, dass wir ein städtisches Theater sind und der Stadt München die Förderung des Theaters auch für ein junges Publikum wichtig ist." Aber Stücke für Kinder würden häufig von der freien Theaterszene aufgeführt. "Sie können es sich oft nicht leisten, im intimen Rahmen vor kleinen Gruppen zu spielen, wie es im Kleinkindertheater sinnvoll ist. Sie sind aber wegen ihrer geringen Förderung auf höhere Einnahmen angewiesen", sagt Gronemeyer. "Welche Angebote wir für die Kleinsten machen, welche Bildung wir ihnen zukommen lassen wollen, ist also letztlich eine kulturpolitische Entscheidung."